Wirtschaftssanktionen und Energiewende

Offener Brief an Tobias Baumann, Leiter des Referats Ost- und Südosteuropa beim DIHK

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Sehr geehrter Herr Baumann.

Im Telepolis-Interview mit Ralf Streck von heute: "Keine Freunde von Sanktionen, aber…" begründen Sie als Leiter des Referats Ost- und Südosteuropa beim Deutschen Industrie und Handelskammertags (DIHK) die Zurückhaltung der DIHK gegenüber den derzeit politisch ausgerollten Sanktionen gegenüber Russland. Sie verweisen auf das Primat der Politik, dem Sie als Interessenvertreter der Wirtschaft sich unterordnen.

Ihre Argumentation folgt einem Hauptmuster der deutschen Wirtschaftspolitik: Sie bewerten mögliche Sanktionsfolgen vor allem für die Exportwirtschaft und stellen fest, dass Russland mit einem Exportanteil von 3% relativ unbedeutend ist. Zwar hängen 300.000 Arbeitsplätze am Russland-Export, aber da Sie einen mäßigen Rückgang der Exportaktivitäten um 10% erwarten, wären die Folgen überschaubar, wenngleich Sie sie nicht willkommen heißen.

Ihre Ängste gelten vor allem den Exporten nach Russland. Den Importen aus Russland, die ja Teil eines auf Gegenseitigkeit beruhenden Wirtschaftslebens sind, messen Sie nicht ansatzweise so große Bedeutung zu. So relativieren Sie mögliche Auswirkungen des Vorschlags von CDU/CSU-Vize-Fraktionschef Michael Fuchs. Er würde als Teil der Sanktionen gern weniger Gas aus Russland importieren. Erdgas macht 22% am deutschen Energiemix aus, der russische Importanteil von 35% relativiert sich also auf "nur" 7 bis 8% der deutschen Energieversorgung.

Allerdings bleiben bei diesem Gedankenspiel zwei Aspekte außen vor:

  1. Energieträger lassen sich nicht beliebig gegeneinander ersetzen. Die verwendeten Technologien sind meist auf einen bestimmten Energieträger abgestellt (Exergie-Pfad). Ein schrumpfender Gas-Import würde direkt vor allem jene Bereiche treffen, in denen eben Gas gebraucht wird.
  2. Ihre Betrachtungen gehen davon aus, dass Russland sich die US-europäischen Sanktionen reaktionslos gefallen läßt. Dies ist eine recht statische Betrachtungsweise. Vielmehr zielen die Sanktionen ja darauf ab, Russland zu Reaktionen zu bewegen. Nur ob diese Reaktionen so aussehen, wie die NATO sie gern hätte? Was passiert, wenn Russland die Lieferungen von Gas von sich aus drosselt oder sogar auf Öl ausweitet? Schließlich ist das die europäische Achillesferse, die auch die russischen Strategen kennen.

So ist die Bezugnahme auf den deutschen Energiemix für meine Heimatstadt Dresden beispielsweise völlig unbrauchbar. Das 2012 verabschiedete Dresdner "Integrierte Energie- und Klimaschutzkonzept" (IEuKK) weist eine 91%ige Abhängigkeit der Dresdner Wärmeversorgung von Erdgas auf. 58% des in Dresden verbrauchten Stroms werden im Stadtgebiet erzeugt, weit über 95% davon aus Erdgas in den städtischen Kraftwerken.

Dresden hat keine Möglichkeit, seine Energieversorgung von heute auf morgen von Erdgas unabhängig zu machen. Eine 10%ige Drosselung von Erdgas-Lieferungen wäre im Fall der sächsischen Landeshauptstadt ein Spiel mit der Strom- und Wärmeversorgung einer halben Million Menschen. Sollte der Konflikt zu einer Sanktionsspirale ausarten und Russland seinerseits Öllieferungen in die Sanktionen einbeziehen, wären auch Auswirkungen auf den Individualverkehr und die geschäftlichen Lieferungen in die Stadt betroffen. Vom Tourismus ganz zu schweigen.

Ich begrüße, dass Sie als DIHK-Vertreter das Primat der Politik anerkennen. Wir müssen aber auch sehen, dass die Politik es in den vergangenen Jahren nicht geschafft hat, die große Abhängigkeit Europas von russischen Energielieferungen zu erkennen, zu benennen und entsprechend umzusteuern. Die politisch getragene "Energiewende" seit 2011 hat Energieabhängigkeiten weder angemessen diskutiert noch adressiert, sondern zeigte sich als reine "Stromwende". Auch in der Ukraine-Krise scheint der Umgang einzelner Politiker mit Energiethemen wenig sensibel. Ich möchte Sie daher bitten, ökonomischen Sachverstand in die politische Diskussion einzubringen, was in diesem Fall bedeutet:

  1. Erklären Sie der Politik, warum Energieträger nicht schnell und einfach gegeneinander ersetzbar sind und welche Wirkungen eine Sanktionsspirale wirklich haben kann!
  2. Betrachten Sie unsere Wirtschaft nicht ausschließlich als Exportwirtschaft, die Arbeitsplätze bereitstellt. Beachten Sie insbesondere die Fragen der Versorgung für die Bevölkerung!
  3. Erläutern Sie sowohl den (D)IHK-Mitgliedsunternehmen wie der Politik, welche strategischen Maßnahmen sinnvoll und notwendig sind, um die Importabhängigkeiten von Erdgas und Erdöl zu verringern!

Ich habe Sorge, dass unsere Politik sich von der zurückhaltenden und systemkonformen Position des DIHK angespornt fühlt, sanktionsgetriebene Politik ohne Rücksicht auf Verluste zu machen: Weil sie mögliche Risiken grandios unterschätzt.

Es wäre mir willkommen, wenn die Ukraine-Krise zu mehr Sensibilität bezüglich Energiefragen führt - bei den hiesigen Unternehmen, den Haushalten und in der Politik. Ein Schock kann heilsam sein, sagt man. Vielleicht sind die Risiken aus der Ukraine-Krise heilsam für unsere Selbstverständlichkeiten, mit denen wir Energieimporte betrachten.

Das russische Finanzministerium meldete jüngst, dass es ab 2016 mit dem Rückgang der russischen Ölförderung rechnet und mit entsprechendem Rückgang in den Öl-Exporten. Von diesen ist das deutsche Verkehrssystem zu etwa einem Drittel abhängig. Insofern kann ein überschaubarer Energieschock anno 2014 hilfreich sein, um hierzulande auch die langfristige Frage anzugehen: Wie gestalten wir unsere Strom- und Wärmeversorgung und unseren Verkehr, wenn Russland uns gar nicht mehr angemessen beliefern kann?

Mit freundlichen Grüßen.

Norbert Rost