Wann platzt die türkische Kredit-Blasenwirtschaft?

Quelle: Tradingeconomics

Der langjährige Aufschwung der Türkei gilt als mit Abstand wichtigster Grund für den Wahlsieg. Nur war der einer epochalen Aufschuldung zu verdanken, die zweifellos in einem Desaster enden wird

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Der Boom, den die Türkei unter Recep Tayyip Erdogan erlebt hat, war atemberaubend. So hat sich das Sozialprodukt seit 2002 fast vervierfacht, überall schossen Einkaufszentren und Wolkenkratzer aus dem Boden, dazu kamen Autobahnen, Kraftwerke und sonstige Infrastruktur, was die Türkei offensichtlich einen gewaltigen Sprung nach vorne hat machen lassen. Der Boom ging dabei auch während der "Great Recession" munter weiter, wodurch die Türkei einer der Protagonisten des seit mittlerweile bereits sechs Jahre laufenden Emerging-Markets-Booms wurde.

Das Finanzviertel Levent in Istanbul. Bild: Mimar77/CC-BY-SA-3.0

Allerdings waren die internationalen Finanzmärkte bereits vor etwa einem Jahr erstmals ein wenig skeptisch geworden, woraufhin Währung und Börse kräftig einbrachen und auch das Wirtschaftswachstums etwas zurückgegangen war. Die internationalen Sorgen dürften berechtigt gewesen sein, da sich in der Türkei eine Blasenwirtschaft aufgebaut hat, die ihresgleichen sucht und jene der USA von 2007 locker übertrifft. Während sich die USA international aber in US-Dollar verschulden konnten, hat sich die Türkei noch dazu die sogenannte "Holländische Krankheit" geholt, die dadurch charakterisiert ist, dass Schulden in ausländischer Währung angehäuft wurden, die immer höher werden, sobald die Landeswährung einbricht.

Dabei bestehen wenig Zweifel, dass Erdogan diese Kredit-Blasenwirtschaft bewusst in Gang gesetzt hat. So verteidigte er die jahrelangen Niedrigzinsen schon 2011 mit seinem Wunsch, dass "die Leute ihre Einkommen durch Arbeit und nicht durch Zinsen erhöhen", was türkische Kommentatoren mit seinem Wunsch erklären, das Zinsverbot der Scharia umzusetzen. Die Türkische Zentralbank hat seinem Wunsch jedenfalls entsprochen und die Realzinsen jahrelang weit unter Null, gehalten, bis sie diesen Januar letztendlich von einem massiven Einbruch des Außenwerts der türkischen Lira gezwungen war, die Zügel kräftig anzuziehen.

Allerdings hatten die jahrelang negativen Realzinsen zur Folge, dass die Türkei mit einem Anteil von 70 Prozent das weltweit einzige Land ist, dessen Sozialprodukt so sehr vom privaten Konsum abhängt wie die USA. Dadurch haben sich die Schulden des Privatsektors laut der Türkischen Zentralbank seit 2008 annähernd vervierfacht, während das Sozialprodukt nur um rund ein Drittel angestiegen ist. Dabei waren die Privatkredite von 2005 bis 2008 jährlich um 60 Prozent angestiegen und auch 20013 lag der Zuwachs noch bei 28 Prozent. Die 57 Millionen in der Türkei ausgegebenen Kreditkarten sind mittlerweile mit umgerechnet 45 Milliarden Dollar belastet, wovon aber bereits rund ein Drittel überfällig ist. Insgesamt ist die Haushaltsverschuldung dadurch von 4,75 Prozent der verfügbaren Einkommen auf zuletzt 50,4 Prozent angestiegen, während die Sparquote, die laut IWF in den Emerging Markets im Schnitt bei 33,5 Prozent des BIP liegt, in keinem vergleichbaren Land auch nur annähernd so niedrig ist wie mit 12,6 Prozent zuletzt in der Türkei.

Nachdem sich von 2005 bis 2013 die ausstehenden Hypothekarkredite versechsfacht haben, sucht auch die türkische Immobilienblase ihresgleichen. So sind die Immobilienpreise allein im Vorjahr im Schnitt um 28 Prozent gestiegen und der Bausektor erwirtschaftet mittlerweile einen fast 20prozentigen Anteil am türkischen BIP. Hoch verschuldet sind auch die Unternehmen und dabei vor allem jene, die direkt vom globalen Anleiheboom profitieren konnten. Dadurch ist die türkische Wirtschaft mittlerweile aber zu 90 Prozent in Fremdwährungen verschuldet, wobei sich nach den letzten Zahlen des türkischen Finanzministeriums die Auslandsschulden der Türkei nach rund 50 Milliarden Dollar im Jahr 2008 inzwischen auf 372,6 Milliarden Dollar belaufen, was 47 Prozent des Sozialprodukts entspricht. Davon sind noch dazu 129,1 Milliarden kurzfristig, was die türkischen Devisenreserven deutlich übersteigt und Übles befürchten lässt, sollte das Ausland seine Kredite einmal nicht verlängern wollen. Alles in allem resultierte daraus in den letzten drei Jahren jeweils ein Leistungsbilanzdefizit von mindestens sechs Prozent des BIP, das die Türkei alljährlich mit neuen Auslandskrediten finanzieren muss.

Wie jede Blasenwirtschaft kann die Türkei dabei auch auf beeindruckende Niveaus an Korruption verweisen, wobei die Türkei laut Forbes mittlerweile die siebthöchste Zahl an Milliardären aufweist und die Zahl der Türken mit einem Vermögen von mehr als 30 Millionen Dollar alleine im Vorjahr um 10,5 Prozent zugenommen hat. Vermutlich werden das auch diejenigen sein, die am Besten davon kommen, wenn das Unvermeidliche geschieht.

Bislang hat sich weltweit kein Land derartige Ungleichgewichte leisten können, ohne mit einer schweren Krise zu bezahlen. Dabei ist nur noch offen, wie lange es dauert, bis die Situation kippt. Das könnte etwa als Reaktion auf die Zinserhöhungen der Notenbank geschehen oder wenn in einem anderen Emerging Market eine Krise ausbricht - immerhin liegt die letzte Emerging-Market-Krise bereits ungewöhnlich lange 16 Jahre zurück.

Dann wird das internationale "Hot Money" die Türkei jedenfalls fluchtartig verlassen, kurzfristige Kredite werden nicht verlängert und die Wirtschaft wird Massenentlassungen vornehmen. Gleichzeitig werden die Immobilienpreise einbrechen, die überall wuchernden Bauprojekte verwandeln sich in Investitionsruinen und der pulsierende Bausektor wird auf ein Minimum zusammenschrumpfen. Folglich werden die Haushalte massive Einkommensverluste hinnehmen und ihre Sparquoten drastisch erhöhen müssen, und nicht wenige werden unter ihren Krediten zusammenbrechen. Sollten die Türken dann Erdogan als Schuldigen identifizieren, dürften seine Wahlchancen beim nächsten Mal wohl etwas bescheidener ausfallen.