"Ich vermisse den sozialen Liberalismus"

Gerhart Baum über die Krise der FDP, Moral in der Politik und die bevorstehende Landtagswahl in Sachsen

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Gerhart Baum war von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister unter Kanzler Helmut Schmidt, anschließend bis 1991 stellvertretender FDP-Chef. Der Jurist setzt sich seit jeher für Bürger- und Menschenrechte ein und gehört zum linksliberalen Flügel der FDP. Im Gespräch erklärt der 81-Jährige, warum der Liberalismus kein Auslaufmodell ist, wie seine Partei Glaubwürdigkeit zurückerlangen kann - und weshalb Parteichef Lindner der richtige Mann zur richtigen Zeit ist.

Herr Baum, bei welcher Ankündigung Ihrer Partei haben Sie in den vergangenen Monaten gedacht: Toll, das ist wieder die FDP, wie ich sie mir vorstelle?

Gerhart Baum: Dass die Partei sich zuletzt klar positioniert hat bei den Themen Energiewende und Freiheitsgefährdung, Stichwort "IT-Revolution", ist erfreulich. Ich kann der FDP nur raten, die Freiheitsgefährdungen, die mit der digitalen Zeitenwende verbunden sind, zu ihrem Thema zu machen. Ich spüre darüber hinaus den Versuch einer Neuorientierung. Allerdings fehlt der FDP noch immer der nötige Auftrieb. Es wird immer klarer, dass die Partei in ein tiefes Loch gefallen ist, die öffentliche Aufmerksamkeit stark reduziert ist - zum ersten Mal kein Sommerinterview mit der FDP - und ihr mit dem Wegfall der Fraktion das Kräftepotential in Berlin fehlt.

Die FDP liegt in Umfragen noch immer deutlich unter fünf Prozent - weshalb kommen die Botschaften Ihrer Partei nicht beim Wähler an?

Gerhart Baum: Die Partei ist in langen Jahren thematisch verarmt, und zwar durch eine Verengung auf einige wenige Themen. Sie wurde als Wirtschaftspartei wahrgenommen, die keine Sensibilität dafür hat, dass eine Gesellschaft durch Werte zusammengehalten wird. Beispielsweise erwarte ich von der Wirtschaft auch eine ethische Grundorientierung. Die hohen Managergehälter, um ein Beispiel zu nennen, sind einfach unanständig.

Was antworten Sie jenen Leuten, die sagen, Christian Lindner fehle an der Parteispitze Unterstützung?

Gerhart Baum: In der Tat steht im öffentlichen Bild der Partei Lindner ziemlich allein. Er muss auch innerhalb der FDP neue Strukturen aufbauen. Zu viel lastet auf ihm allein, denn nur wenige aus der Führungsgruppe treten öffentlich in Erscheinung. Ich traue Lindner zu, dass er einen Aufbruch zu einer neuen FDP hinkriegt. Was täte die Partei ohne ihn? Aber: Was erreicht Lindner ohne breite aktive Unterstützung durch die FDP? Er ist dabei, Außenstehende aus verschiedenen Gruppen der Gesellschaft für einen Diskurs über den künftigen Weg einer liberalen Partei zu gewinnen, die unser Land braucht. Das ist der richtige Weg.

"Es wäre fahrlässig, einzig auf eine schwarz-gelbe Koalition zu setzen. Das wird Lindner sicher nicht tun."

Weshalb hat der Liberalismus sich in Deutschland in den vergangenen Jahren tot gestellt?

Gerhart Baum: Die erwähnte programmatische Verarmung hat schon vor der Westerwelle-Ära begonnen. Die praktizierte Abkehr von Themen, die von der Gesellschaft als wichtig empfunden werden, war von Anfang an unverantwortlich. Ein Beispiel: Welchen FDP-Politiker hat man in den vergangenen Jahren mit dem Thema Umweltschutz verbunden? Mir fällt keiner ein. Für mich ist Marktwirtschaft ohne Ökologie nicht vorstellbar. Für dieses Ziel haben wir vor Jahren in der FDP gekämpft - ich war als Innenminister wie meine Vorgänger schließlich auch Umweltminister. Kurzum: Die Partei hat sich von den guten Wahlergebnissen, dem kurzzeitigen Hype, einlullen lassen und ist währenddessen träge und unattraktiv geworden.

Das klingt nicht gerade zuversichtlich, Herr Baum.

Gerhart Baum: Das kann man doch ändern! Es ist doch offensichtlich, dass die FDP ihren Platz im Parteiensystem finden muss. Was wird denn 2017 passieren? Mit welchen Bündnissen ist zu rechnen? Was will die FDP anstreben? Fakt ist: Die große Koalition ist zurzeit nicht unpopulär, obwohl sie jede Menge Fehler macht. Ich halte es daher für wichtig, dass sich meine Partei für neue Bündnisse öffnet. Es wäre fahrlässig, einzig auf eine schwarz-gelbe Koalition zu setzen. Das wird Lindner sicher nicht tun.

Kann sich die FDP in diesem Punkt etwas von den Grünen abschauen?

Gerhart Baum: Dazu nur so viel: Schwarz-Grün ist im großstädtischen Milieu mit Stammwählern mittlerweile fest etabliert. Aber das muss nicht das letzte Wort sein. Wir müssen diesen Wählern ein glaubwürdiges liberales Angebot machen. Diejenigen, die die Vorstellung haben, die FDP werde automatisch wieder hochkommen, wenn die große Koalition Fehler macht, täuschen sich. Eine Menge Menschen sind verärgert über die Entscheidungen der Koalition, dennoch ist die FDP für sie bisher keine Alternative.

Liegt es auch an der Sozialdemokratisierung der CDU, dass die FDP als liberale Partei unkenntlich geworden ist?

Gerhart Baum: Die Sozialdemokratisierung der CDU darf die FDP nicht dazu verführen, sich gegen soziale Themen zu stemmen. Die Partei hatte vor der Bundestagwahl ohnehin den Fehler gemacht, ständig zu sagen, was sie nicht will, statt zu präsentieren, was sie will, wo es hingehen soll, wofür die Partei steht. Die Sozialdemokratisierung der CDU darf nicht davon ablenken, dass die FDP darüber nachdenken muss, ob sie nicht gut beraten ist, sich wieder ein sozial-liberales Profil zuzulegen. Auch Arbeitnehmerinteressen gehören zu einer freiheitlichen Gesellschaft. Die SPD hat darauf kein Monopol.

"Zur Verteilungsgerechtigkeit gehören Korrekturen bei der Erbschaftssteuer, die Karlsruhe sicher fordern wird."

Sie sprechen sich für eine Rückbesinnung auf die Freiburger Thesen aus, zumindest auf deren Grundsatzpositionen.

Gerhart Baum: Ja, ich vermisse den sozialen Liberalismus, wie er im Freiburger Programm definiert wird. Die Verbindung des Marktes mit Werten, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Die FDP muss die Kraft haben, den Begriff der Gerechtigkeit aus liberaler Sicht zu definieren. Das hat sie bislang leider zu wenig getan. Für mich ist zum Beispiel die ungleiche Vermögensverteilung im Land ein wichtiges Thema - ein kleiner Prozentsatz von Menschen hält einen hohen Prozentsatz der Vermögen. Es geht aber nicht nur um Leistungsgerechtigkeit, so wichtig diese ist, sondern auch um Verteilungsgerechtigkeit in unserem Lande. Dazu gehören Korrekturen bei der Erbschaftssteuer, die Karlsruhe sicher fordern wird. Auch Ungerechtigkeit ist eine Gefahr für eine freie Gesellschaft.

Hat die FDP in den vergangenen Jahren das weit verbreitete Vorurteil gestärkt, der Liberalismus sei kalt und würde nur einer bestimmten Klientel dienen?

Gerhart Baum: Ja, genau das ist der große Fehler. Man hatte manchmal das Gefühl, die Partei verkürze ihre Politik auf den Markt. Doch nicht mal das hat sie konsequent durchgezogen. Der Markt muss gebändigt werden. Auch die Experten der FDP haben dabei zu lange gezögert, auch beim notwendigen Schutz der Verbraucher. Im Übrigen warne ich vor dem Gebrauch eines falschen Mittelstandsbegriffes, der leider noch immer in der FDP herumwabert. Für mich gehört jeder leistungsorientierte Bürger zum Mittelstand oder, besser gesagt, zur Mittelschicht. Und nicht nur eine bestimmte Gruppe von Unternehmern. Der Handwerksmeister ist als liberaler Wähler wichtig, aber eben auch seine Mitarbeiter sind es - und natürlich die Benachteiligten, denen neue Chancen eröffnet werden müssen. "Mitfühlender Liberalismus", so hat es Lindner vor Jahren genannt.

Gerhart Baum. Foto: Prof. Dr. Andreas Fritsch. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Mit welchem Adjektiv würden Sie die derzeitige Außendarstellung Ihrer Partei beschreiben?

Gerhart Baum: Bei allem Bemühen, es kommt zu wenig beim Wähler an. Das Interesse an der FDP ist stark reduziert. Aber es kann und muss wieder aufgebaut werden, auch zur Zeit ohne Bundestagsfraktion. Mit Themen und Personen muss die FDP in in den politischen Diskursen eine Rolle spielen. Sie muss wieder intellektuell interessant werden, auch und gerade im Dialog mit Wissenschaftlern, Unternehmern, Arbeitnehmern, Kulturschaffenden und anderen in der Gesellschaft. Sie muss Steine ins Wasser werfen, dass die Leute sagen "das hätten wir der FDP nicht zugetraut." Das ist alles leicht gesagt, aber nur mit großer Kraft umzusetzen.

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