Wird Russland militärisch in der Ostukraine intervenieren?

Das Risiko steigt, zumal Kiew es darauf ankommen lassen will

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Menschen in Deutschland befürchten, dass der Ukraine-Konflikt in einen Krieg münden könnte, wie er auf der Seite von Kiew schon seit längerem beschworen wird. Nach einer Forsa-Umfrage für den stern halten 33 Prozent einen Krieg zwischen Nato und Russland für möglich, für 62 Prozent ist dies aber unwahrscheinlich. Das Risiko steigt, dass es zwischen Russland und der Ukraine zu militärischen Auseinandersetzungen kommt. Es ist aber wohl äußerst unwahrscheinlich, dass dann die Nato direkt die Ukraine militärisch unterstützen wird, wie das schon einmal der Fall war, als es zum Krieg zwischen Russland und Georgien gekommen ist.

Die militärische Situation in der Ostukraine aus der Sicht von Kiew.

Bislang hat die Nato noch keine Beweise dafür vorgelegt, dass Moskau direkt die Separatisten unterstützt oder sie gar steuert. Bislang scheint die russische Führung vor einer Wiederholung des Krim-Szenarios zurückgeschreckt zu sein. Inwieweit die russische Regierung oder Kreise in Russland die Separatisten angeleitet und mit Mitteln unterstützt haben, die Ostukraine zu destabilisieren, ist schwer zu sagen. Klar ist, dass das Anliegen der Separatisten von den staatlichen Medien befördert wurde, während die ukrainische Seite ebenso einseitig und verzerrt dargestellt wurde, wie dies auch die ukrainischen Meiden machen.

Sicherlich gibt es aus Russland Hilfe für die Separatisten, und natürlich hätte Moskau dafür sorgen können, dass nicht nur die Grenzstationen, sondern die gesamte Grenze kontrolliert und dicht gemacht wird, um zu verhindern, dass Menschen, Waffen und andere Ausrüstung aus Russland in die von den prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiete gelangen. Welchen Zweck Moskau damit verfolgt, ist schon schwieriger zu sagen. Offenbar wollte man keine Annexion, was erhebliche langfristige Probleme und Belastungen nicht nur international, sondern auch allein für Russland mit sich bringen würde. Schon die Übernahme der Krim ist für Russland mit erheblichen Kosten verbunden. Denkbar wäre, dass die russische Führung eine Autonomie von Teilen der Ostukraine in Form eines "unabhängigen" Staates anstrebte oder mit einer Dezentralisierung des ukrainischen Staates seinen Einfluss in die ukrainische Politik sicher wollte. Die Separatisten haben aber wohl auf jeden Fall eine eigene Dynamik entfaltet und dringen darauf, dass Russland interveniert. Das scheint sich aber auch mit den Interessen von Kiew zu decken. Dort wird von der Regierung und den Medien propagiert, dass sich die Ukraine sowieso schon im Krieg gegen Russland befindet.

Jetzt aber steht wohl ein Showdown bevor. Während Russland, durchaus im Verein mit einigen EU-Ländern wie Deutschland oder Frankreich, auf eine Verhandlungslösung gedrungen hat, die die Separatisten aufwerten würde, will Kiew dies nun offensichtlich vermeiden. Das Bestreben, die "Volksrepubliken" als Terrororganisationen einzustufen, würde auch bedeuten, dass Verhandlungen nicht mehr stattfinden können, sondern dass mit aller Härte gegen die "Terroristen", gleich ob Ukrainer oder Russen, vorgegangen werden kann.

Schon jetzt scheint man zu testen, wie auch Bombardierungen aus der Luft bei den Unterstützern der Regierung in Kiew ankommen. Obgleich auch von nichtrussischen Beobachtern bestätigt, streitet der Sprecher des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats ab, dass Donezk bombardiert wurde. Kategorisch sagte er, dass keine Luftangriffe auf Städte geführt würden, aber er konnte auch nicht erklären, wie die Zerstörungen verursacht wurden und macht wie üblich die Separatisten dafür verantwortlich. Dirk Emmerich, der für ntv und RTL in Donezk ist, hat die Zerstörungen besichtigt und geht davon aus, dass es sich um Bomben gehandelt hat.

Auch wenn man sich in Kiew in Schweigen hüllt, will man offenbar schnell eine militärische Lösung des Konflikts in der Ostukraine, nachdem bereits viele Erfolge erzielt wurden. Einen langen Krieg kann Kiew vermutlich auch nicht durchhalten, er würde auch verhindern, dass endlich ein neues und legitimes Parlament gewählt werden kann. Allerdings provoziert Kiew damit auch, dass Russland womöglich doch noch militärisch interveniert - und zwar in Form einer "humanitären Mission", die Moskau auch vergeblich im UN-Sicherheitsrat durchsetzen wollte. Nach Angaben der Nato hat Russland um die 20.000 Soldaten an der Grenze zu Ukraine stationiert. Das will man aber nicht offiziell sagen und schon gar nicht belegen, Moskau bestreitet dies und verweist darauf, dass dies schon seit Monaten befürchtet wird.

Unabhängig davon, was Putin oder die russische Führung wirklich will, könnte Moskau sich innenpolitisch gezwungen sehen, militärisch zu intervenieren. Der Nationalismus ist in Russland stark, die Sympathie für die Ostukraine groß. Allerdings sind auch nur wenige Russen nach Umfragen für eine militärische Intervention. Ein zu brutales Vorgehen der ukrainischen Streitkräfte könnte aber zu einer direkten militärischen Reaktion Russlands führen.

Militärisch kann Kiew nur verlieren. Es würde alleine dastehen, weder die Nato noch die USA würden deswegen in einen Krieg mit Russland ziehen. Man würde vermutlich die Sanktionen erhöhen und mehr Nato-Truppen an den Grenzen zu Russland stationieren, während Teile der Ostukraine dann unter russischer Kontrolle stünden. Russlands Kooperation wird schließlich nicht nur wegen der Energie, sondern auch für die Lösung der Konflikte im Nahen Osten (Iran, Syrien) oder für den Abzug aus Afghanistan gebraucht. Das jetzt beginnende Tit-for-Tat mit Sanktionen mag für beide Seiten unangenehme Folgen haben, aber wenn, was sich abzeichnet, die BRICS-Staaten einen Gegenpol zu USA/EU bilden, wären die Folgen gravierend.

Sanktionen ohne eine ernstzunehmende Drohung, selbst militärisch zu intervenieren, werden vermutlich Russland nicht davon abhalten, zur Not eine militärische "humanitäre Mission" zu beginnen. Was hätten Nato, USA und EU anzubieten? Möglicherweise eine Duldung der Annexion der Krim? Der Beschluss, dass die Ukraine (und andere Staaten wie Georgien) nicht zur Nato kommen? Die Beendigung des Plans, das Raketenabwehrsystem an der Grenze zu Russland zu installieren? Was müsste man Putin bzw. der russischen Führung also bieten, damit sie innenpolitisch ihr Gesicht wahren können, um einen Krieg zu verhindern?