Der ominöse russische Hilfskonvoi

Verwirrende Kriegspropaganda: Kiew hat offenbar Vereinbarungen mit Moskau getroffen, spricht aber auch von einer konkurrierenden Hilfsmission

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Während weiterhin unklar ist, ob der russische Hilfskonvoi abgesprochen war und in die Ostukraine einreisen kann, findet sich das Komitee des Internationalen Roten Kreuzes (ICRC) offensichtlich in einer verzwickten Position. Jetzt will auch Kiew auf einmal eine Hilfsmission in die Ostukraine schicken. Sie soll international sein, aber vor allem ukrainische Hilfsgüter beinhalten. Man habe alles auch selbst, was Russland bereitstellen will, heißt es.

Das ICRC muss nun beide Missionen unter seine Fittiche nehmen oder sich für eine entscheiden. Noch scheinen im Falle des russischen Konvois viele Einzelheiten unklar zu sein. Das ICRC spricht allerdings nur von "praktischen Details", die von Russland und der Ukraine geklärt werden müssten, und nennt den Grenzübertritt und die Freigabe des Zolls. Das klingt danach, also ob grundsätzlich die Lieferung geklärt sei. Am Abend wurde aber darauf mahnend hingewiesen, dass trotz des "Mediensturms" über den Konvoi humanitäre Hilfe nicht "politisiert" werden dürfe. Die Priorität des ICRC sei, den Menschen zu helfen. Und ohne weitere Erklärung wurde noch deklariert, dass die Anerkennung des Zeichens des Roten Kreuzes entscheidend dafür sei, dass den Menschen geholfen werden kann.

Der Vorstand des ukrainischen Roten Kreuzes erklärte gestern, es würde neben einer Vereinbarung mit der Ukraine von russischer Seite immer noch eine genaue Aufstellung der Hilfsgüter fehlen. Gestern Abend soll der Konvoi etwa 600 km von der Grenze gehalten haben.

Der ukrainische Regierungschef Jazenjuk erklärte, Hilfe könne nur gemäß des internationalen Rechts und unter Kontrolle des Roten Kreuzes gewährt werden. Er warf Russland Zynismus vor: "Zuerst liefern sie Panzer, Grads, Terroristen, Banditen, die Ukrainer erschießen, und dann liefern sie Wasser und Salz." Wichtig scheint ihm zu sein, dass Kiew nicht nur kämpft, sondern auch Hilfe leistet, wenn auch nur in die "befreiten Gebiete". Mit den internationalen Partnern seien 6 Millionen US-Dollar für die Hilfe zusammen gekommen, die Regierung habe 750.000 US-Dollar für den Kauf von Hilfsgütern bereitgestellt. 279 Tonnen an Hilfsgütern seien bereits in die Gebiete geliefert worden. Allerdings sollen mit den Hilfsgütern des russischen Konvois die Zivilisten in den eingekesselten Gebieten von Lugansk und Donezk versorgt werden, was nicht im Interesse Kiews liegt.

Jazenjuk erklärte, man werde einen weiteren, also mit dem russischen konkurrierenden Konvoi mit lebenswichtigen Gütern zusammenstellen. Das Rote Kreuz solle sich lieber bemühen, diese in die Gebiete zu bringen, die von "Terroristen" kontrolliert werden. Es wäre besser, Russland würde dafür leere Lastwagen schicken und seine "Banditen" zurückziehen, dann wäre humanitäre Hilfe gar nicht notwendig. Zur Deeskalation tragen solche Äußerungen sicherlich nicht bei und sie unterstreichen, warum das ICRC vor einer Politisierung warnt, die natürlich von beiden Seiten längst betrieben wird.

Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialamts Valeriy Chaly, allerdings etwas zurückhaltender. Auch er wies darauf hin, dass humanitäre Hilfe nur in Übereinstimmung mit internationalem und ukrainischem Recht geleistet werden dürfe. Auch ihm war wichtig, dass Kiew bereits regelmäßig humanitäre Hilfe geleistet habe. Und dann erklärte er erneut, dass es der ukrainische Präsident gewesen sei, der eine humanitäre Mission für Lugansk initiiert habe, Russland habe hier seine Mithilfe zugesagt. Das klingt erneut so, als habe es doch eine Verabredung zwischen Kiew und Moskau gegeben, wie die russische Regierung gesagt hatte. Aber dann scheint er doch von einer anderen Mission zu sprechen, für die auch andere Länder ihre Hilfe zugesagt hätten. Sie würde in einigen ukrainischen Städten vorbereitet, der Hauptteil bestehe aus ukrainischer Hilfe, betonte er. Das Rote Kreuz habe über den russischen Konvoi nur allgemeine Informationen erhalten. Man würde auf jeden Fall keine Begleitung in die Ukraine zulassen, vor allem keine "so genannten Peacekeeper, die den so genannten Konvoi begleiten". Man habe erst gerade wieder einen Durchbruch von "Peacekeepern" in der Region von Charkiw abwehren können.

Dass die Regierung in Kiew Sorge vor einem russischen Konvoi hat, der möglicherweise über das von den Separatisten kontrollierte Grenzgebiet nach Lugansk gelangt und dort schon alleine durch seine Präsenz Fakten schafft, ist verständlich. Russland müsste keinerlei Peacekeeper entsenden, alleine die Präsenz von 280 Lastwagen mit humanitären Gütern und ihren Fahrern würde etwa verhindern, weiterhin die Stadt anzugreifen. Zudem wäre es eine Blamage, weil es zeigen würde, dass Kiew zwar einen Krieg gegen Teile der Bevölkerung in der Ostukraine führt, die stets nur als Terroristen, Banditen oder Söldner bezeichnet werden, aber sich nicht um das Schicksal der dort lebenden Zivilisten kümmert.

Wenn man die Äußerungen des Pressesprechers des ukrainischen Präsidenten Poroschenko, Sviatoslav Tseholkо, liest, muss man aber ins Grübeln über die vom Westen weitgehend bedingungslos unterstützte Regierung kommen. Der Pressesprecher behauptet, dass am letzten Freitag die Gefahr einer militärischen Intervention unter dem Deckmantel einer friedensstiftenden Mission bestanden habe bestanden habe. Belege gibt es keine, stattdessen sagte er, Lugansk sei wegen der "Aktionen der Terroristen ohne Strom, Wasser und Medizin", als würden die ukrainischen Streitkräfte nichts dazu beitragen. Man habe versucht, Hilfe nach Lugansk zu schicken, das sei aber von den "Terroristen" verhindert worden. Belege gibt es auch hierfür keine.

Dann erklärt auch er wieder, dass mit dem Roten Kreuz Hilfslieferungen nach Lugansk vereinbart worden seien, inklusive Hilfslieferungen von Russland. Es muss also Gespräche zwischen Kiew und Moskau gegeben haben, die nun unterschiedlich ausgelegt werden. Kiew habe die russische Hilfe akzeptiert, wenn sie mit Lastwagen des Roten Kreuzes und nur in Begleitung des Roten Kreuzes in die Ukraine geliefert werde, was Russland abgelehnt habe. Die ukrainische Regierung habe die Annahme der Hilfe in der Nacht zwischen dem 12. und 13. August akzeptiert, wenn sie vom Roten Kreuz in Lugansk verteilt werde, führte er weiter aus, um einen Einmarsch von russischen Truppen zu verhindern. Man habe mit einer "Invasion" unter dem Vorwand einer humanitären Invasion oder mit Provokationen in der Region Charkiw rechnen müssen. Jetzt sei die Ukraine Teil der Hilfsmission für Lugansk.

Alles ist ein politisches Spiel, das mit falschen Karten und Tricks von Kiew und Moskau gespielt wird. Die Bundesregierung erklärte gestern, dass russische Hilfslieferungen nur mit Zustimmung der ukrainischen Regierung erfolgen und vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes koordiniert werden. Regierungssprecher Seibert übernahm die Sprachregelung von Kiew. Die Schließung der Grenze wäre der eigentliche russische Beitrag zur Verbesserung der Lage in der Ukraine: "Denn ohne die Gewalt der Separatisten gäbe es auch keine humanitäre Notlage." Das werde daran deutlich, dass viele Flüchtlinge "nach der Befreiung ihrer Ortschaften aus der Gewalt der Separatisten" zurückkehren würden.