Die Digitale Dinge-Allmende

Die materiellen Existenzbedingungen neuer höherer Produktionsverhältnisse werden gerade ausgebrütet im Schoß der alten Gesellschaft, man muss sie nur auch als solche erkennen

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Die Grenzen des Wachstums werden immer drastischer und unmissverständlicher als "säkulare Stagnation" oder als Vorboten der Klimakatastrophe erkennbar. Dazu kommt nicht minder deutlich der dramatische Legitimationsverlust des westlichen Wohlstandsmodells, das kaum noch verhüllt glaubt, sich seinen Fortbestand mit kriegerischen Mitteln zusammenrauben zu dürfen oder zu sollen. Thomas Konicz beschreibt einmal mehr die Symptome des Endes des wirtschaftlichen Wachstums und einige seiner denkwürdigen publizistischen Begleiterscheinungen und entdeckt schließlich auch die "Spurenelemente von etwas Neuem, Nicht-Kapitalistischem" in der sich entwickelnden digitalen Wissensallmende (Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst). Während er aber glaubt, diese müsse "in einem bewussten, transformatorischen Akt in die analoge Welt treten", geht es darum, die digitale Wissensallmende aus dem Bereich der 2-dimensionalen Informationsproduktion in den der 3-dimensionalen Dingeproduktion zu erweitern. Dann kann man digital repräsentierte und von (überprivaten) Produktionssystemen digital hergestellte Dinge anfassen und benutzen - und unter Umständen sogar auch essen.

Wer heute die neu entstehende "Digitale Fabrikation" beschreibt, sieht sich gleich Fragen danach ausgesetzt, wie sich denn so etwa ein Thermostatregler für den Heizkörper herstellen lasse, der gerade kaputt gegangen ist, oder wie die Anforderungen des TÜV für die Betriebssicherheit von Haushaltsgeräten eingehalten werden könnten, wenn diese aus einer lokalen digitalen Fabrikationsmaschine stammen, die sich in einem privaten Haushalt befindet.

Richtig, so weit ist die Digitale Fabrikation noch nicht gediehen, und es wird voraussichtlich noch Jahre und Jahrzehnte intensiver und aufwändiger Forschung benötigen, bis der Prozess des "Ausbrütens der materiellen Existenzbedingungen" in vollem Umfang zur Reife gediehen sein wird. Leider gibt es die Zukunft nicht im Komplettangebot im Kaufhaus, so dass sie nur noch ausgewickelt, zusammengeschraubt und installiert werden müsste.

DIGINOVA

Von Digitaler Fabrikation sollte man vor allem eines wissen: Es handelt sich um ein extrem anspruchsvolles Forschungsprogramm unter Beteiligung mehrerer Disziplinen wie Informatik, Physik, Materialwissenschaften und Produktionswissenschaften. Das Interesse an ihren schlummernden Potenzialen ist inzwischen aber erwacht, auch in Europa. An einer Reihe von Universitäten (CEDIFA Würzburg, TU Darmstadt, IFM Univ. Cambridge, Fraunhofer Institute) werden entsprechende Institute eröffnet und Initiativen gestartet, und von Seiten der EU wurde im Rahmen des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms etwa ab 2011 das DIGINOVA-Projekt aufgelegt, mit der folgenden Beschreibung von Scope und Projektbeteiligten:

Diginova will establish the current status across material domains and application domains in Europe in order to identify the most promising technology and business propositions for Digital Fabrication. The project consortium, consisting of 4 large companies, 7 SMEs and 9 research institutes will identify and connect main stakeholders through establishment of innovative networks centered around concrete business cases to determine the added value and feasible routes to commercialization.

Kommerzielle Interessen stehen also durchaus im Vordergrund. Im April 2014 wurde das Projekt mit der Vorlage einer "Roadmap to Digital Fabrication abgeschlossen. Für die Produktion erwartet man nun erhebliche Auswirkungen und Umwälzungen:

  • Manufacturing will change beyond recognition.
  • Manufacturing will evolve towards a global distribution of digital design and specification files that will form the basis of local production.
  • It can be envisioned that ultimately people will be able to order, define ore even (co-)create and locally manufacture their own products in materials of their choice and will not be bound by the mass-produced selection they can find in the stores of today .

Die Güterproduktion werde sich also in Richtung einer globalen Verteilung von digitalen Design- und Spezifikationsdateien entwickeln, die dann eine lokale, dezentralisierte Produktion steuern. Dies könne auch so weit gehen, dass Kunden und Konsumenten ihre eigenen Produkte aus Materialien ihrer Wahl kreieren und entwerfen, und sogar auch lokal produzieren, wodurch sie auf die Auswahl aus massenproduzierten Angeboten in den heutigen Ladengeschäften verzichten können. Die "ultimative Frucht" der Digitalen Fabrikation werde der "Molecular Assembler" sein, mit dessen Hilfe auf atomarer Ebene (fast) alles produziert werden könne, "von Nano-Robotern bis zu Schinkenbrötchen".

Während diese "ultimative" Vision der Digitalen Produktion aber nun auch als einfachster Laborentwurf oder Prototyp noch immer nicht existiert, ist das grundlegende Prinzip der digitalen Fabrikation, nämlich die Trennung von Fertigung und Design, auch auf dem heute verfügbaren Stand der Technologie bereits als Entwurfsprinzip für Fertigungsanlagen von praktischer Relevanz. So findet sich dies etwa auch wieder in der Konzeption der vielzitierten Industrie 4.0. Es geht hier um größtmögliche Flexibilität, also die schnelle Anpassung von Fertigungsanlagen auf unterschiedliche Produkte, bis hin zur Kapazität, nahezu beliebige Produkte auf ein und derselben Produktionsanlage - eben als Umsetzung beliebiger, weitgehend in digitaler Form vorliegender Designs - fertigen zu können:

So wird die traditionell starre Zuordnung von Produktionsanlagen zu Produkten künftig durch flexible Rekonfigurationsmöglichkeiten der Produktionsanlagen ersetzt werden. Werke werden nicht mehr für bestimmte Produktionstypen gebaut, sondern man stellt bestimmte Produktionstechnologien zur Verfügung, die nahezu beliebig auf unterschiedliche Produkte in kurzer Zeit umgerüstet werden können. Industriebetriebe werden so eher zu Dienstleistern, denn sie werden ihre Produktionstechnologien einem offenen Markt anbieten, der diese dann für die Produktion neuer Produkte, oder auch um Kapazitäten auszugleichen, kurzfristig nutzen kann.

Scheer-Group

Die "Vision" der Digitalen Fabrikation bzw. der additiven Fertigung wird vom CEDIFA Würzburg entsprechend so beschrieben:

Auf der Ebene der gesamten Wertschöpfungskette ermöglicht additive Fertigung eine zunehmende Entkopplung von Design und Fertigung bzw. die Dezentralisierung der Produktion in Richtung des Kunden. Durch eine Produktion verschiedenster Güter "on demand" werden bei gleichzeitig höherer Lieferfähigkeit Lagerbestände reduziert. Physische Güterflüsse werden zunehmend durch digitale Informationsflüsse ersetzt.

Digitales Design und digitale Fertigung

Worin liegt aber nun die tieferreichende volkswirtschaftliche Bedeutung dieser neu entstehenden Trennung von Fertigung und Design?

Ein inzwischen weit bekanntes digitales additives Herstellungsverfahren ist ja der 3D-Druck, und hier ist dieses Prinzip unmittelbar ersichtlich: Der 3D-Drucker arbeitet die Produktionsvorschriften eines STL-Files ab, in welchem der herzustellende Gegenstand als Schichtmodell repräsentiert ist, dessen Schichten nun durch den 3D-Drucker sukzessive aufgebracht werden. Innerhalb der Kapazitätsgrenzen des jeweiligen 3D-Druckermodells können dann vor Ort, lokal, etwa auch im Haushalt des Benutzers, Anwenders oder Besitzers beliebige solcher digitalen Entwürfe realisiert werden.

Wäre nun eine solche lokale Fabrikationsmaschine in der Lage, weite Bereiche des gewöhnlichen häuslichen persönlichen Bedarfs zu produzieren, also etwa Bekleidung, Mobiliar, Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik, Hobby-Geräte, womöglich noch das ganze Haus des Haushaltes selber und auch seinen Nahrungsbedarf, so stünde nicht weiter in Frage, auf welche Weise sich "die materiellen Existenzbedingungen neuer höherer Produktionsverhältnisse" hier zur Vorstellung gebracht hätten. Es wäre eben genau das der Fall: Die Wissensallmende, hier also in Gestalt der - als Open Source frei verfügbaren - Design-Files, hätte sich erweitert in die Dinge-Allmende, die auf diese Weise direkt vor Ort, am Ort des Konsums, in den Haushalten der Anwender, zu "Null-Grenzkosten" (Jeremy Rifkin) verfügbar gemacht werden könnten, dies jedenfalls in einem fortgeschrittenen Reifestadium.

Als "Wetterleuchten einer postkapitalistischen Wirtschaftsweise" sollte das dann eigentlich genügen dürfen: Die Trennung von Kapital und Arbeit und von Produktion und Konsumation wäre aufgehoben, ebenso die Warenproduktion, die Industrieproduktion mit Konkurrenz und Wettbewerb und den inhärenten Zwängen zur Überproduktion. Die Grenzen des Wachstums hätten ihre Schrecken verloren. Es gäbe in diesem Sinne weder Wirtschaft noch Wirtschaftswachstum, erst recht keine Grenzen des Wachstums. Es gäbe einfach nur ein möglichst rationales, den Bedürfnissen der Konsumenten möglichst exakt entsprechendes endliches Produkt.

Aber nun ist die additive Fertigung durch 3D-Drucker, insbesondere in der Größenklasse für Privatanwender, im gegenwärtigen Reifestadium nur erst zur Verarbeitung weniger spezieller Materialien und zur Herstellung einfacher, eher wenig werthaltiger Produkte geeignet, auch wenn in hohem Tempo fast täglich Fortschritte vermeldet werden.

Wodurch könnte aber dieses Prinzip der Trennung von Fertigung und Design im Sinne der Hinführung und Etablierung einer postkapitalistischen Wirtschaftsweise dennoch schon in naher Zukunft nutzbar gemacht werden?

Collaborative Commons

Der Begriff der "Commons", als "Creative Commons", "Collaborative Commons" oder als "Common based Peer Production" hat seine Bedeutungswurzel in der Grundidee einer gemeinschaftlichen, grundsätzlich freiwilligen gemeinschaftlichen Nutzung von Produktionsmitteln zur Herstellung freier Güter, also ohne die Verfolgung kommerziellen Interesses. Das Grundmuster einer solchen Produktionsweise findet sich etwa in der Wissensproduktion der frei verfügbaren Wikipedia oder der Produktion freier Software, wie dem dafür prototypischen Linux. Auf diese und ähnliche Beispiele von Wissensallmende - wie die Wikipedia-Artikel, die man leider nicht essen kann - bezieht sich Konicz.

Der Begriff "Commons" ist nun im volkswirtschaftlichen Sinn nicht scharf definiert. Volkswirtschaftlich gibt es entweder privates oder öffentliches Eigentum. Die "Allmende", die mittelalterliche Gemeindewiese, war relativ zu den Bewohnern einer Gemeinde oder eines Dorfes Gemeingut, so dass diese die Wiese frei nutzen konnten, aber wohl nicht die Bewohner des Nachbardorfes. Insofern handelt es sich also um etwas volkswirtschaftlich Wohlbekanntes: nämlich um die Kategorie der Kollektivgüter.

Ein 3D-Drucker oder eben auch dessen ultimative Zukunfts- und Science-Fiction-Version als "Star-Trek-Replicator" bzw. als "Molecular Assembler" wäre nun vermutlich nicht Kollektivgut, sondern Privatbesitz. Er würde als solches auch sehr segensreiche Wirkung entfalten können; die Infrastruktur allerdings, ohne die auch die perfekteste Produktionsmaschine ihre Funktion nicht erfüllen könnte, also die Infrastruktur des Internet, und die (möglichst global verfügbaren) Steuerdaten, auf die diese Maschine zugreifen müsste, befänden sich offenbar - mit dem größerem Nutzen für die Allgemeinheit - in öffentlichem Besitz. (Dass darüber hinaus noch die Versorgung mit Energie und Rohstoffen zu bewerkstelligen sein müsste, sei der Einfachheit halber hier einmal außer Acht gelassen.)

Die Trennung von Design und Fertigung würde es darüber hinaus aber möglich machen, dass sich auch komplexere Fertigungssysteme wie etwa eben eine Industriefabrik der 4. Generation in überprivatem, öffentlichem Eigentum befinden. Der Sinn einer solchen Fertigungsanlage läge dann nicht darin, gewerbswirtschaftlich und mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben zu werden, sondern darin, eine möglichst große Vielfalt der Konsumwünsche der Mitglieder einer Kommune oder einer Stadt oder eines Stadtteils zu befriedigen, durch eben die Nutzung dieses Potenzials der "flexiblen Rekonfigurationsmöglichkeiten" einer Fertigungsanlage. Dies wäre natürlich auch möglich durch flexible, aber doch auf eine Produktart spezialisierte Systeme, die also sehr unterschiedliche und individuell gestaltbare Produkte einer Produktart wie etwa Schuhe, Möbel oder Bekleidung herstellen würden.

Eine Community-Fabrik, ein Stadt-Werk (FabLab - FabCity - CityFab - StadtWerk?), würde dann den Eigenbedarf ihrer Community abdecken und es entstünde ein Wirtschaftsmodell einer urbanen bzw. lokalen Subsistenz, zumindest als ergänzendes und/oder stabilisierendes Element des Wirtschaftslebens. Der Sinn läge darin, die entstehende maschinelle Produktionskapazität der Öffentlichkeit verfügbar zu machen, aber eben in Gestalt von Gebrauchswerten, zur Deckung des (kommunalen) Eigenbedarfs, und damit marktunabhängig und ohne eingebunden zu sein in die Imperative von Marktdynamik und Finanzmärkten.

Wäre das dann - auch im Rahmen des technisch heute oder schon in naher Zukunft Möglichen - genügend "Wetterleuchten einer postkapitalistischen Wirtschaftsweise"?

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