Fall Mollath: Wirklichkeitsgewitter im Gerichtssaal

Staatsanwalt hält Angeklagten für schuldig - Mollaths Verteidiger geht von dessen Unschuld aus

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"Die Angaben der Petra M. sind glaubhaft. Ich glaube ihr, weil ich nicht an die Komplotthypothese glauben darf und kann. Es kann jeder an diese These glauben, aber ich bin Jurist und muss mich an objektive Tatsachen halten." - Mit diesen Aussagen, die aus dem Plädoyer von Oberstaatsanwalt Wolfhard Meindl stammen, das er am Freitag im Wiederaufnahmeverfahren gegen Gustl Mollath vor dem Oberlandesgericht Regensburg gehalten hat, verdichtet sich einmal mehr, was sich durch den Fall Mollath wie ein roter Faden zieht.

Es gibt eine schier unüberbrückbare Kluft zwischen der Sicht auf die Wirklichkeit, wie sie Behördenvertretern im Fall Mollath veranschlagen und der Sicht auf die Verhältnisse, wie sie die Unterstützer von Mollath, Behördenkritiker und teile der Bevölkerung ansetzen.

Eine kurze Rückblende

Eine kurze Rückblende: Der Unterstützerkreis von Mollath, Journalisten, aber auch kritische Beobachter, haben seit Jahren immer wieder auf das brüchige Fundament verwiesen, auf dem das viel kritisierte Urteil aus dem Jahr 2006 vom Landgericht Nürnberg-Fürth gegen Mollath steht.

Die Faktenlage, die zur Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Freiheitsberaubung geführt hat, war dünn - das war für jeden zu sehen, der es zu sehen bereit war.

Doch ein ganzer Behördenapparat einschließlich Teile der bayerischen Politik stemmten sich gegen den Vorwurf, wonach Mollath Opfer eines Fehlurteils geworden und er zu Unrecht in der forensischen Psychiatrie untergebracht war.

Gustl Mollath; Foto: Michael Förtsch; Lizenz: CC BY 3.0

Gab es die dubiosen Bankgeschäfte, von denen Mollath sprach?

Unsinn, meinten offiziell die Behörden.

Ein interner Revisionsbericht der HypoVereinsbank aus dem Jahr 2003, der erst im Jahr 2012 bekannt wurde, verdeutlichte aber, dass Mollath mit vielen seiner Behauptungen Recht hatte ("alle nachprüfbaren Behauptungen haben sich als zutreffend herausgestellt") und es kam daraufhin zu einem bemerkenswerten Interview, das die bayerische Justizministerin Beate Merk Report Mainz gab.

Report Mainz: Alle nachprüfbaren Behauptungen haben sich als zutreffend herausgestellt."
Beate Merk: "...soweit sie verfolgbar waren, haben sie sich als nicht zutreffend herausgestellt."
Report Mainz wiederholt das Zitat aus dem Revisionsbericht: "Alle nachprüfbaren Behauptungen haben sich als zutreffend herausgestellt."
Beate Merk: "...soweit sie verfolgbar waren, haben sie sich als nicht zutreffend herausgestellt."
Report Mainz: "...das heißt?"
Beate Merk: "...dass sie, soweit sie verfolgbar waren, nicht zutrafen."

Gab es ein politisches Fehlverhalten im Hinblick auf den Fall Mollath?

Natürlich nicht. So wird es zumindest aus dem Untersuchungsbericht zum Mollath Untersuchungsausschuss aus dem vergangenen Jahr deutlich. Im Wesentlichen haben alle alles richtig gemacht, lautet verkürzt das Fazit.

Ein sogenannter Minderheitenbericht der Opposition im Bayerischen Landtag sah das ganz anders: Von "einseitigen Ermittlungen" und von einer "haarsträubenden" Arbeit des Gerichts ist da die Rede.

War im Fall Mollath ein Wiederaufnahmeverfahren gerechtfertigt?

Nein, meinte (nach langer Prüfung!) das Landgericht Regensburg in einem Beschluss. Beide Wiederaufnahmeanträge, sowohl von Mollaths Verteidiger als auch von der Staatsanwaltschaft, wurden abgelehnt.

Nachdem Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt wurde, folgte einige Wochen später die 180-Grad-Wende vollzogen durch das Oberlandesgericht Nürnberg: Nun wird das Wiederaufnahmeverfahren doch angeordnet.

War Mollath zu Unrecht in der Psychiatrie untergebracht?

Natürlich nicht, meinten über Jahre die Gerichte, die die Unterbringung immer wieder überprüften.

Das Bundesverfassungsgericht sah das anders. Im September 2013 entschied es: Mollaths Unterbringung in der forensischen Psychiatrie ist spätestens seit 2011 verfassungswidrig.

Soweit die Rückblende.

Weiter im Zickzackkurs

Bis zu dieser Stelle wird deutlich: Es ist ein Zickzackkurs, der im Fall Mollath sichtbar wird, ein Zickzackkurs, der noch immer von den Behörden gefahren wird.

Betrachtet man den bisherigen Prozessverlauf im Wiederaufnahmeverfahren, spricht alles dafür, dass die Faktenbasis des Urteils aus dem Jahr 2006 auf tönernen Füßen stand. (Fall Mollath: Gutachter findet keine Hinweise auf zerstochene Reifen).

Doch nun das: Eben jener Oberstaatsanwalt, der auch einen Wiederaufnahmeantrag eingereicht hat und der im Juni 2013 laut Süddeutsche.de noch sagte, dass das damalige Gericht, das das Urteil über Mollath gefällt hatte, die Unwahrheit gesagt habe mit dem Ziel "die Voraussetzungen der Unterbringung ausreichend und überzeugend begründen zu können", ist nun aufgrund des Verhandlungsverlaufs von einer Schuld Mollaths überzeugt.

Um Meindls Aussage aus dem Plädoyer von Freitag nochmal anzuführen:

Die Angaben der Petra M. sind glaubhaft. Ich glaube ihr, weil ich nicht an die Komplotthypothese glauben darf und kann. Es kann jeder an diese These glauben, aber ich bin Jurist und muss mich an objektive Tatsachen halten.

Wie diese "objektive Tatsachen" aussehen, erklärte er dem Gericht auch. Demnach sei es im wesentlichen das Ergebnis der Beweisaufnahme, das ihn zu diesem Schluss habe kommen lassen. Diese habe nämlich ergeben, dass Mollaths Ex-Frau nicht dramatisierend vorgegangen sei, auch habe sie keinen Belastungseifer gezeigt.

Und der Vermutung, dass Petra M. sich ihre Verletzungen möglicherweise selbst beigebracht haben könnte, tritt Meindl mit der Sicht entgegen:

Petra M. hätte ja mit ihrem eigenem Leben spielen müssen, um Gustl Mollath etwas anzuhängen.

Und so geht es im Plädoyer weiter. Kurzum: Oberstaatsanwalt Meindl sieht Mollath in allen Anklagepunkten überführt.

Doch Mollaths Verteidiger ist mit der Argumentation von Meindl nicht einverstanden. Der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate geht davon aus, dass Mollaths Ex-Frau sehr wohl ein Interesse daran hatte, seinen Mandanten kaltzustellen. Strate sieht in Petra M. eine Zeugin, die gelogen und involvierte Personen für ihre Zwecke manipuliert habe. Strate fordert, sein Mandant sei "ohne Wenn und Aber freizusprechen".

Das Urteil soll am 14. August gefällt werden.