Justizkritik: Von innen heraus ist kein wesentlicher Widerstand möglich

David Jungbluth warnt vor einer Aushöhlung des Justizapparates und sieht die Politik in der Pflicht

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"Wenn Probleme bestehen und bekannt sind, aber dennoch negiert werden, stellt dies nichts anderes als einen Fall von politischem Versagen dar", sagt David Jungbluth im zweiten Teil des Interviews zum Thema "Justizkritik" im Hinblick auf das Verhalten vonseiten der Politik. Jungbluth, der nach beinahe zwei Jahren Tätigkeit als Staatsanwalt und Richter desillusioniert aus dem Justizdienst im Saarland ausgeschieden ist, geht mit der Justizpolitik scharf ins Gericht. Er geht davon aus, dass die Aushöhlung des Justizapparates aufgrund von Einsparungsmaßnahmen dem Rechtsstaat einen schweren Schaden zufügt. "Politik als auch die Bevölkerung sollten sich ... ernsthaft fragen, was ihnen ein funktionierendes Rechtssystem wert ist", sagt Jungbluth.

Lassen Sie uns nochmal über das Arbeitspensum sprechen, das ein Staatsanwalt leisten muss. Sie haben etwas von Aktenbergen im Büro erzählt. Können Sie hierzu ein paar Zahlen nennen?

David Jungbluth: Bei der Staatsanwaltschaft war ich in einer allgemeinen Abteilung eingesetzt. In einer solchen dürfte die Zahl der laufenden Verfahren durchschnittlich wohl bei mindestens 150 Verfahren liegen. Da ist auch viel Bagatellkriminalität dabei, wie Ladendiebstahl oder ähnliches. Es können aber durchaus hochkomplexe Verfahren wie Betrug, Untreue oder auch Unterhaltspflichtverletzungen behandelt werden. Gerade die vorgenannten Fälle erfordern aber oftmals einen riesigen Ermittlungsaufwand. Dazu kommt, dass - gerade auch im Saarland aufgrund der Nähe zu Frankreich - viele Fälle einen Auslandbezug aufweisen, in welchen dann förmliche und damit äußerst zeitaufwendige Rechtshilferersuchen gestellt werden müssen.

Zu Beginn meiner Zeit bei der Staatsanwaltschaft wurde mir gesagt, dass im Durchschnitt circa 100 Verfahren im Monat neu auf einen Staatsanwalt eingetragen werden, mithin in einer ebensolchen Größenordnung Verfahren zu erledigen sind. Das hat am Anfang so auch ungefähr gestimmt. Als ich allerdings zum Landgericht gewechselt bin und eine persönliche "Schlussabrechnung" vorgenommen habe, musste ich feststellen, dass ich im Schnitt 120 Verfahren im Monat neu zu bearbeiten hatte. In diesem Zusammenhang sei zudem angemerkt, dass nur weil ein Verfahren abgeschlossen ist, dieses nicht automatisch nicht mehr vorgelegt wird. Auch wenn angeklagt bzw. eine Strafbefehl beantragt oder eben das Verfahren eingestellt wurde, landet die Akte in aller Regel noch mehrere Male auf dem Schreibtisch, da noch Akteneinsichtsgesuche etc. bearbeitet werden müssen.

Zu erwähnen sind des Weiteren die sogenannten UJs-Verfahren. Hierbei handelt es sich um solche, in denen bislang kein Beschuldigter ermittelt wurde. Oftmals sind diese in der Bearbeitung nicht besonders zeitaufwendig, aber auch diese Akten müssen gelesen werden. Man bekommt im Monat zwischen 40 bis 100 Verfahren dieser Art vorgelegt, dass summiert sich also. Der Skandal dabei ist, dass diese Verfahren meiner Kenntnis nach in keinerlei Arbeitserfassungsstatistik auftauchen. Die laufen daher quasi als Bonus nebenbei. Mir wurde wortwörtlich gesagt, ich solle diese Verfahren doch zu Hause neben der Sportschau erledigen.

Wie verhält es sich denn mit der Kollegialität unter diesen Rahmenbedingungen? Welche Erfahrungen auf der menschlichen Ebene haben Sie im Justizsystem gemacht?

David Jungbluth: Grundsätzlich war mein Eindruck der, dass gerade unter den jüngeren Kollegen zunächst eine recht große Hilfsbereitschaft herrscht. Bei den älteren Kollegen sieht das meiner Erfahrung nach teilweise etwas anders aus. Dort gibt es zwar durchaus auch viele, die gerne bereit sind zu helfen, bei einigen gewinnt man allerdings auch recht schnell den Eindruck, dass man ihnen mit den vielen Fragen, die man gerade zu Beginn hat, zur Last fällt.

Bei aller festgestellten Kollegialität muss ich allerdings auch festhalten - und dies ist für mich der entscheidende Punkt, warum sich nicht von innen heraus kein wesentlicher Widerstand regt -, dass letztendlich jeder mehr oder weniger ein Einzelkämpferdasein fristet und versucht, sich eine Nische zu schaffen, in der er/sie so gut wie möglich klarkommt. Dies drückt sich dann unter anderem darin aus, dass diverse Taktiken entwickelt werden, unangenehme Verfahren an Kollegen abzudrücken beziehungsweise sich einer eigentlich sachgerechten Übernahme zu verweigern.

Zudem ist meine Erfahrung, dass in den Sitzungen der Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft - in denen es zu meiner Zeit wohl fast ständig um das Thema Arbeitsbelastung ging - regelmäßig gegeneinander geschossen und versucht wurde, die eigene Abteilung, in welcher Form auch immer, zu entlasten. Gefragt wäre aber auch hier ein geschlossenes und koordiniertes Auftreten gegenüber dem Ministerium, so dass einfach mal eindeutig und zusammen gesagt wird, so geht es nicht weiter! Dazu fehlt aber augenscheinlich der Mut.

Irgendwann kam dann der Moment an dem Sie festgestellt haben, dass Sie so nicht mehr weiter machen möchten. Wann war das?

David Jungbluth: Die endgültige Erkenntnis, dass ich so nicht mehr weitermachen kann, bekam ich am 07. Juli des letzten Jahres. Am nächsten Tag habe ich meinen Antrag auf Entlassung aus dem Dienstverhältnis gestellt.

Mitte Juni des letzten Jahres hatte ich mir das erste Mal - nach 18 Monaten im Dienst - einen länger zusammenhängenden Urlaub genommen, ohne Akten mit nach Hause zu nehmen. Das waren drei Wochen am Stück und ich hatte erstmals die Möglichkeit, mir richtig darüber Gedanken zu machen, wie das Ganze eigentlich weitergehen soll. Mir ist vor allem bewusst geworden, dass sich grundlegend nichts ändern wird, selbst wenn ich einmal in einigermaßen "ruhiges Fahrwasser", also ohne eine weitere Um- bzw. Versetzung, geraten sollte. Ich habe dennoch bis zu meinem letzten Urlaubstag mit mir gekämpft und wollte eigentlich meinen Dienst am nächsten Tag wieder antreten. Mir ist dann aber klar geworden, dass es so einfach nicht weitergehen kann.

"Die Menschen verlieren den Glauben an die Staatlichkeit und das Gemeinwesen, wenn sie sehen, wie mit ihnen und ihren Anliegen vor den Gerichten umgegangen wird"

Was genau waren die Gründe?

David Jungbluth: In diesem Zusammenhang war für mich unter anderem maßgeblich, dass sich abzeichnete, dass die Landesregierung im Laufe der nächsten Jahre weitere 10 Prozent der Richterstellen ersatzlos wegfallen lassen will. Ich habe dann nur noch die Perspektive gesehen, entweder mehr oder weniger meine gesamte Lebenszeit einem System zu opfern, das ich in dieser Form für nicht akzeptabel halte, oder in einen absoluten Arbeitsopportunismus zu verfallen und mich irgendwie durchzuschlängeln. Letzteres dann im Zweifel auf Kosten der weniger opportunistischen Kolleginnen und Kollegen, die die dann etwaige Arbeitsvermeidungsmaßnahmen aufzufangen hätten, und/oder zu Lasten der rechtssuchenden Bürgerinnen und Bürger. Beides waren für mich keine Optionen.

In einem Brief an die saarländische Justizministerin haben Sie dann dargelegt, dass Sie Ihre Entscheidung nicht unüberlegt getroffen haben. Sie schildern detailliert, was Sie bewogen hat, aber verweisen auch explizit auf die Probleme innerhalb des (saarländischen) Justizsystems. Wie war die Reaktion auf Ihren Brief? Was sagt die Justizministerin?

David Jungbluth: Nach dem Eingang meines Begründungsschreibens wurde ich von Seiten des saarländischen Oberlandesgerichtspräsidenten zu einem Gespräch eingeladen. Die Einladung war sehr wohlwollend und verständnisvoll formuliert. Es war allerdings so, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt noch offiziell im Dienstverhältnis befunden habe, da das Ausscheiden aus dem Richteramt ein Verwaltungsverfahren nach sich zieht, das etwas Zeit in Anspruch nimmt. Ich wollte aber zum einen vermeiden, dass noch versucht wird, auf meine Entscheidung Einfluss zu nehmen, zum anderen war es mir wichtig, dem Präsidenten "auf Augenhöhe" zu begegnen, mithin nicht im Rahmen des Dienstverhältnisses. Ich habe dann um eine Verlegung des Gesprächstermins auf einen Zeitpunkt nach meinem endgültigen Ausscheiden gebeten. Daran bestand dann aber kein Interesse mehr.

Im Übrigen gab es ein recht lapidares Schreiben von Seiten des Ministeriums, in welchem mir mitgeteilt wurde, dass mein Schreiben von der damaligen Justizministerin Rehlinger (heutiger Justizminister ist Herr Jost) zur Kenntnis genommen wurde und sich mit meinen Beanstandungen auseinandergesetzt werden wird. Seitdem ist aber augenscheinlich nicht besonders viel passiert.

Wie erklären Sie sich das?

David Jungbluth: Das ist nun nicht besonders überraschend. Das Saarland hat nur wenig Geld und die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse bietet natürlich ein wunderbares Argument, um die Einsparungen zu rechtfertigen. Des Weiteren wird argumentiert, dass aufgrund der demographischen Entwicklung mit weniger anhängigen Verfahren in der Justiz zu rechnen sei. Dies ist aber in meinen Augen einfach nur vorgeschoben und letzten Endes auch recht lächerlich, da die justizielle Entwicklung einfach antizipiert wird, ohne dies auf konkrete Fakten zu stützen. Zumindest wären mir solche nicht bekannt. Dass gleichzeitig die Verfahren immer komplexer werden, beispielsweise im Strafrecht durch die sich immer weiter ausbreitende Internetkriminalität, wird in dieser "Belastungsprognose" zudem völlig ausgeblendet.

Welche Konsequenzen haben denn die Zustände im Justizsystem? Ich nehme mal an, dass hier sowohl Justizangestellte selbst leiden, aber auch Bürger, die eigentlich Hilfe von der Justiz erwarten, betroffen sind, oder?

David Jungbluth: Das ist richtig. Grundsätzlich sind die Opfer auf beiden Seiten zu finden. Einmal sind dies natürlich diejenigen Personen, die in irgendeiner Form mit der Justiz in Kontakt geraten, also jede Bürgerin und jeder Bürger. Wenn deren Verfahren nicht sachgerecht behandelt werden, kann dies im Einzelfall enorm negative Auswirkungen auf deren weiteres Leben haben. Dies natürlich finanziell oder sogar auch in freiheitstechnischer Hinsicht, bei einem zu Unrecht einer Straftat verurteilten oder einer untergebrachten Person. Aber auch die psychische Belastung dürfte nicht zu unterschätzen sein. Schließlich geht es oftmals um sehr viel. Dass hinter jedem Verfahren menschliche Schicksale stecken, geht in der Masse der Verfahren ganz schlicht und einfach unter. Zudem verlieren die Menschen auch den Glauben an die Staatlichkeit und das Gemeinwesen, wenn sie sehen, wie mit ihnen und ihren Anliegen vor den Gerichten beziehungsweise von Seiten der Staatsanwaltschaft umgegangen wird.

Auf der anderen Seite sind als Opfer aber auch die Justizangestellten zu sehen, die unter einem enormen Erledigungsdruck stehen und hierfür auch in nicht wenigen Fällen sogar gesundheitliche Schäden in Kauf nehmen.

Können Sie die Probleme näher erklären?

David Jungbluth: Nehmen wir zunächst die Parteien im Zivilprozess. Auf die wird oftmals unangemessener Druck ausgeübt, damit diese einen Vergleich schließen, obwohl ein solcher im konkreten Fall entweder eigentlich nicht in Betracht kommt, weil eine Seite mehr oder weniger vollständig im Recht ist, oder eventuell auch ganz schlicht und einfach nicht gewollt ist, da die Parteien schwarz auf weiß ein gerichtliches Urteil haben wollen.

Zu Beginn meiner Tätigkeit am Landgericht wurde ich von einem meiner Dienstvorgesetzten explizit darauf hingewiesen, dass meine Tätigkeit zukünftig die eines Richters, nicht aber die einer Mediationsstelle ist. Wenn ich dann aber von ehemaligen Kollegen unisono darauf hingewiesen werde, dass ich mein Dezernat ohne eine Vergleichsquote von 60-70% auf Dauer nicht führen kann, wird das mir vermittelte richterliche Selbstverständnis ad absurdum geführt.

Und bei einem Strafprozess?

David Jungbluth: Im Strafprozess kann es sich bei dem Betroffenen um den Beschuldigten handeln, der zum Beispiel im vereinfachten Strafbefehlsverfahren oder im Rahmen eines sogenannten "Deals" zu wenige Möglichkeiten erhält, sich zu verteidigen. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass auch die Verteidigung nicht immer unbedingt eine rühmliche Rolle einnimmt. Denn die Verteidiger haben teilweise auch ein Interesse an einer schnellen Verfahrenserledigung. Die Honorare gibt es schließlich nicht für jeden Verhandlungstag.

Weiter betroffen sind die mutmaßlichen Opfer einer Straftat im Strafprozess. Wenn ein Fall "weggedealt" oder ohne weiteres eingestellt und der vermeintliche Täter entweder gar keiner oder einer unverhältnismäßig geringen Strafe zugeführt wird, stellt dies für die Opfer quasi eine zweite Schädigung dar. Besonders befremdlich dürfte diesen unter anderem auch erscheinen, wenn Sie einen einzeiligen Einstellungsbescheid von der Staatsanwaltschaft erhalten, nach dem Motto: "Der Tatnachweis konnte nicht geführt werden" oder "Die Tat stellt keinen Straftatbestand dar". Das Papier kann man sich dann, wenn schon kein Geld da ist, auch sparen.

"Wer die Funktionsfähigkeit der Justiz sukzessive aushöhlt, stellt über kurz oder lang den Rechtsstaat und damit auch das Gewaltmonopol des Staates in Frage"

Sie haben sich aus dem System "abgeseilt", lehren nun an der Mainzer Universität. Damit sind die Probleme aber noch nicht aus der Welt. Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, um den Verwerfungen innerhalb des Justizsystem beizukommen?

David Jungbluth: Letzten Endes liegt es im Verantwortungsbereich der Politik, die strukturellen Missstände zu beheben. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass ein entsprechendes Problembewusstsein besteht. Zumindest im Saarland wurden die entsprechenden Fehlentwicklungen von Seiten der Regierung aber bisher ignoriert und jetzt, nachdem eine gewisse Öffentlichkeit hergestellt wurde, geleugnet. Die Verteidigungsstrategie ist derzeit, mich und meine Auffassung als Einzelfall darzustellen, was insofern leicht fällt, als sich bisher leider weiter keiner der ehemaligen Kolleginnen und Kollegen positioniert.

Dieses Vorgehen des Ministeriums ist zwar in meinen Augen recht durchschaubar, macht die Sache aber natürlich nicht besser. Insbesondere denke ich, dass die Leugnung von Problemständen einzig und allein unter dem Hinweis, dass es sich bei dem Betroffenen um einen (querulatorischen) Einzelfall handelt, anstatt sich mit den Missständen in der Sache auseinanderzusetzen, ein Verhalten darstellt, das doch äußerst voraufklärerisch anmutet. Wenn Probleme also bestehen und bekannt sind, aber dennoch negiert werden, stellt dies nichts anderes als einen Fall von politischem Versagen dar.

Gab es denn wenigstens auch einen öffentlichen Zuspruch von ihren Kollegen, denen es ja im Prinzip genauso gehen müsste wie Ihnen?

David Jungbluth: Nein, da kam gar nichts. Bei allem Verständnis dafür, dass man sich als Einzelner nicht angreifbar machen will, bin ich doch etwas enttäuscht, dass niemand aus dem ehemaligen Kollegenkreis, und sei es anonym, sich äußert. Hinter vorgehaltener Hand sind sie nämlich mehr oder weniger alle am Jammern und am Schimpfen.

Aber nochmal zurück zur Frage, was geändert werden müsste.

David Jungbluth: Wenn Sie mich fragen, was man in der Sache machen kann, ist die Antwort so schlicht wie einfach. Im Ergebnis braucht es ganz einfach eine bessere personelle Ausstattung. Zudem ist es so, dass bei der Staatsanwaltschaft eventuell auch im Rahmen der EDV-technischen Ausrüstung Nachholbedarf besteht. Und ein Anfang wäre schon mal, die oben beschriebene Um- bzw. Versetzungspraxis ernsthaft auf den Prüfstand zu stellen.

Mir ist natürlich auch bewusst, dass die öffentlichen Kassen nicht prall gefüllt sind, das kann für mich in diesem Zusammenhang aber kein Argument sein. Wenn ich hier als Jurist sprechen darf: Einer der wesentlichen Gründe für die aktuelle Sparpolitik ist mit Sicherheit die Einführung der bereits erwähnten "Schuldenbremsen" sowohl im Grundgesetz als auch in den Landeverfassungen. Diese wird dann natürlich schnell und gerne als Legitimation herangezogen, um Einsparungen zu rechtfertigen. Das hört sich im ersten Moment eventuell gut, böse Zungen mögen sagen populistisch an.

Es muss aber im Bereich der Justiz eines bedacht werden: Der funktionierende Rechtsstaat, und zu diesem gehört nun einmal auch eine ausreichend arbeitsfähige Justiz, wird im Grundgesetz in Art. 1 Abs. 3 und in Art. 20 Abs. gewährleistet und ist nach der Verfassung unabdingbar, er unterliegt nämlich der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG. Dies "Ewigkeitsklausel" gilt aber nicht für die sogenannten Schuldenbremsen. Im Kollisionsfall geht daher die Aufrechterhaltung des funktionierenden Rechtsstaates vor. Die Justizpolitik, die derzeit betrieben wird, hat in meinen Augen die Axt an diesen allerdings schon angelegt. Wer die Funktionsfähigkeit der Justiz auf diese Art und Weise sukzessive aushöhlt, stellt über kurz oder lang den Rechtsstaat und damit auch das Gewaltmonopol des Staates in Frage. Sowohl die Politik als auch die Bevölkerung sollten sich daher ernsthaft fragen, was ihnen ein funktionierendes Rechtssystem wert ist.

Für wie realistisch halten Sie die tatsächliche Umsetzung der angeführten Ideen?

David Jungbluth: Ob eine kurzfristige Umsetzung realistisch ist, kann ich schwer beurteilen. Das wird insbesondere davon abhängen, inwieweit ein öffentlicher Handlungsdruck entfacht wird. So lange aber sich niemand sonst aus dem Bereich der Justiz aus der Reserve traut, sondern alle weiter vor sich hinwursteln, wird ein solcher mit Sicherheit nicht entstehen. Die Strategie, mich als schwarzes Schaf in die Ecke zu stellen und die Probleme zu leugnen, wird dann wohl aufgehen.

Eines sollte aber klar sein: Nach dem Motto zu verfahren, man kann sowieso nicht ändern, ist für mich nicht akzeptabel. Wenn immer alle so gedacht hätten, würden wir uns heute noch im tiefsten Absolutismus befinden.

Welche Rolle nehmen angehende Juristen in dem Justizsystem ein, bzw.: Wie sehen Sie Ihre Situation und ihre Rolle?

David Jungbluth: Als Berufsanfänger ist man naturgemäß das schwächste Glied in der Kette. Aufgrund der mehrjährigen Probezeit ist man für einen langen Zeitraum mehr oder weniger vollständig abhängig von den Entscheidungen der Dienstvorgesetzten beziehungsweise des Ministeriums. Zu bedenken ist insofern insbesondere auch, dass in der Probezeit eine Entlassung aus dem Dienstverhältnis so gut wie keinen Begründungaufwand erfordert. Es wäre also eigentlich an den älteren, auf Lebenszeit ernannten Kollegen, sich zur Wehr zu setzen. Diese haben sich aber in meinen Augen nicht gerade durch eine besondere Zivilcourage ausgezeichnet. Die Strukturen sind hier halt auch völlig verkrustet und als Einzelner kann man wirklich nur wenig ausrichten.

Es muss hier halt auch berücksichtigt werden, dass die meisten, die in der Justiz beginnen, diese Tätigkeit als juristischen Traumberuf sehen und im Rahmen ihrer juristischen Ausbildung in aller Regel sehr viele Entbehrungen in Kauf genommen haben, um dieses Ziel zu erreichen. Da es zudem auch oftmals mit einer nicht unerheblichen Portion Glück zu tun hat, die erforderlichen Noten zu erreichen und die Arbeitsplätze in der Justiz nun einmal rar gesät sind, ist man, wenn man es denn dann tatsächlich geschafft haben sollte, als Richter eingestellt zu werden, darüber so glücklich und so dankbar, dass man scheinbar gewillt ist, nahezu jede Kröte zu schlucken. Dass der Beruf und die eigentliche Tätigkeit aber am Ende nicht mehr besonders viel mit dem zu tun haben, was man sich eigentlich vorgestellt hat, wird dann halt wohl mehr oder weniger ausgeblendet oder eben einfach in Kauf genommen.

Haben Sie einen Rat für angehende Juristen?

Der eigentlich einzige Rat, den ich geben kann - und dies versuche ich auch den Studierenden an der Universität zu vermitteln - ist der, eine gewisse Sensibilität für bestehende Probleme und auch Ungerechtigkeiten zu entwickeln sowie die erforderliche Zivilcourage zu besitzen, solche nicht stillschweigend in Kauf zu nehmen. Denn gerade die juristische Ausbildung befähigt einen in der derzeitigen Form, so widersprüchlich dies auch klingen mag, meiner Ansicht nach nicht unbedingt dazu, sich mit Selbstbewusstsein nachhaltig gegen etwaige bestehende Missstände aufzulehnen.

Zudem ist es erforderlich, sich weder blenden noch entmutigen zu lassen. Die eigentlich einzigen Antworten, die ich in meiner Zeit als Assessor auf die Frage, ob man gegen die strukturellen Probleme nichts unternehmen könne, erhalten habe, waren: "Das ist doch schon immer so" oder "Man kann da sowieso nichts machen". Das ist für einen Neuling natürlich nicht gerade ermutigend. Die einzige Möglichkeit, die daher besteht, ist jene, sich zu solidarisieren und die Missstände gemeinsam an die Öffentlichkeit zu tragen. Politik reagiert, wie gesagt, leider oftmals nur auf Druck. Dieser muss dann aber sowohl von außen als auch von innen kommen.