"Im Gegensatz zu Russland lehnt die EU politische Interventionen in Nachbarstaaten ab"

Gernot Erler (SPD) über die Sanktionspolitik gegen Russland

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Die Luft schwirrt vor Gerüchten, deren Wahrheitsgehalt kaum noch zu bewerten ist. In der Vergangenheit durchaus verlässliche Quellen, halten heute vielfach einer einfachen Plausibilitätsprüfung nicht mehr stand. Vor diesem Hintergrund hatte Telepolis die Gelegenheit zu einem Interview mit dem Freiburger Bundestagsabgeordneten Gernot Erler (SPD), dem Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses.

Gernot Erler

Was soll mit den Sanktionen gegen russische und ukrainische Personen/Firmen erreicht werden?

Gernot Erler: Eine Änderung des Verhaltens: Keine weitere Unterstützung mehr der Separatisten, weder mit Geld, Waffen oder Kämpfern, und Beiträge zur Deeskalation der Lage in der Ostukraine.

Inwieweit überschneiden sich die US-Sanktionen mit den EU-Sanktionen und inwieweit sind sie komplementär?

Gernot Erler: Die Sanktionen in ihren verschiedenen Stufen sind immer abgestimmt gewesen und ergänzen sich wechselseitig.

Woraus leiten die Sanktionierenden ihr Recht auf Sanktionen ab?

Gernot Erler: Aus dem Recht, den Austausch mit bisherigen Partnern, die permanent internationales Recht verletzen, einzuschränken oder auszusetzen.

Für welchen Zeitraum sind die Sanktionen gedacht?

Gernot Erler: Die Sanktionen sind alle zeitlich limitiert, bei denen der letzten Runde (3. Stufe) auf 12 Monate. Eine erste Überprüfung erfolgt bereits nach drei Monaten.

Sind weitere Sanktionen in der Planung?

Gernot Erler: Weitere Sanktionen sind möglich, wenn sich am Verhalten der russischen Seite nichts ändert.

Wer entscheidet, ob die gestellten Forderungen erfüllt wurden?

Gernot Erler: Die EU hat die Sanktionen beschlossen und entscheidet logischerweise auch über ihre eventuelle Aufhebung.

In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass mit Sanktionen eine Schwächung eines Staates intendiert wurde, um danach einen militärischen Angriff folgen zu lassen. Gibt es Anhaltspunkte, dass dies im Falle Russlands nicht so ist?

Gernot Erler: Niemand plant einen Angriff auf Russland. Der Angegriffene ist die Republik Ukraine, in ihrer Existenz und ihrer territorialen Integrität, belegt durch die Annexion der Krim-Halbinsel gegen internationale Verträge mit der Unterschrift Russlands.

"Moskau nutzt den Transnistrien-Konflikt immer wieder als Hebel"

In Syrien konnte gemeinsam mit Russland das vorliegende Giftgas entsorgt werden. Sind vergleichbare Aktionen in der nahen Zukunft noch denkbar?

Gernot Erler: Die Weltgemeinschaft braucht bei mehreren Konflikten die Unterstützung durch eine konstruktive Politik Russlands. Ob Russland für solche Kooperationen auch künftig zur Verfügung steht, hängt sicher von dem weiteren Verlauf des momentanen Konflikts ab.

Neben der Ukraine besteht mit Moldawien/Transnistrien ein weiterer Konflikt in Europa. Die USA haben die Zugehörigkeit Transnistriens zu Moldawien im Juli nochmals ausdrücklich bestätigt. Wie kann sichergestellt werden, dass sich vor dem Hintergrund russischer Truppen in Transnistrien dort kein größerer Konflikt entwickelt?

Gernot Erler: Moldawien nimmt am EU-Programm der Östlichen Partnerschaft teil, hat am 27. Juni ebenfalls ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet und kann sich auf die Unterstützung Europas verlassen. Moskau nutzt den Transnistrien-Konflikt immer wieder als Hebel, um Einfluss auf die Politik Moldawiens zu nehmen, und verfügt hier durchaus über Eskalationspotential.

Eurasien ist geografisch gesehen ein Kontinent mit zwei unterschiedlich großen Teilkontinenten. Eine stärkere Integration wird hier vor allem von China angestrebt. Welche Chancen gibt die Bundesregierung einer solchen Entwicklung?

Gernot Erler: Chinas Integrationsbemühungen konzentrieren sich bisher auf die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Größere Bewegung ist da seit einiger Zeit nicht festzustellen.

Die derzeitigen Verhandlungen zu TTIP und TISA schließen sowohl Russland als auch China grundsätzlich aus. Will man somit auf einen Ausbau des eurasischen Handels verzichten?

Gernot Erler: TTIP und TISA sind per definitionem transatlantische Handels-, Investment- und Dienstleistungsagreements mit einer jahrzehntelangen Vorgeschichte und Vorbereitung, die sich nicht spontan auf weitere Partner ausdehnen lassen. Präsident Putin arbeitet inzwischen an der von Moskau geführten Eurasischen Union. Beide Entwicklungen müssen der Vision einer kontinentalen Freihandelszone "Lissabon-Wladiwostok" nicht entgegenstehen.

Sowohl bei den Gaslieferungen, als auch beim eurasischen Bahnverkehr zeigen sich die russischen Partner als sehr vertragstreu. Wie sieht die Situation bei der Rückführung der Bundeswehrausrüstung aus Afghanistan aus?

Gernot Erler: Hier war bisher die russische Seite durchaus kooperativ. Wir setzen darauf, dass ein gemeinsames Interesse daran besteht, hier nichts zum Schlechteren zu verändern.

Welche Konsequenzen sind für die Verfügbarkeit der An-124 im Rahmen von Ruslan Salis in Schkeuditz zu erwarten?

Gernot Erler: Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass die bisher gute ukrainisch-russische Kooperation bei dem erfolgreichen Unternehmen Ruslan SALIS aus irgendeinem Grund nicht fortgesetzt werden könnte.

"Die EU-Länder waren sich immer der negativen Rückwirkungen von Sanktionen und der Gefahr einer Sanktionsspirale bewusst"

Japan hat sich inzwischen den Sanktionen gegen Russland angeschlossen. Die Schweiz verpflichtet sich wohl auf Druck der Nachbarn zu eingeschränkten Restriktionen. Andere Länder wie China halten sich zurück. Wird künftig die Methodik der Hallstein Doktrin wieder aufgegriffen?

Gernot Erler: Ich kenne keine Pläne der EU, auf Drittländer in Sachen Sanktionen irgendwelchen Druck auszuüben.

Wie viele russische Gegensanktionen will Europa aushalten?

Gernot Erler: Die EU-Länder waren sich immer der negativen Rückwirkungen von Sanktionen und der Gefahr einer Sanktionsspirale bewusst und sind deshalb bisher mit diesem Instrument stufenweise und behutsam umgegangen. Es gibt aber einen breiten Konsens, in diesem Fall den Preis zu zahlen, wenn es darum geht, gegen fortdauernde Verstöße gegen internationales Recht und internationale Regeln Maßnahmen zu ergreifen.

Die westliche Presse schießt sich seit geraumer Zeit auf Putin ein. Welche Alternativen gäbe es denn zu Putin und wie hofft Europa da eine Lösung zu finden?

Gernot Erler: Im Gegensatz zu Russland lehnt die EU politische Interventionen in Nachbarstaaten ab. Über die Zukunft von Präsident Putin entscheiden allein die russischen Wählerinnen und Wähler. Und dabei soll es auch bleiben!