Krieg in Libyen - "das nächste Afghanistan"?

Jubelnde Milizen 2011; Bild: Magharebia/CC BY 2.0

Islamistische Milizen erobern und zerstören den Internationalen Flughafen in Tripolis. Es gibt zwei Regierungen und keine Ordnungsmacht

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"Unbekannte Flugzeuge", die Ziele in der Hauptstadt Tripoli angreifen; die Gebäude des Internationalen Flughafens ausgebrannt und zerstört; zwei Parlamente, die sich darüber streiten, wer die legitime Regierung stellt, ethnisch oder konfessionell motivierte Tötungen, Brandstiftungen, Plünderungen, Kämpfe zwischen Milizen: der obskure General Khalifa Haftar, früher in Diensten Gaddafis, dem nachgesagt wird, dass er engere Beziehungen zur CIA hatte oder noch unterhält, verbunden mit Mitgliedern der neuen Regierung, Initiator eines politischen Manövers, das einem Putsch sehr ähnlich ist (Putschversuch im libyschen Schlamassel), sprach aus, was lange schon in der Luft lag: dass in Libyen Krieg herrscht. Haftar erklärte den islamistischen Milizen den Krieg.

Der nächste Krieg also in der Region Naher Osten/Nordafrika (MENA), nach Syrien, Irak und Gaza. Für heute ist eine Konferenz zur Krise in Libyen in Ägypten anberaumt. Welche Maßnahmen in Kairo verhandelt werden, um die Krise in Griff zu bekommen, ist offen. Bislang ist die Einmischung von außen noch verdeckt.

Ägypten, die Emirate, der Westen und ein Putschgeneral

Es kursiert die Annahme, dass Haftar und seine "Operation Würde", die Unterstützung von Ägypten, den Vereinigten Emniraten und auch westlicher Nationen, der USA und ihrer Verbündeten hat, weil er für eine säkulare Richtung steht und gegen islamistische Milizen kämpft, von denen einige in Verbindung mit libyschen Muslimbrüdern stehen. Interessenskonflikte deuten sich dadurch an, dass auch Katar sich in Libyen sehr engagiert hat, auf Seiten islamistischer Gruppen.

Das Mindeste, das von Frankreich und Italien gesagt werden kann, ist, dass sie die Entwicklungen mit hellwacher Aufmerksamkeit verfolgen. Es geht schließlich in dem ölproduzierenden Land um große wirtschaftliche Interessen; auch von deutscher Seite. Und es geht, wie die Ausbildung von Einheiten zeigt, die die Grenzen sichern sollten, die unter Leitung der EU unternommen wurden und mittlerweile eingestellt sind, auch um europäische Sicherheitsinteressen (Von der EU aufgebaute "Grenzschutztruppen" in Libyen verselbständigen sich). Libyen fungiert als Außengrenze der EU. Gaddafi war in dieser Hinsicht ein verlässlicher Kooperationspartner.

Das Hybrid aus Milizen und Regierungsstellen

Es sind mehrere Konfliktfelder, Machtzentren und konfligierende Parteien, die sich in Libyen überlagern. Die Eroberung und bejubelte Zerstörung des internationalen Flughafens am Wochenende durch einen operativen Zusammenschluss mehrerer islamistischer Grupperungen unter dem Namen "Morgenröte" (Fajr) ist Teil eines kriegerischen Machtkampfes, der dadurch so großen Raum gewinnen konnte, weil es keine offizielle, starke, legitimierte, unabhängige staatliche Gegenkraft gibt, die als Schiedsrichter bei den Rivalitäten zwischen den Milizen auftreten könnte.

Mit der Absetzung Gaddafis verschwanden auch seine Elitetruppen, die für die innenpolitische Sicherung verantwortlich gewesen waren, aber dadurch schon die Autorität und Durchsetzungsmacht von Polizei und Armee unterhöhlt hatten. Nach seinem Tod und der Übernahme der Macht durch die "Revolutionäre" wurden unterschiedliche Milizen in den Dienst genommen. Es entstand ein Hybrid aus offiziellen und halboffiziellen Sicherheitsdiensten, die von unterschiedlichen politischen Fraktionen unterstützt wurden, von unterschiedlichen Ministerien der vorläufigen Regierungen und die unterschiedlich stark lokal verankert waren.

Lokale Agenden und Feindschaften

Dazu kommen lokale Konflikte, wie zwischen Misrata und Zintan. Der internationale Flughafen in Tripolis war bisher unter Kontrolle von Milizen aus Zintan, die auch Teile Tripolis kontrollieren, weswegen sich die Kämpfe auch auf die Haupstadt ausweiten. Die Milizen aus Zintan haben enge Verbindungen zu Ministerien der bis vor kurzem allein amtierenden Regierung, die säkular ausgerichtet ist, deren Kern nach Tobruk im Osten geflüchtet ist. Das dortige Parlament beansprucht Legitimität durch Wahlen im Juni, die Khalifa Haftar mit seiner Putschaktion Ende Mai angestoßen hatte.

Auch in diesem Lager gibt es Rivalitäten, etwa zwischen Haftar und den Milizen aus Zintan, die aus dem Westen kommen. Was weitere Konfliktfelder anzeigt, die sich in den Ministerien der Regierung auch widerspiegeln, vor allem aber in den Kämpfen zwischen den damit verbundenen Milizen.

Einig sind sich Haftar und die Zintan-Milizen aber in ihrer Gegnerschaft zu den islamischen Milizen, deren Hauptstützpunkt Misrata ist - mit einer namhaften Gruppierung, Ansar as-Scharia, die in Bengasi viel Anhängerschaft hat. In Bengasi kämpft Haftar, der dabei anscheinend dank seiner engsten Verbindungen zur Regierung, auch auf die Unterstützung der Luftwaffe zurückgreifen konnte, gegen Ansar as-Scharia.

Islamisten gegen Säkulare; "Revolutionäre" gegen alte Eliten

Haftar war einer der treibenden Kräfte, der im Sommer Neuwahlen initiiert hatte, bei denen die Islamisten, darunter der libysche Ableger der Muslimbrüder sehr schwach abschnitten. Allerdings war auch die Wahlbeteiligung sehr schlecht. Weswegen islamistische Gruppierungen die Legitmität des neu neugewählten Parlaments (Abgeordnetenhaus, englisch HOR, House of Representatives) nicht anerkennen und stattdessen das "alte Parlament", GNC (englisch: General National Congress) unterstützen. Gestern lieferten sich beide Parlamente einen Konkurrenzkampf darin, jeweils Armeechefs oder Minister auszurufen, die die andere Seite nicht anerkennt.

Die islamistischen Gruppierungen, die sich in der Operation "Mörgenröte" zusammengetan haben, um gegen die "Operation Würde" von Khalifa Haftar zu kämpfen, sehen sich als die "wahren revolutionären Kämpfer", die fortsetzen, was mit den Aufstand gegen Gaddafi begonnen wurde. Auf der anderen Seite erkennen sie vor allem die Mitglieder der alten Elite.

Zu diesem Konfliktfeld kommen noch herkunftsbedingte Animositäten, die viel Potential zur weiteren Eskalation bergen: eine Wiederauflage der Kämpfe "arabischer Stämme", wie dies etwa den Milizen von Zintan zugeschrieben wird, gegen Berberstämme anderer Herkunft, wie das über Gruppen aus Misrata gesagt wird.

Libyen wird das nächste Afghanistan, wird ein Zintan-Milizen-Führer von der New York Times zitiert.