Waffen gegen Erdöl?

Irakische Erdölinfrastruktur 2003. Bild: CIA

Die Energie- und Klimawochenschau: Vom Mitmischen in Bürgerkriegen, von der Energiegroßmacht Kurdistan und von internationalen Protesten gegen Braunkohle

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Dieser Sommer war in weiten Teilen Westeuropas mal wieder sehr ungewöhnlich. Frankreich zum Beispiel, sonst eher ein Opfer von Hitzewellen, hat es dieses Jahr ausgesprochen kühl und vor allem nass erwischt. Der Juli war, wie diese Grafik des dortigen Wetterdienstes zeigt, der regenreichste seit mindestens 1960.

Aber Europa hat andere Sorgen. Rundum herrscht Krieg und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat keine Zeit, der Einladung des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon zu einem Klimagipfel zu folgen. Sie sei verhindert, ließ sie diesen wissen. Inzwischen ist auch klar, weshalb. Sie hält lieber einen Vortrag beim Bundesverband der Deutschen Industrie.

Kriegspartei

Auch ein Besuch in Kiew scheint wichtiger, um der dortigen Regierung ihre Unterstützung zu versichern: "Die territoriale Integrität und das Wohlergehen der Ukraine sind wesentliches Ziel der deutschen Politik", verkündete die Merkel letzte Woche in der ukrainischen Hauptstadt (500 Millionen aus Deutschland für Multimilliardär Poroschenko?).

Deutschland ist also, wenn man die Bundeskanzlerin beim verschwurbelten Wort nehmen kann, irgendwie Kriegspartei; und natürlich geht es dabei auch um Energierohstoffe. Schließlich ist die Ukraine ein wichtiges Transitland für Erdgas; und sollten sie und Georgien erst Mitglied der NATO sein, dann wäre das westliche Bündnis ein erhebliches Stück näher an die zentral- und westasiatischen Energiequellen vorgerückt.

Um Energie geht es derweil natürlich auch im "wilden Kurdistan". Die Bundesregierung will ja nun "die Kurden" mit Waffen beliefern und hat es damit so eilig, dass weder der Bundestag gefragt, noch auf die Qualität der Lieferungen viel Wert gelegt werden kann. Nur eines ist ganz klar: Ausdrücklich ausgenommen werden von der Kanzlerin jene, die Mitte August den Tausenden von Jesiden im nordirakischen Schingal (Sindschar) zur Flucht verhalfen. Das waren Guerillas der Kurdische Arbeiter Partei PKK aus der Türkei und mit ihr verbündete Selbstverteidigungskräfte aus den benachbarten kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens (Waffen für die PKK?).

Energiegroßmacht Kurdistan

Waffen werden statt dessen an die bewaffneten Einheiten der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak geliefert, deren Peschmergas genannte Soldaten durch ihren mehr oder weniger kampflosen Rückzug erst die Massaker und die Vertreibung ermöglicht haben sollen.

Der Hintergrund könnte in deutschen Öl-Begehrlichkeiten liegen. Einen Hinweis darauf gab kürzlich Friedbert Pflüger in der Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Pflüger saß für die CDU von 1990 bis 2006 im Bundestag, war von 2002 bis 2005 außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und im Anschluss für etwa ein Jahr Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Seit 2010 ist er Direktor des Center for Energy and Resource Security (EUCERS) am King's College in London. Des Weiteren steht er der Kurdisch German Business Alliances (KGE) als Direktor vor.

Ein humanitäres und geopolitisches Desaster drohe, wenn die IS-Kämpfer weiter vorrückten, "denn die Region hat gewaltige Öl- und Gasreserven". Der kurdische Norden Iraks sei eine Energiegroßmacht. Schon ohne die im August erfolgte Eroberung Kirkuks habe die Autonomiebehörde auf Erdölreserven von 45 Milliarden Barrel gesessen. In den nun unter Kontrolle gebrachten Gebieten lagerten weitere rund 14 Milliarden Barrel. Hinzu kommen noch erhebliche Erdgasvorkommen in Kirkuk.

Da kommen die schreienden Verbrechen in Schingal ja vielleicht auch ganz recht, wenn sie die NATO-Staaten dazu bringen, die kurdische Regierung in Erbil (Nordirak) mit Waffen zu beliefern. Mit diesen können dann die gewonnenen Schätze verteidigt und über die erst in diesem Jahr eingeweihte Pipeline in den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan zwecks Verschiffung in die EU gepumpt werden. Pflüger ist jedenfalls überzeugt, dass "der Westen, insbesondere die USA, (...) das (noch) stabile Kurdistan gegen diesen Albtraum politisch und militärisch unterstützen" müssen.

Menschenkette gegen Tagebaue. Bild: Wolfgang Pomrehn

Menschenkette gegen Braunkohle

Deutlich friedlicher ging es da am Wochenende an der deutsch-polnischen Grenze im südöstlichen Brandenburg zu. In die dortige Lausitz, Heimat der Sorben, hatten örtliche Initiativen und bundesweite Umweltschutzverbände zu einer Menschenkette aufgerufen, die das deutsche Kerkwitz mit dem polnischen Grabice verband. Auch auf der polnischen Seite hatten entsprechende Organisationen im ganzen Land mobilisiert.

So kamen dann am 23. August rund 7.500 Menschen aus ganz Deutschland und Polen sowie rund 20 weiteren Ländern zusammen, um grenzüberschreitend gegen neue Tagebaue beiderseits der Neiße zu protestieren. Das kleine Flüsschen bildet die Grenze und konnte von den Umweltschützer für ihre Menschenkette einfach durchwatet werden. Mit dabei waren zum Beispiel auch rund 200 meist sehr junge tschechische Umweltschützer. Selbst aus London hatte sich ein Bus mit britischen Aktivisten auf den Weg gemacht.

Diese jungen Schweden wollen nichts mit dem staatseigenen Konzern Vattenfall zu tu haben. "Nicht in meinem Namen" haben sie auf den Stoff geschrieben. Bild: Wolfgang Pomrehn

Neue Tagebaue

Auf der deutschen Seite hatte die brandenburgische Landesregierung im Juni grünes Licht für den Tagebau "Welzow Süd II" südlich von Cottbus gegeben. Betreiber ist der schwedische Vattenfall-Konzern, der auch verschiedene Braunkohlekraftwerke in der Region betreibt. Das größte davon bilden die sechs Blöcke in Jänschwalde, das nur einige Kilometer südlich von Kerkwitz liegt. Geht es nach den Plänen von Vattenfall, dann wird das Dorf 2030 einem neuen Tagebau weichen. Zwei weitere Dörfer würden in den 2030er Jahren folgen.

"Stoppt Kohle" steht auf dem Transparent der slowakischen Umweltschützer. Rund 40 waren von ihnen zur Menschenkette angereist. Bild: Wolfgang Pomrehn

Noch ist der geplante Abbau in Jänschwalde Nord jedoch nicht genehmigt, aber Brandenburgs regierende Sozialdemokraten sind der Kohle sehr zugetan. Ihr Juniorpartner, die Linkspartei, hatte zwar vor fünf Jahren noch Wahlkampf gegen den Aufschluss neuer Tagebaue geführt, hat diese Position aber zwischenzeitlich der Koalitionsraison geopfert. Entsprechend waren am Samstag zwar einzelne ihrer Mitglieder bei dem Protest zu sehen, aber ohne jederlei Parteifahnen, Der Landesverband hatte es vorgezogen, Piraten und Grünen das Feld zu überlassen (mehr Infos zum Stand der Planung um Jänschwalde und andere Lausitzer Tagebaue hier.)

Ende letzter Woche waren es kurzfristig drei tropische Stürme im Ostpazifik. Bild: NASA

Erratische Stürme

Ein kleiner Ausflug in die Welt der Tropenstürme: Im Atlantik und im Ostpazifik ist die Saison bisher ziemlich ruhig gewesen, aber letzte Woche wurde es richtig lebhaft. Vor der Westküste Mexikos tummelten sich zeitweilig gleich drei Stürme, wie obige Aufnahme der NASA zeigt. Zwischenzeitlich hat sich "Lowell" jedoch aufgelöst und "Marie" zum ausgewachsenen Hurrikan entwickelt.

Am Montag kam dann mit "Cristobal" ein weiterer Hurrikan hinzu. Somit ziehen zur Zeit immer noch drei Wirbelstürme ihre Bahnen vor den Küsten Nordamerikas, wie die unten stehende Grafik der Weltmeteorologie-Organisation (WMO) zeigt. Eine Gefahr stellen sie jedoch nur für die Schifffahrt dar, während sie sich den Küsten voraussichtlich nicht weiter nähern werden. Die mexikanische Halbinsel Baja California muss jedoch mit heftigen Niederschlägen und einer extremen Brandung rechnen.

Interessant sind an der momentane Situation die bisherigen Zugbahnen, die die unten stehende Grafik zeigt. Wie man sieht, hat der vom Hurrikan zur Tropischen Depression abgeschwächte Sturm "Karina" seinen Kurs um 180 Grad geändert. Ein gutes Beispiel dafür, wie scheinbar erratisch die Zugbahnen dieser Stürme sein können und wie wichtig daher gute Vorhersageprogramme sind, die solide Prognosen erstellen können. Und es muss natürlich Wege geben, die Bevölkerung rechtzeitig warnen zu können. Auch das ist in vielen Ländern nicht immer gegeben.

Drei schwere Tropenstürme sind derzeit vor den nordamerikanischen Küsten unterwegs. Bild: WMO

Umstellung auf 100 Prozent Ökostrom ist machbar

Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche. Dass die deutsche Stromversorgung auf 100 Prozent Ökostrom umgestellt werden kann, ist bereits seit längerem bekannt. Doch wie sieht es eigentlich mit der Versorgungssicherheit aus?

Konservative Medien und Lobbyorganisationen der Energiewirtschaft unken ja immer wieder herum, diese sei durch die Energiewende gefährdet. Die Bundesnetzagentur attestierte der deutschen Stromversorgung hingegen trotz zuletzt 28,5-Prozent-Anteil der Erneuerbaren am inländischen Bruttostromverbrauch im ersten Halbjahr 2014 eine "konstant hohe" Verlässlichkeit.

Die durchschnittliche Unterbrechung der Versorgung von Endverbrauchern ist 2013 auf 15,32 Minuten zurückgegangen. Das lag deutlich unter dem Mittelwert der Jahre 2006 bis 2012 von 16,92 Minuten. "Ein maßgeblicher Einfluss der Energiewende und der damit einhergehenden steigenden dezentralen Erzeugungsleistung auf die Versorgungsqualität ist für das Berichtsjahr nicht erkennbar", sagte Agenturchef Jochen Homann. "Nach wie vor liegt die Zuverlässigkeit der Stromversorgung in Deutschland auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern auf sehr hohem Niveau."

Und das, wie gesagt, bei einem Anteil von über 25 Prozent des Ökostroms an der Bedarfsdeckung. In Dänemark bekommt man eine ähnlich hohe Versorgungssicherheit mit einem Windstromanteil von derzeit etwas über 30 Prozent hin, obwohl dieser bekanntlich noch deutlich schwieriger zu bändigen ist als Solarstrom oder gar jener aus Biogasanlagen.

Aber wie würde es nun bei 100 Prozent aussehen? Schon vor einigen Jahren hatte der von der Bundesregierung berufene Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) mit eher konservativen Annahmen vorgerechnet, dass der vollständige Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und dem Uran in der Stromversorgung bis 2050 möglich ist. Im gleichen Jahr, 2011, hatte SRU-Mitglied Olav Hohmeyer von der Uni-Flensburg gemeinsam mit anderen Autoren gezeigt, wie seinerzeit berichtet, dass mit etwas mehr Engagement das 100-Prozent-Ziel schon bis 2030 erreicht werden kann. Wohlgemerkt: gei gleichzeitigem Ausstieg aus der Atomindustrie bis 2015.

Nun hat das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik nachgelegt und in einem Forschungsprojekt untersucht, wie es in einem solchen Falle mit der Versorgungssicherheit aussieht. Mithilfe von Simulationen, Labortests und Feldversuchen wurde untersucht, ob das System bei einer kleinteiligen Erzeugungsstruktur mit erneuerbaren Energieträgern ausreichend Regelleistung zur Frequenzhaltung und Blindleistung zur Spannungshaltung bereitstellen kann. Ebenso wurde ermittelt, ob Netzengpässe umgangen beziehungsweise behoben werden können. Eine wichtige Frage war schließlich, ob die erneuerbaren Erzeuger im Zweifelsfall bei einem Zusammenbruch der Netze die Versorgung wieder aufbauen können.

Das Ergebnis: Eine sichere Versorgung ist möglich, wenn die Struktur des Netzes und die Art, es zu fahren, ganz auf die fluktuierende Versorgung aus Solar- und Windkraftanlagen umgestellt wird. Dafür sind Speicher und Backup-Kraftwerke erforderlich, die mit aufbereitetem Biogas betrieben werden. Fehlt eigentlich nur noch der politische Wille, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen.