Störungen in der Matrix

Ein schräges Interview mit dem "Vizeverteidigungsminister" der "Volksrepublik Donezk", während der Propagandakrieg in der Ukraine tobt

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Ein Kämpfer der Miliz des "Donbass-Bataillons" berichtete auf Facebook gestern früh, dass sich im Gegensatz zu dem bald verkündeten Sieg über die Separatisten die Kämpfe in den letzten Tagen wieder verschärft hätten. Und er verweist auf die Behauptung des neuen Chefs der "Volksrepublik Donezk", Alexander Sachartschenko, dass 1200 neue, in Russland trainierte Kämpfer zur "Volksrepublik" gekommen seien. Zudem erwarte man 30 Panzer und 150 gepanzerte Fahrzeuge, hatte dieser gesagt und auch in der Video-Botschaft davon gesprochen, dass ukrainische Soldaten überlaufen und dass sich Milizen und ukrainische Streitkräfte auch gegenseitig bekämpfen würden. Nach Itar-Tass sind am Samstag offenbar 17 ukrainische Soldaten im Grenzgebiet nach Russland geflüchtet, die man dann an einem sicheren Grenzposten wieder in die Ukraine einreisen ließ.

Alexander Sachartschenko

Wie viel davon Propaganda ist, um die ukrainische Seite zu entmutigen, ist kaum nachprüfbar. Wenn allerdings der Führer des Rechten Sektors gerade jetzt ein Ultimatum an den ukrainischen Präsidenten Poroschenko gerichtet hat und mit dem Abzug der Kämpfer aus den Reihen des Rechten Sektors droht, dann spricht dies dafür, dass die Situation in den Kampfgebieten gerade kritisch sein könnte. Das belegt auch die Bitte des ukrainischen Außenministers Klimkin nach direkter "militärischer Hilfe" gestern im Vorfeld des Treffens der Außenminister der Ukraine, Russlands, Deutschlands und Frankreichs in Berlin: "Wir brauchen militärische Hilfe". Das sagt man wohl nicht, wenn man siegesgewiss ist. So soll am Sonntag auch wieder eine MIG-29 von den Separatisten abgeschossen worden sein. Es werden zudem weitere Freiwilligen-Bataillone aufgestellt, um die Verluste zu kompensieren.

Jarosch, der Führer des Rechten Sektors, hat das Ultimatum an Präsident Poroschenko inzwischen zurückgenommen, die Kämpfer aus den Milizen abzuziehen. Angeblich ist die Regierung nach einer Krisensitzung den Forderungen teilweise nachgekommen und hat die inhaftierten Mitglieder des Rechten Sektors freigelassen. Die Führung des Rechten Sektors hat den Kämpfern verboten, Waffen, Sprengstoff und Munition vom Einsatz in der "Antiterroroperation" abzuzweigen. Jarosch erklärte, an der Front gebe es nur die Richtung nach vorne. Wenn es sein muss, werde der Rechte Sektor die Regierung über die Bewegung bewaffneter Kräfte außerhalb der Kampfzone informieren.

Am Samstag hatte der Sprecher des Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrats erklärt, die Separatisten wären in Panik und wollten die Region Donezk bis zum 18. August verlassen. Lysenko sagte, die Separatisten wären durch die Angriffe der ukrainischen Streitkräfte "demoralisiert". Manche hätten bereits die Flaggen von den besetzten Verwaltungsgebäuden eingeholt, tschetschenische Söldner hätten sich aus den stark umkämpften Städte Yenakiyeve und Horlivka zurückgezogen. Die "Terroristen" würden sich als Zivilisten verkleiden und mit anderen Flüchtlingen fliehen. Man habe in den letzten Tagen an den Kontrollposten einige Männer verhaftet, die als "Terroristen" verdächtigt werden. Vorgeworfen wird den Separatisten weiterhin, selbst Wohngebiete in den Städten mit Artillerie zu beschießen und zu zerstören.

Meist wird davon ausgegangen, dass die Behauptungen von Sachartschenko als Beleg dafür gelten können, dass Moskau die Separatisten mit Kämpfern und Technik versorgt. Unklar bleibt aber, ob die russische Regierung direkt die Separatisten unterstützt oder lediglich insoweit hilft, als man die auf ukrainischer Seite von den Separatisten kontrollierten Grenzabschnitte nicht absperrt, um so Menschen, Fahrzeuge und Waffen in die Ukraine und aus ihr hinaus zu lassen. Fragen kann man sich auch, ob Sachartschenko etwa den Militärkonvoi meinte, der westlichen Journalisten zufolge aus Russland in die Ukraine gefahren ist und der nach nicht belegter Behauptung von Poroschenko teilweise vernichtet wurde. Russland hatte den Konvoi als "Phantom" bezeichnet, die OSZE teilte mit, man habe versucht, die Behauptung zu verifizieren. Dies sei aber nicht möglich gewesen. Die möglichen Grenzübertritte seien in einer Gegend geschehen, in der die OSZE-Beobachter aus Sicherheitsgründen nicht präsent sind.

Allerdings war die Rede von weiteren Kolonnen von Panzern und gepanzerten Fahrzeugen, die in die Ukraine aus Russland gefahren seien. Auch gestern soll dies nach Aussagen des ukrainischen Verteidigungsministeriums der Fall gewesen sein. Russland streitet solche Lieferungen weiter ab. Offenbar darf nun der russische Hilfskonvoi doch in die Ukraine einfahren, dort wird das ICRC die Verteilung der Hilfsgüter übernehmen. Der Konvoi soll aufgeteilt werden, so sollen jeweils nur 30 Lastwagen einreisen dürfen.

Fedor Berezin.

Leben die Separatisten in der Matrix, im virtuellen Krieg?

Novayagazeta.ru veröffentlichte am Samstag ein sehr seltsames Gespräch mit dem Science-Fiction-Autor (Der vorweggenommene Krieg, Ex-Offizier und stellvertretenden "Verteidigungsminister" der "Volksrepublik Donezk", das in einem bei den separatistischen Kämpfern beliebten Cafe in Donezk geführt wurde. Zu dem Rücktritt von Girkin bzw. Strelkow und dem Gerücht befragt, dass er verletzt sei, wollte Fedor Berezin nichts sagen, abgesehen davon, dass das Internet eine Müllkippe sei, man dürfe nicht alles glauben, was man dort sehe. Er verweist aber auf die "Matrix", die aus Nullen und Einsen bestehe und fehlerhaft sein könne. Man sei zwar vorhanden, aber nur ein Programm, weswegen man bei einem Absturz auch verschwunden sein könne. Aber da es nur ein Programm sei, brauche man sich keine Sorgen machen, weil man weiterhin am Leben sei.

Das war tiefsinnig. Aber dann sagte er auch, dass es möglichweise ja Strelkow gar nicht gebe, vielleicht würden ja alle nur in der Matrix leben. Alle denken nur, dass sie leben und dass alles in Ordnung ist, dass da ein Kaffeeautomat sei. Aber es gibt keinen Kaffee. Als er dann gefragt wurde, ob dann auch die Volksrepublik Donezk nicht existiert, kommt der stellvertretende Verteidigungsminister ins Grübeln, er habe ja nur über das Universum gesprochen. Die Volksrepublik bliebe bestehen, versicherte er. Die ukrainische Regierung bombardiere nun alles aus Verzweiflung, weil die Zeit knapp sei. Die Separatisten müssten nämlich nur noch ein wenig durchhalten, weil in Kiew bald der Zusammenbruch drohe. Es sei gar nicht notwendig zu kämpfen, man müsse nur sitzen und warten wie hier im Cafe, wo alle ihr Bier trinken und niemand kämpfen will.

Aber ihre Heimat verteidigen sie dann doch: "Wir wurden hier in Donezk geboren, ich wurde hier geboren. Wir führen den nationalen Befreiungskrieg des russischen Volks." Aber dann kommt wieder einmal die Matrix, die das Vaterland ist. Und Matrix hin oder her, stellt zwar das menschliche Leben den höchsten Wert dar, aber es gebe keinen Krieg ohne Opfer. Er wolle den Krieg nicht, aber er sei Patriot und kämpfe, wenn er in die Enge getrieben werde. Es sei auch keine Schande, den Kampf zu verlieren, aber jetzt gibt er sich siegesgewiss. Kämpfen würden vor allem Einheimische, nur wenige Ausländer. Er würde aber gerne eine Internationale Brigade aufstellen wie damals im Spanischen Bürgerkrieg. Von Verhandlungen hält der Science-Fiction-Autor, der Krieg führt, offenbar wenig. Alle fortschrittlichen Kräfte werden sich schließlich hinter sie stellen, und man wolle auch Fortschritt für alle, nicht nur für eine Elite. Daher glaubt er auch daran, dass sich das russische System verändern werden, dass Russland an einem Scheideweg zu einem neuen Russland steht. Dabei könne es wie in den 1930er Jahren in der Sowjetunion auch Opfer geben. Es sei schlimm, wenn Unschuldige getötet werden, aber man müsse den Krieg gegen die Feinde des Landes gewinnen: "Kollektive Ziele müssen den Vorrang vor persönlichen Zielen haben." Aber letztlich geht es wieder um Störungen in der Matrix.