Re- oder Deformation der griechischen Wirtschaft?

Fußgängerbrücke über die Kifissias-Avenue mit Erinnerung an die guten Zeiten von 2004. Bild: W. Aswestopoulos

Griechischer Wirtschaftsminister Dendias hofft in Berlin auf Hilfe

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Der griechische Wirtschaftsminister Nikos Dendias weilte am Dienstag in Berlin. Der Minister, dessen Amtstitel im griechischen Neusprech eigentlich "Minister für Entwicklung und Konkurrenzfähigkeit" holte sich von seinen deutschen Freunden die Zusicherung für Hilfe bei den notwendigen Reformen. So zumindest heißt es immer wieder in den entsprechenden Bulletins. Die griechische Presse wusste denn auch über interessante Arbeitsessen der griechischen Ministerdelegation in Berlin zu berichten. Während in Griechenland auf Hoffnung und Reformen eingestimmt wird, kommen einigen Kommentatoren in Berlin ernste Zweifel darüber, ob in Griechenland wirklich eine Rettung aus einer Krise stattfinde oder ob eine Krankheit chronisch wird. Vielleicht hilft eine Analyse der Wortbegriffe bei der Suche nach der richtigen Antwort.

Im Duden findet sich als Definition des Substantivs "Reform", die planmäßige Neuordnung, die Umgestaltung und die Verbesserung des Bestehenden. Wobei bei letzterer Wortbedeutung als Zusatz in Klammern "ohne Bruch mit den wesentlichen geistigen und kulturellen Grundlagen" ergänzt wurde. Prinzipiell sind Reformen demnach etwas Positives und durchaus Erstrebenswertes.

Während zu Beginn der griechischen Neufindung, also in den Jahren vor und nach der Befreiung aus dem Osmanischen Reich, die reichen Griechen und nicht nur die dem Land aus Patriotismus oder Philhellinismus entweder zu Lebzeiten durch Sponsoring halfen oder aber ihr Erbe dem Staat vermachten, soll im Reformzeitalter der staatliche Besitz in die Hände reicher Griechen wandern. Die Privatisierungen laufen ohne Bruch einiger kultureller Grundlagen ab. Sie erinnern stark an byzantinische Ränkespiele.

Die Pferderennbahn

Um die Privatisierung der Athener Pferderennbahn gibt es wirklich interessante Ränkespiele. Für 5,25 Millionen Euro wollte sich die Intralot von Sokratis Kokkalis die Nutzung der Anlage für zwanzig Jahre sichern. In den Verwaltungsrat der griechischen Privatisierungsgesellschaft TAIPED (TAIPED: griechisches Akronym für HRADF: Hellenic Republic Asset Development Fund) war kurz vorher ein ehemaliger Manager aus Kokkalis Bauunternehmen in verantwortlicher Position installiert worden.

Die TAIPED schmiss einen französischen Bieterfonds wegen angeblicher oder tatsächlicher Verstöße gegen die Ausschreibungsvorschriften trotz einem dem Verlauten nach erheblich höheren Gebot aus dem Rennen. Die Pferderennbahn wäre mit Sicherheit ohne viel Aufhebens an Kokkalis gegangen, wenn ein Mitbieter, Global Family Partners, nicht mit großem Aufwand an die Öffentlichkeit gegangen wäre. Die GFP bietet, das verkündete sie der Presse, mehr als 40 Millionen Euro. Interessant ist auch, wer hinter GFP steckt, nämlich Prinz Paul, der "Thronfolger" des griechischen Königshauses.

Unter dem Druck der öffentlichen Meinung wurde daher die Entscheidung über die Privatisierung erst einmal für ein paar Tage auf Eis gelegt. Denn irgendwie ließen sich die 5,25 Millionen Euro, die Kokkalis Intralot nach offiziellen Angaben der TAIPED geboten hatte, nicht als guter Deal verkaufen. Aus 5,25 Millionen wurden flugs " 56.281.920 Millionen Euro nach heutigen Preisen". Die wundersame Geldvermehrung wurde selbst in der regierungsnahen Presse nicht erklärt. Die Griechen erfuhren nur, dass TAIPED von 5,25 Millionen Euro spricht und die Intalot von besagten 56.281.920 Millionen Euro als ihr Angebot berichtet. Die Intralot wies zudem darauf hin, dass der Nutzen für den Staat noch viel größer wäre. Schließlich würden die Angestellten der Pferderennbahn und der Wettbüros auch Lohnsteuern und weitere Abgaben zahlen.

Güldene Zeiten für Nutznießer olympischen Tafelsilbers

Unser zweites Beispiel für eine umgesetzte Reform heißt Golden Hall. Das Gebäude diente während der Olympischen Spiele von 2004 als Pressezentrum, weil das ursprünglich dafür vorgesehene Gebäude, die heutige Athens Mall, nicht rechtzeitig fertig wurde.

Die Golden Hall wird seitens TAIPED als gelungene Privatisierung gefeiert. Was auf den ersten Blick dem Leser jedoch verborgen bleibt, ist folgender Umstand. Die Treuhandanstalt TAIPED wurde im Juli 2011, formaljuristisch am 28.7.2011 gegründet. Die Golden Hall wurde aber bereits ab 2008 von der Lamda Development als Einkaufszentrum betrieben, was spätestens beim Durchstöbern der Internetpräsenz der luxuriösen Einkaufsmeile auffällt.

Vor Ort gibt es noch mehr Beweise dafür, dass das Unternehmen seit Jahren Ladenlokale an untervermietende Geschäftspartner verpachtet. "Shopping Mall Europas 2010" steht irgendwo in natürlich goldenen Lettern geschrieben. Weitere Belege finden sich zu Genüge. Das Problem bei der Dokumentation ist jedoch, dass die überall vorhandenen Wachleute das Fotografieren untersagen.

Tatsächlich, so klärt die freundliche Rezeption auf, ist das Fotografieren doch möglich, wenn zunächst eine Erlaubnis beantragt wird. Langer Rede kurzer Sinn, die Verantwortlichen von Golden Hall erteilen eine Erlaubnis für Fotoaufnahmen vor Ort dann, wenn der Fotograf zusichert, dass sowohl die Fotos als auch ein wie auch immer gearteter Text dazu vor der Veröffentlichung von ihnen, den PR-Verantwortlichen also, abgesegnet werden muss. Klar, dass für die Fotos auch noch in nebulösen Formulierungen Nutzungsrechte eingeräumt werden. Bei nicht vom Gelände des ehemaligen Pressezentrums aus geschossenen Fotos der gleichen Anlage hatten die Wachmänner dagegen nichts einzuwenden. Effektiv jedoch schüchtern derartige Aktionen die einheimischen Berichterstatter ab.

So viel Geheimniskrämerei hat einen Grund. Denn in der Tat hatte die Lamda Development 2007 das Gelände der Golden Hall für 8 Millionen Euro im Jahr und für eine Laufzeit von 40 Jahren gemietet. Mit einfacher Dreisatzrechnung ergibt sich aus dem Vertrag für die 132.200 Quadratmeter der Golden Hall Liegenschaften ein Preis von 60,51 Euro pro gemietetem Quadratmeter und Jahr. Die TAIPED legte noch das Olympiamuseum aufs Angebot drauf. Lamda Development bekam, wie erst jetzt bekannt wurde, durch den neuen Vertrag 14.300 Quadratmeter Museum und eine Tiefgarage mit 7.300 Quadratmeter zusätzlich.

Offenbar bedeutet der Begriff Reform im Zusammenhang mit Privatisierung, dass es modern ist, dem Mieter bei Zugabe weiterer Bereiche einen satten Preisnachlass zu bescheren. 81 Millionen Euro für insgesamt 90 Jahre möchte die TAIPED nun für die gesamte Anlage. Pro Quadratmeter und Jahr macht dies nun knapp 5,85 Euro. Aufs Jahr gerechnet sank die Miete für die Lamda Development trotz Gimmick auf 900.000 Euro.

Hinsichtlich ihrer Marktbeherrschung hat die Lamda fast eine Monopolstellung für große Einkaufszentren. Neben einem Objekt in Griechenlands zweitgrößter Stadt Thessaloniki fiel aus der Masse der Olympiabauten von 2004 auch für den heute als Athens Mall bekannten Komplex der Zuschlag an Lamda.

Das Objekt hatte nur einige kleine Probleme. Es war Europas größter Schwarzbau. Denn wie das zuständige oberste griechische Gericht, der Staatsrat, letztinstanzlich feststellte, ist die vom damaligen Kultur- und aktuellem Außenminister Evangelos Venizelos unter Nichtbeachtung der Umwelt-, Bau-, Bebauungsplan- und sonstigen Vorschriften per Ministerdekret erlassene Baugenehmigung schlicht illegal.

Reformen, das heißt im vorliegenden Fall, dass das strittige Bauobjekt kurzerhand zur "strategisch wichtigen Investition" erklärt wurde. Die Lamda bekam nachträglich und ohne jegliche Strafzahlung im so genannten Fast-Track-Verfahren im Juni ihre rückwirkend gültige Baugenehmigung.

Golden Hall - im Hintergrund das Calatrava-Dach des Olympiastadions. Bild: W. Aswestopulos

Im Fall der Olympiabauten sind noch einige solcher nachträglichen Baugenehmigungen von Nöten. So hat auch das teure, auf dem Olympiastadion installierte Dach des spanischen Stararchitekten Sergio Calatrava keine korrekte Baugenehmigung. Hier hatten die damaligen Verantwortlichen eine Pergola angemeldet. Als Kollateralschaden kann das Dach nun nicht gewartet werden. Erst muss die richtige Anmeldung her, dann erst können Arbeiter und Ingenieure ans Werk der Instandhaltung. Solche Umstände sind neben dem Schlendrian auch Schuld an der Tatsache, dass Griechenlands letzte Olympiade dem Land nur Ruinen hinterließ.

Zumindest hat das internationale Presseinteresse an den alten Olympiabauten dafür gesorgt, dass der Abfall von den Anlagen entfernt. Diesem positiven, der Berichterstattung geschuldetem Nebeneffekt gegenüber steht die Nebenwirkung, dass Griechenland, das Land der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit und das "Gründerland" der Olympiade überhaupt, nun als einziges IOC-Mitglied kein Olympisches Museum mehr hat.

Der Abfall wurde beseitigt - der Rost nagt weiter am Olympiakomplex. Bild: W. Aswestopoulos

Lamda, die Immobilienfirma von Griechenlands reichstem Mann, Spiro Latsis, dürfte jedoch im Gegensatz zum Staat saniert sein. Die Eurobank des Milliardärs existiert Dank des Rettungsschirms für Banken weiter. Für den alten internationalen Flughafen Athens, den Latsis Lamda ebenfalls über die TAIPED bekam, sucht er nach liquiden Investoren.

Ob sich die Lamda auch am Kauf von drei weiteren Sportstätten beteiligen möchte, ist noch nicht bekannt. Für ein Einstiegsgebot von 25 Millionen Euro sind die Objekte, welche den Staat 195,4 Millionen Euro kosteten, zu erwerben.

Reformindikator BIP pro Kopf

Ein einfacher Indikator für die Wirksamkeit von Reformen sind die blanken Wirtschaftszahlen. Hier zeigt sich, dass sich das pro Kopf in Griechenland erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt auf den Stand zwischen den Jahre 2001 und 2002 zurück verringert hat. Diese Kennziffer entspricht nicht dem Einkommen der Griechen, sondern dem von ihnen produzierten "Reichtum".

Darüber hinaus beklagt der frühere Finanzminister Stefanos Manos, dass die Reformen Realwerte vernichten würden. 2008 waren die Immobilien des Landes insgesamt 1000 Milliarden Euro wert. Heute, nach sechs Jahren einseitiger Abwertung und Rezession, wird der Wert der griechischen Immobilien im gesamten Land auf 350 bis 400 Milliarden Euro geschätzt, zitiert Manos die griechische Presse. Dies entspricht einem Wertverlust von fast dem Dreifachen des BIPs des Landes.

Als Grund für diesen rasanten Verfall wird die übermäßige Besteuerung von Grundbesitz angegeben. Als weitere Konsequenz der Vernichtung von Realwerten ergeben sich Risiken für die Banken. Denn ihre Hypotheken sind das Geld nicht mehr wert.

Der Wirtschaftsliberale lamentiert, dass diese Kapitalvernichtung einzig mit dem seiner Ansicht nach zu fettem Staat zusammenhängt. Ergo empfiehlt der pensionierte Politiker seinen Nachfolgern Entlassungen en masse.

Dass auch so etwas nicht unbedingt eine Reform sein muss, wissen die Griechen nicht nur durch ihre streitbaren 595 Putzfrauen des öffentlichen Dienstes (Der Aufstand der Putzfrauen). Die Putzfrauen wurden entlassen. Der Staat stellte an ihrer statt Reinigungsfirmen unter Vertrag. Die Reinigungsfirmen zahlen ihren Angestellten einen geringeren Lohn.

Verbesserung des Bestehenden

Der Gewinn bleibt jedoch beim Privatier. Kurz der Staat zahlt für die gleiche Sache nun teilweise sogar mehr als vorher. Statt in die lokale Wirtschaft fließt das an den Putzfrauen gesparte Geld jedoch ins Ausland, wo es den Inhabern der Reinigungsbetriebe am sichersten erscheint.

Sehr intensiv wurde in den vergangenen Jahren über die Reformen in Griechenland berichtet. Die meisten von ihnen wurden unter Dauerstreiks und Randalen durchgezogen. Ohne den Schaden der Streiks und die Zerstörungswut der Chaoten zu beachten, wurde nun für einen besonders gut dokumentierten Fall Bilanz gezogen. Die Universitätsreform "Athene", die zu monatelangen Schließungen von Lehranstalten geführt hatte, hat dem Staat keinen Euro Gewinn eingebracht. Keine Anstalt wurde geschlossen, trotz eingeschränktem Studienangebot ergab sich keinerlei Vorteil für den Staat.

Exemplarisch ist das Beispiel der Demokritos Uni in Xanthi. In der gesamten wirtschaftlichen Bilanz der Reform findet sich im Gegensatz zu den anderen Unis ein kleines Plus. Weil man im Professorenkollegium für politische Wirtschaft den Posten des Fachbereichsleiters strich, gab es 100 Euro Gewinn pro Monat. Dies entspricht der Gehaltszulage für den nominell nun nicht mehr existenten Dekanatsposten. Die Arbeit des Dekans wird im Turnus von den einzelnen Kollegen durchgeführt.

Allen Reformen in Griechenland ist eins gemeinsam. Es ging nie wirklich um eine "Verbesserung des Bestehenden", wie es der Duden für die Begriffsdefinition vorschreibt. Vielmehr haben sämtliche Regierungen schlicht versucht, ihre Pfründe so lange wie möglich zu halten.