Ja. Nein. Vielleicht

John Kerry und Benjamin Netanjahu. Foto: State Department

Die Bemühungen um einen Waffenstillstand in Israel und Gaza versinken im Chaos

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Das war verwirrend: Zuerst einigten sich Israel und die Hamas am Samstag auf eine humanitäre Waffenruhe, die auch hielt. Dann verkündete Israels Regierung am Abend die Fortsetzung dieses Waffenstillstandes, aber die Essedin al-Kassam-Brigaden machten nicht mit, gaben dafür aber am Sonntag eine eigene 24-stündige Pause bekannt, die allerdings von Israel abgelehnt und von den eigenen Kämpfern nicht eingehalten wurde.

Ein dauerhaftes Ende der Kampfhandlungen, denen mittlerweile auf der palästinensische Seite mehr als 1.000 Menschen zum Opfer gefallen sind, scheint momentan in weiter Ferne: Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu besteht auf einer Vorlage Ägyptens, während die Hamas eine Vermittlerrolle des Nachbarlandes kategorisch ablehnt.

Man wirft Kairo vor, politisch auf der Seite Israels zu stehen und darüber hinaus auch militärisch in den Konflikt einzugreifen - am Sonntag zerstörte Ägyptens Militär 13 Tunnel, die vom Gazastreifen auf ägyptisches Territorium führen. In Israel hat sich die Regierung derweil auf die Vermittlungsbemühungen von US-Außenminister John Kerry eingeschossen. Der hatte am Freitag einen Entwurf vorgelegt, der nach Ansicht der israelischen Regierung die eigenen Sicherheitsinteressen außen vor lässt.

Eid al-Fitr: ein düsterer Tag in diesem Jahr

Das Ende des Fastenmonats Ramadan ist normalerweise eine feierliche Angelegenheit. Zum Eid al-Fitr, dem Fest des Fastenbrechens, besucht man Familienangehörige und Freunde und isst viel. Das öffentliche Leben ruht an diesem Tag, und für einige Momente legt sich eine feierliche Ruhe über die sonst so quirligen Straßen Palästinas, die nie wirklich zur Ruhe zu kommen scheinen.

In diesem Jahr wird der Eid al-Fitr zu einem düsteren Tag werden: Im Gazastreifen wird weiterhin gekämpft; Hunderttausende sind auf der Flucht. Und nichts deutet darauf hin, dass dies am heutigen Montag anders sein wird, dass die Menschen für mehr als ein paar Stunden, falls überhaupt, ein auch nur ansatzweise normales Leben werden führen können. Vielleicht wird es wieder eine Feuerpause für ein paar Stunden geben, und den Menschen einige Stunden Zeit zum Durchatmen geben. Vielleicht auch nicht.

Selbst im Umfeld der israelischen Regierung oder der politischen Hamas kann das am Sonntagabend niemand einschätzen: Entscheidungen werden von Fall zu Fall getroffen; eine mittel-, gar langfristige Vision (Gaza: Bis hierhin, wohin weiter?) ist derzeit auf keiner der beiden Seiten vorhanden.

Ein ganzer Stapel an Vorschlägen für einen Waffenstillstand

Zwar liegt mittlerweile ein ganzer Stapel an Waffenstillstandsvorschlägen auf dem Tisch. Aber jeder einzelne dieser Vorschläge ist für die eine oder die andere oder beide Seiten nicht akzeptabel. Und nicht nur das: Nicht einmal auf einen Vermittler kann man sich einigen.

Hier sind die Forderungen:

  • Für Israels Regierung ist die Demilitarisierung des Gazastreifens die Hauptforderung. Die Raketen sollen vernichtet, die Tunnelnetzwerke zerstört werden.
  • Die Hamas fordert, kurz zusammen gefasst, die Aufhebung der Blockade des dicht bevölkerten Landstrichs, und freien Zugang zum Haram al-Scharif, in Deutschland besser bekannt als Tempelberg, in Jerusalem für Einwohner des Gazastreifen.

Zur Auswahl stehen mehrere Vorschläge für eine Waffenruhe, die aus verschiedenen Ländern stammen:

Die Hamas selbst hat einen zehnjährigen Waffenstillstand, eine sogenannte Hudna angeboten. Die Bedingungen dafür sind - in der Langfassung -, dass sich israelische Truppen aus dem Gazastreifen zurückziehen, alle Palästinenser, die während des Militäreinsatzes im Westjordanland im Juni fest genommen wurden, freilassen und die Grenzen zum Gazastreifen geöffnet werden.

Außerdem sollen ein Hafen und ein Flughafen gebaut werden (der Ende der 1990er Jahre gebaute Flughafen von Gaza ist weitgehend zerstört). Die Fischereizone soll auf zehn Kilometer ausgeweitet und der Grenzübergang nach Ägypten unter die Kontrolle der Vereinten Nationen und von einigen arabischen Ländern gestellt werden.

Zudem sollen an den Grenzen Blauhelme stationiert werden. Außerdem fordert die Hamas freien Zugang zur heiligen Stätte in Jerusalem. Israel soll zudem die Einheitsregierung anerkennen. Die wirtschaftliche Entwicklung des Gazastreifen soll gefördert werden. Israel hat sich zu diesem Vorschlag bis heute nicht öffentlich geäußert.

Ägypten, Katar, die Türkei...

Ägypten hat Mitte Juli einen Entwurf für einen Waffenstillstand vorgelegt, der nur vorsieht, die Kampfhandlungen einzustellen und dass die Grenzübergänge zu öffnen sind. Die Details für einen dauerhaften Waffenstillstand sollen dann in Gesprächen zwischen beiden Seiten ausgehandelt werden.

Dieser Entwurf hatte vor gut zwei Wochen dazu geführt, dass Ägypten und Israel den Beginn einer Waffenruhe bekannt gaben, nachdem die Essedin al-Kassam-Brigaden den Vorschlag bereits abgelehnt hatten. Der Hamas wurde daraufhin vorgeworfen, sich nicht an Waffenstillstandsübereinkünfte zu halten, was wiederum dazu führte, dass vor allem in Europa sich Regierungen für das militärische Vorgehen Israels aussprachen.

Die Hamas lehnt seitdem Ägypten als Vermittler ab; man fühlt sich getäuscht. Zudem könne es einen Waffenstillstand nur nach einer Einigung über die Details geben; alles andere sei nicht tragfähig. Israel hingegen besteht auf der ägyptischen Initiative.

Wenige Tage nach dem ägyptischen Vorstoß legten Katar und die Türkei einen eigenen Vorschlag vor. Über deren genaue Inhalte ist wenig bekannt. Sicher ist, dass der Vorstoß die Forderungen der Hamas stärker berücksichtigt; zudem beansprucht diese Initiative eine Vermittlerrolle für beide Länder. In Kairo, wo man kurz zuvor noch selbst zusammen mit Doha an einem Modell gefeilt hatte (das allerdings aus unbekannten Gründen nie produziert wurde), und in Jerusalem sorgte der Vorschlag für Wut.

Katar und die Türkei seien Ägypten in den Rücken gefallen, donnerte Außenminister Avigdor Lieberman, und in Kairo belebte man umgehend die seit dem vergangenen Dezember schwelende Feindschaft mit dem kleinen Katar wieder, dem viele arabische Länder vorwerfen, sich größer zu machen, als es ist. Die neue Regierung in Kairo, die nach wie vor um internationale Legitimität ringt, hofft derweil darauf, durch seine Waffenstillstandsbemühungen international punkten zu können.

...und US-Außenminister John Kerry

Am Freitag meldete sich dann US-Außenminister John Kerry mit einem eigenen Vorschlag zu Wort - in dem er u.a. die Forderung nach einem besseren Warenaustausch an den Grenzen Gazas erhob und den israelischen Streitkräften untersagt, während der Waffenruhe weiter Tunnels zu zerstören - und erhielt postwendend eine Absage aus Israel.

Seine Initiative berücksichtige die israelischen Sicherheitsinteressen nicht, baue zu stark auf den Vorstoß aus Katar und der Türkei auf, bevor Israels Sicherheitskabinett das Dokument, ausnahmsweise einmal einstimmig, ablehnte. Sogar Justizminister Zippi Livni, die in den vergangenen Monaten mit der palästinensischen Regierung in Ramallah über ein Friedensabkommen verhandelt hatte, verlieh dem Kerry-Papier das Prädikat "inakzeptabel".

US-Außenminister Kerry. Foto: State Department

Dabei allerdings geht es, sagen Abgeordnete der Koalition, nicht so sehr darum, wie in Vorschlägen wie diesem auf die Forderungen der israelischen Regierung eingegangen wird - man will nicht den Eindruck erwecken, auf irgendeine Forderung der Hamas einzugehen, damit die nicht am Ende sagen kann, sie habe den Krieg gewonnen (Der kleinste gemeinsame Nenner).

Hinzu kommen Dinge, die mit dem Konflikt selbst nichts zu tun haben. So reagierten Regierungsvertreter in Kairo und in Ramallah ausgesprochen wütend darauf, dass Vertreter beider Länder nicht zu den Waffenstillstandsgesprächen in Paris am Wochenende eingeladen worden waren, aber Katar und die Türkei sehr wohl. "Wer möchte, dass Katar und die Türkei das palästinensische Volk repräsentieren, soll gehen und dort leben", schreibt die Fatah, die Fraktion von Präsident Mahmud Abbas, in einer Pressemitteilung. Doch anders als Israel sieht man Katar, die Türkei und die USA vor allem in der Nähe Israels: Es sei ein Treffen der "Freunde Israels" gewesen.

Der moderate politische Islam kann den radikalen Islam bekämpfen - eine Fehleinschätzung?

Es geht dabei um die regionale Machtverteilung, um Einfluss: Vor allem für Ägypten und die palästinensische Regierung in Ramallah ist es inakzeptabel, dass das kleine Katar und die Türkei versuchen, die etablierte Rollenverteilung in der Region auf den Kopf zu stellen. Die Nähe zu islamistischen Gruppierungen wie der Hamas, oder der Muslimbruderschaft in Ägypten, machen diesen Regierungen Sorgen. "Vor allem die USA unterliegen der Fehleinschätzung, dass der moderate politische Islam den radikalen Islam bekämpfen kann", sagt Walid Assaf, ein ehemaliger palästinensischer Minister.

Tatsächlich sucht man in Washington mittlerweile verstärkt die Nähe zur Regierung in Doha. Denn die hat über Jahre hinweg, mal mehr, mal weniger, den "kritischen Dialog", wie ein katarischer Diplomat das nennt, zu islamistischen Gruppierungen gesucht - um Einfluss zu gewinnen. Aber auch, um möglichen Umsturzbestrebungen im eigenen Land entgegenzutreten. Denn dort stellen Ausländer den größten Teil der Bevölkerung. Das bedeutet aber nicht, sagt der Diplomat, dass man sich die Ideologien dieser Gruppierungen zu eigen mache.

Die US-Regierung hofft darauf, dass in diesem Einfluss eine Chance liegen könnte, den Vormarsch des radikalen Islams, wie er im Irak zu beobachten ist, zu kontern. Die Fähigkeiten Katars sei "einzigartig" in der Region, sagen US-Diplomaten: Es wäre "fahrlässig", ihn nicht zu nutzen.

Doch das ist ein Dominospiel: In einer Region, in der die Ereignisse sehr stark in ein geopolitisches Gesamtgefüge eingeordnet sind, kann das, was dort hilft, hier einen unerwünschten Effekt haben. Und genau das befürchtet man in Ramallah: Präsident Mahmud Abbas bangt, dass er auch künftig keinen Einfluss in Gaza haben wird.

Abbas: nicht in die strategischen Entscheidungsprozesse einbezogen

Den aber braucht er, um in der palästinensischen Öffentlichkeit etwas an Respekt zu gewinnen. Seine sehr schlechten Zustimmungswerte hatten im Juni leichte Lebenszeichen gezeigt, nachdem er mit der Hamas eine Einheitsregierung ausgehandelt hatte, nur um danach wieder im Keller zu verschwinden, als er während des israelischen Militäreinsatzes im Westjordanland die Kooperation mit Jerusalem nicht abbrach. Er braucht einen Platz im Poker um den Frieden im Gazastreifen, um sich als Vertreter des palästinensischen Volkes zu legitimieren.

Schon jetzt fällt auf, dass er im Tauziehen um einen Waffenstillstand nur eine untergeordnete Rolle spielt, obwohl er seit Juni eigentlich wieder Präsident aller Palästinenser ist und die von ihm ernannte Regierung in beiden Landesteilen das Sagen hat. Doch tatsächlich sitzt Abbas nur pro forma mit am Tisch, wenn er überhaupt dabei sein darf: Er wird von der Hamas nicht in die strategischen Entscheidungsprozesse einbezogen.

Ein Gesprächsversuch mit Khaled Maschal, dem Chef des in Doha ansässigen Politbüros der Hamas, verlief eher unterkühlt. Und auch im Ringen um den Waffenstillstand spielt er keine Rolle.