Rüstungsexporte: Es geht um Geld, nicht um Menschenleben

Sigmar Gabriel inszeniert sein Veto gegen ein Waffengeschäft mit Russland. Aber dient der Fall als Beispiel für restriktivere Exportpolitik?

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Der Stopp eines bereits bewilligten Rüstungsgeschäfts mit Russland durch die Bundesregierung hat Anfang dieser Woche ein großes Medienecho ausgelöst. Mit dem rückwirkenden Verbot an der Mitwirkung beim Bau eines sogenannten Gefechtsübungszentrums für die russische Armee ist Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) deutlich über die unlängst beschlossenen EU-Sanktionen gegen Moskau hinausgegangen.

Leopard 2 auf der Eurosatory 2012. Bild: Copyleft/CC-BY-SA-3.0

Bedeutet das aber auch einen Paradigmenwechsel in der Waffenexportpolitik, wie der Sozialdemokrat glauben machen wollte? Mitnichten. Auch unter Gabriel haben die Rüstungsausfuhren zugenommen, neue Rekorde wurden aufgestellt. Verkauft werden deutsche Waffen auch an Diktaturen und undemokratische Regime. Eigene Regelwerke zur Exportregulation im Rüstungsmarkt werden gebrochen. "Es geht nicht um Geld", sagte Gabriel, "es geht um Menschenleben." Eine solche selbstbewusste Selbsteinschätzung verdient einen Realitätscheck.

Zunächst zum Russland-Geschäft. Die Süddeutsche Zeitung, die zuerst über die Lieferung der Düsseldorfer Rüstungsschmiede Rheinmetall berichtete, beziffert den Wert des Übungszentrums auf 100 Millionen Euro. Das ist im Vergleich mit den Volumina anderer Waffengeschäfte nicht nur recht wenig. Zugleich hieß es aus dem russischen Verteidigungsministerium, dass der Anteil Rheinmetalls am Gesamtprojekt ohnehin nur bei zehn Prozent gelegen habe. Welche Teile des Übungszentrums für jährlich bis zu 30.000 Soldaten aus Deutschland geliefert werden sollten, ist unklar, alle Beteiligten hüllen sich in Schweigen.

Dass das Projekt durch das Veto aus dem Berliner Wirtschaftsministerium gestoppt worden ist, wie es von dort heißt, scheint aber unwahrscheinlich. Aus Moskau jedenfalls verlautet, man könne die Komponenten mit landeseigener Technik ersetzen. Zumal die Russen genug Zeit zur Vorbereitung hatten: Das bilaterale Geschäft lag bereits seit März auf Eis. Seither liefen intensive Verhandlungen zwischen dem Berliner Wirtschaftsministerium und Rheinmetall. Es ist davon auszugehen, dass die russischen Geschäftspartner über den Stand der Dinge informiert waren.

Waffenverkäufe aus Deutschland nehmen zu

Macht der Sozialdemokrat Gabriel also Ernst mit seiner wiederholt angekündigten restriktiveren Rüstungspolitik? Nicht nur die Details des nun gestoppten Russland-Geschäftes lassen daran Zweifel aufkommen. Auch die Branchenzahlen widersprechen der Selbsteinschätzung des Wirtschaftsministers.

Auf Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Jan van Aken hatte die Bundesregierung Mitte Mai die jüngsten Zahlen bekanntgegeben. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wurden demnach zwischen Januar und April ein Viertel weniger Exportgenehmigungen erteilt. Das Volumen in diesem Jahr beläuft sich auf 1,2 Milliarden Euro. Allerdings verkauft die Bundesregierung immer mehr Waffen an sogenannte Drittländer, also Staaten, die weder zur NATO noch zur EU gehören. Fast die Hälfte der Empfängerstaaten von deutschen Waffen sind Diktaturen oder Regime mit einer teilweise verheerenden Menschenrechtsbilanz. Russland taucht unter den ersten 20 Importeuren deutscher Rüstungsgüter übrigens gar nicht auf.

Im Detail: Abgesehen von 21 Staaten, gegen die Deutschland ein Rüstungsembargo verhängt hat, können deutsche Waffenschmieden in alle Welt exportieren - was sie auch tun. Im vergangenen Jahr belief sich die Exportbilanz der Branche auf knapp fünf Milliarden Euro. Zu den Empfängerstaaten gehörten nicht nur EU-Staaten, Indien, die USA und Südkorea. Top-Importeur deutscher Rüstungsgüter war mit 825,7 Millionen Euro Algerien, dicht gefolgt von Katar, das für 673,4 Millionen Euro Panzer, Panzerhaubitzen, gepanzerte Fahrzeuge, Flug- und Panzersimulatoren und elektronische Ausrüstung kaufte. Hinzu kamen Saudi-Arabien, Indonesien, Israel, Singapur, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei. An die Regierung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan lieferten deutsche Unternehmen mit Erlaubnis der Bundesregierung Teile für Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, Panzerhaubitzen, Kampfhubschrauber, Drohnen und Teile für Kampfflugzeuge.

Eigene Grundsätze für Rüstungsexporte werden gebrochen

Im Wirtschaftsministerium verweist man gerne darauf, dass ein erheblicher Teil dieser Geschäfte noch unter der Vorgängerregierung von Union und FDP vereinbart worden ist. Dass ein Umdenken nicht stattfindet, zeigt jedoch der Umgang mit einen aktuellen Skandal um illegale Rüstungsexporte über die USA in das Bürgerkriegsland Kolumbien.

In ihren "Politischen Grundsätzen" verspricht die Bundesregierung, die Waffenausfuhr in Staaten zu stoppen, die diese Güter entgegen ihrer Versprechungen weiterverkaufen - wie im Fall deutscher Pistolen des Herstellers SIG Sauer durch die USA. Auch bei NATO-Staaten könne eine "Beschränkung geboten" sein, heißt es dort ausdrücklich. Doch auf die Nachfrage der Linken-Abgeordneten Heike Hänsel, ob denn schon entsprechende Maßnahmen getroffen worden seien, reagiert man im Wirtschaftsministerium dünnhäutig: "Nein. Die USA sind ein NATO-Partner", hieß es unlängst in den Antworten. Eine Beschränkung sei "grundsätzlich" nicht möglich, so Staatssekretär Stefan Kapferer.

Was er vergaß, war einschränkender Nebensatz. "Es sei denn", heißt es da, "dass aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen eine Beschränkung geboten ist." Diese Bedeutung misst die Bundesregierung dem Waffenschmuggel über die USA nach Kolumbien politisch jedoch nicht bei. Dabei weist das südamerikanische Land eine der höchsten Raten von Morden an Oppositionellen und Gewerkschaftern auf. 4,7 Millionen Menschen sind im eigenen Land auf der Flucht.

"Die humanitäre Rhetorik von Frieden, Freiheit und Sicherheit wird durch die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung konterkariert", sagte auch der Geschäftsführer der ökumenischen Initiative Ohne Rüstung Leben (ORL) und Sprecher der Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!", Paul Russmann. Der Aktivist wies unlängst neben den Exporten in die problematischen "Drittländer" auch darauf hin, dass die "Kleinwaffenexporte von Pistolen über Maschinenpistolen bis hin zu Sturm- und Maschinengewehren mit 82,63 Millionen Euro einen neuen historischen Höchstwert erreicht haben.

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