Die Propaganda des Bösen

Der Islamische Staat will eine archaische und destruktive Männergesellschaft etablieren, die auf Waffen, Grausamkeit und Medien basiert

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Der Islamische Staat hat erneut ein Video veröffentlicht, in dem die Islamisten wieder Horror und Schrecken mit ihrer Brutalität und willkürlichen Exekutionen verbreiten wollen. Die Strategie, mit solchen Bildern den Widerstand zu brechen und die Bevölkerung zu unterjochen, war offenbar bislang erfolgreich. In den beherrschten Gebieten wird die Scharia eingeführt und kontrolliert, man sucht aber auch die unterworfene Bevölkerung durch soziale Maßnahmen oder Geschenke an Kinder zu versöhnen.

Massenexekutionen für die Kamera.

Die Bilder wurden auch von westlichen Medien verbreitet, die darüber zwar mit Abscheu berichten, aber gleichzeitig den Zwecken der Islamisten dienen. Schließlich wurden sie auch deswegen gemacht - und die Menschen geopfert -, um an die Weltöffentlichkeit zu gelangen und sich als effiziente, aber tödliche Gruppe vorzustellen. Dieses Bildritual wurde vornehmlich und sehr erfolgreich von al-Qaida im Irak von den tschetschenischen Islamisten übernommen. Mit Bildern und Videos von Enthauptungen, Morden und Anschlägen, die über das Internet verbreitet und von den Medien aufgenommen wurden, ließen sich neue Anhänger und Sponsoren werben, konnte Angst verbreitet, die eigene Bedeutung vergrößert und vor allem Aufmerksamkeit generiert werden. Die Anschläge von 9/11 hatten gezeigt, dass Bilder mit einer Ästhetik des Bösen und der Destruktivität schlagartig für Prominenz sorgen, die die Terrordrahtzieher suchen und sie immerfort durch neue Taten und Bilder aufrechterhalten müssen. Dabei muss mit den Massenmedien gespielt werden, die zum Komplizen werden und mit dazu beitragen, dass eine kleine Bande von al-Qaida-Islamisten in Afghanistan zum ebenbürtigen Gegenspieler der Supermacht USA wurden, die einen "globalen Krieg" ausriefen, der mittlerweile tatsächlich immer stärker globalisiert wird. Al-Bagdadi, einst bei al-Qaida im Irak tätig, führt geschäftstüchtig und mit Ablegung jeder Art von Skrupel die Strategie fort, konnte in Syrien die Gruppe neu erfinden, mit Geld und Waffen ausstatten, und schickt sich nun an, als selber ernannten Kalif zum neuen Bin Laden zu werden.

Ob das Spiel lange gut geht, darf bezweifelt werden, zumal der Islamische Staat auch schnell einstige Verbündete fallen lässt und ebenso mörderisch gegen sie vorgeht wie gegen ihre Feinde, die im Augenblick in der Regel auch Muslime sind, aber für die Islamisten nicht den richtigen Glauben haben. Das jetzt im Umlauf befindliche Video zeigt vermutlich Szenen Anfang Juni, als der Islamische Staat Mosul einnahm und viele Soldaten und junge Männer hinschlachtete, die nicht wie die meisten Truppen geflüchtet waren. Bilder von den brutalen Schauspielen, die vor allem auch für die Kameras inszeniert wurden, zirkulierten schon damals, sie hatten plötzlich die Weltöffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht, dass der Krieg in Syrien schon längst auf den Irak übergriffen hat, der nun zu einem Teil durch "Blitzkrieg" an die Islamisten gefallen war, die mit der Erstürmung von Bagdad drohten.

Gefeiert wird die Ästhetik der Destruktion

Die Islamisten zeigen den Furor einer Schreckensherrschaft. Gerade im Zeichen des Heiligen ist ihnen nichts mehr heilig. Die Menschen, die nicht auf ihrer Seite stehen oder von der Bande unterworfen werden sollen, werden kaltblütig abgeschlachtet. Wut ist nicht zu bemerken, es sind Henker, die ihre Arbeit verrichten, weil sie offenbar gottgefällig ist. Die Szenen erinnern an die von den Nazis begangenen Massenmorde. Exekutiert wird die absolute Macht über Leben und Tod, die reine Negation und Destruktivität. Nicht nur gegenüber den Mitmenschen, sondern auch gegenüber den Dingen. Zelebriert wird so etwa das Sprengen von Heiligtümern, die für die Islamisten dem Götzendienst dienen, die Lust an der Zerstörung.

Die radikalen salafistischen Islamisten wollen zwar einen wieder von Männern dominierten vormittelalterlichen Gottesstaat schaffen und können mit Bildung, Wissenschaft oder Kultur nichts anfangen, ganz zu schweigen von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und pluraler Zivilgesellschaft, aber sie nutzen alle Möglichkeiten, die ihnen die moderne Technik bietet. Zwar werden Frauen gesteinigt, Dieben die Hände abgehackt, Feinde geköpft und vermeintliche Übeltäter ausgepeitscht, während die Körper und die Gesichter der Frauen möglichst weitgehend versteckt werden müssen. Aber vom Westen entwickelte moderne Waffen, Fahrzeuge und Kommunikationstechnik werden hemmungslos benutzt. Eine Rechtfertigung scheint nicht notwendig zu sein, im Kampf im Namen Allahs ist alles gestattet, auch die größte Brutalität und Grausamkeit.

Manchmal hat man den Eindruck, dass die islamistischen Terrororganisationen, die die überflüssigen jungen Männer anziehen und ihnen ein Abenteuer und die Ausübung von Macht anbieten, die Konfrontation mit der irreversiblen Realität des Todes, den es in der virtuellen Welt nicht gibt, auf die Hollywood-Actionthriller abfahren. Kämpfen, vernichten, zerstören ist das Hauptgeschäft - und das wird medial und ästhetisch inszeniert. Ganz wichtig ist die Propaganda, das wissen die Islamisten spätestens seit 9/11. Daher hat der Islamische Staat auch seine Propaganda-Abteilung, das AlHayat-Medienzentrum, das die Botschaft in Wort und Bild in vielen Sprachen verbreiten soll. Der Abteilung wurde ausgerechnet ein Name gegeben, der Leben bedeutet.

Auffällig ist, dass die gepflegte Ästhetik nicht subversiv ist, sondern visuell die Sehgewohnheiten von Werbung nur bedient. In der Nachfolge von Al-Qaida im Jemen veröffentlicht auch der "Islamische Staat" ein "Magazin" mit dem Namen "Dabiq" auf Englisch, das im Westen die Organisation, ihre "Erfolge" und ihre Ideologie darstellen soll und natürlich Anhänger rekrutieren will. Die zweite Ausgabe zum Ramadan stellt die Alternative Tod oder Überleben anhand der Arche Noah, die übrigens in der Nähe von Mosul gestrandet sein soll. Der "Islamische Staat" wird als rettende Arche Noah präsentiert. Wer dort keine Zuflucht sucht, den erwartet die Sintflut. Geworben wird dafür, das vom Islamischen Staat ausgerufene Kalifat zu unterstützen oder für es zu werben. So sollen Bai'a in den Moscheen oder Versammlungen von Muslimen überall auf der Welt ausgerichtet werden, in denen dem Kalifat die Treue geschworen wird. Dieses Ritual soll gefilmt, im Internet verbreitet werden und anstecken. Die Dabiq-Schreiber setzen auf Viralität. Aber da funktioniert die Gewalt, verbreitet durch Snuff-Videos, einfach besser.

Als Außenstehender fragt man sich freilich, warum gerade die zahllosen aneinandergereihten Zitate aus dem Koran und anderen Schriften Interesse gerade von jungen Menschen erwecken sollten. Vermutlich sind es aber die Darstellungen eines Kampfes um Tod und Leben und die Erzählungen von den Leiden des sunnitischen Volkes, die eine Rekrutierung spannend machen. Wer kann schon mal wild herumschießend sein wert- und sinnloses Leben für eine angeblich große Sache einsetzen - und das auch noch auf der Seite Gottes? Und es wird die Wahl zwischen der "absoluten Wahrheit" und der "vollständigen Falschheit" angeboten. Aber für die Islamisten gibt es keine Wahl, sondern nur eine richtige Entscheidung: für uns oder gegen uns, d.h. für Allah und gegen ihn. Ausführlich wird gegen eine "Methodologie der freien Wahl" zwischen richtig und falsch polemisiert, die man wohl als ein Übel betrachtet, vom rechten Weg abzugehen, nachdenken ist des Teufels. Noah habe schließlich auch die Menschen aufgefordert, ihm zu folgen, um der Sintflut zu entgehen. Eine krause Argumentation, um die Führerschaft des Kalifats des Islamischen Staats zu rechtfertigen.

Es gibt auch eine Begründung dafür, warum der Islamische Staat nicht nur Ungläubige, sondern auch Muslime verfolgt und tötet sowie muslimische Heiligtümer zerstört. Nicht jeder, der sagt: "Es gibt keinen Gott außer Gott", sei frei von Shirk (Vielgötterei). Es gebe nicht viele, die den Ruf zu Gott heute wirklich verstehen, viele Strömungen des Islam seien von der reinen Lehre abgewichen. Früher zur Blütezeit des Islam sei das einfacher gewesen, da habe es noch "keinen Baathismus, Säkularismus, Liberalismus, keine Demokratie oder etwas anderes gegeben, das dem Glauben an die Einheit Gottes widerspricht". Der Islamische Staat vertritt mithin die einzige Ausrichtung, alle anderen Ansichten müssen ausgerottet werden: "Wir sind entschlossen, gegen jeden vorzugehen, der versucht, uns von unserer Verpflichtung abzulenken, die Religion Allahs über alle anderen Religionen triumphieren zu lassen. Daher werden wir weiter die Menschen, die abgewichen sind und falschem Rat folgen, bekämpfen, bis wir sterben, um die Religion triumphieren zu lassen". So seien die Kurden zwar meist sunnitisch, aber man bekämpfe im Irak und in Syrien die kommunistische PKK bzw. die PYD.

Breiten Raum nimmt die Auseinandersetzung mit anderen islamistischen Gruppen wie der Islamischen Front und vor allem al-Nasra ein, die sich al-Qaida zurechnet und dem Islamischen Staat nicht radikal genug ist, weil sie auch mit "säkularen" Gruppen kooperiert. Der al-Nusra-Front wird vom IS vorgeworfen, mehr und mehr als eine Art Gang ohne zentrale Führung zu agieren. Dabei geht es vornehmlich darum, wer die Vorherrschaft hat. Während al-Qaida-Chef al-Sawahiri den Islamischen Staat wegen seiner Grausamkeit rügt, sagte sich der IS von al-Qaida los und rief schließlich das Kalifat aus. Für die Richtigkeit des IS soll vor allem der Erfolg sprechen, große Teile von Syrien und dem Irak eingenommen und die Grenzen zwischen Syrien und Irak beseitigt zu haben. Man habe die irakische Armee aufgelöst und Tausende von Schiiten getötet, die nun, so schreiben die Autoren, von al-Qaida als Muslime bezeichnet werden.

Auch Bilder von Steinigungen sollen für IS werben

Am Schluss finden sich Fotos mit Hinweisen auf Tätigkeiten, die dem Islamischen Staat offenbar wichtig sind. Besonders auffällig ist allerdings, dass Frauen weder in Wort noch Bild eine Rolle spielen. Nach der Exekution von Kämpfern anderer islamistischer Gruppen wird gezeigt, dass der Islamische Staat für das Iftar-Mahl während des Ramadan sorgt und ausgewählten Familien mit Spenden (zakat) aushilft. Es wird Fleisch an die Bedürftigen verteilt und man sorgt neben dem Brot auch für die Spiele und die Erbauung. Gleich danach heißt es, man habe eine Frau wegen Ehebruchs gesteinigt, gezeigt wird eine Horde von Männern. Dann folgen Bilder von zerstörten Panzern und von der "Befreiung" einer Stadt. Dann geht es um Waisen, um die man sich kümmert, gefolgt von Bildern von der Einnahme des Stützpunkts des 121. Regiments in Al-Barakah oder der Tötung von schiitischen Soldaten in Hadīthah. Gefeiert wird auch die Einnahme des Stützpunkts der 17. Syrischen Division bei al-Raqqa. Das scheint wichtig zu sein, um zu demonstrieren, dass der IS auch das Assad-Regime bekämpft:

Numerous enemy soldiers fled from the base in terror and were subsequently rounded up in nearby villages and executed by the mujāhidīn. The hands of the mujahidin soaked in the blood of the filthy nusayriyyah are a testament to the jihād of the Islamic State against Bashar and his minions.

Natürlich wird auch der Krieg von Israel gegen die Hamas in Gaza aufgegriffen. Man werde die "barbarischen Juden" bekämpfen. Der Islamische Staat rede nicht nur, seine Taten sprechen lauter als die Worte, es sei nur eine Frage der Zeit, bis man Palästina erreiche. Das ist eine deutliche Drohung.