Gentechnik: Wenn die Natur schneller ist …

Insekten passen sich rasch an Gentech-Pflanzen an und machen Landwirten in den USA und Brasilien immer häufiger zu schaffen

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Eine neue Studie von Insektenforschern und einem Industriewissenschaftler zeigt, dass Schadtiere innerhalb von nur drei Jahren gegen das von Gentech-Maissorten abgesonderte Gift immun wurden. Das Toxin ist im GV-Mais 1507 enthalten, der möglicherweise ab 2015 auch in Europa angebaut werden könnte. Die Forscher der Universitäten Sao Paolo und Minnesota plädieren primär für ein besseres Resistenz-Management. Gentech-Kritiker bezweifeln hingegen das System generell. Es wäre vor allem ein gutes Geschäft für Chemie- und Saatgutkonzerne.

Die Entwicklung gentechnisch manipulierter Pflanzen ist ressourcen- und zeitaufwändig. Für Konzerne sind deshalb primär Produkte interessant, die großflächig eingesetzt werden können oder langfristig über Patente/Lizenzgebühren Gewinne abwerfen. Bisher erlangten nur zwei Systeme wirtschaftliche Bedeutung: insekten- und herbizidresistente Gentech-Sorten. Manche GV-Linien sind auch eine Kombination daraus.

Die Probleme bei herbizidtoleranten Sorten, die - salopp formuliert - verschiedene Unkrautvernichtungsmittel (z.B. Glyphosat) einfach besser vertragen, sind inzwischen hinlänglich bekannt. Im Juni dieses Jahres veröffentlichten die Umweltbundesämter Österreich und Schweiz sowie das Bundesamt für Naturschutz Deutschland einen gemeinsamen Bericht, in dem sie eine kritische Bilanz zogen. Die Institutionen gelangten zur Auffassung, dass der langjährige Anbau herbizidresistenter GV-Pflanzen in Nord- und Südamerika zu einem bedenklichen Biodiversitätsverlust geführt hat. Landwirte wiederum klagen über das Auftreten von sogenannten "Super-Unkräutern", also "Unkraut" dem mit den herkömmlichen Spritzmittel nicht mehr beizukommen ist.

Vermehrt Probleme mit Bt-Mais

Bei insektenresistenten Sorten häufen sich nun ebenfalls die Probleme. In Brasilien wurde 2008 der GV-Mais 1507 (Cry1F Protein) für den kommerziellen Anbau zugelassen. "Höhere Erträge, weniger Spritzmittel", so lautete das Versprechen der Industrie. Doch bereits 2011 traten insbesondere in der Region Western Bahia Probleme mit der Wirksamkeit auf. Der brasilianische Insektenkundler Juliano Ricardo Farias untersuchte in seiner Anfang 2014 veröffentlichten Doktorarbeit die Problematik in verschiedenen Regionen Brasiliens und kam zu dem Ergebnis, das die Resistenzproblematik insgesamt sehr hoch ist.

Gemeinsam mit anderen Forschern der Universität Sao Paulo wurden die Ergebnisse vertieft. Die Wissenschaftler sammelten Larven der Falterart Spodoptera frugiperda. Der sogenannte Heerwurm ist ein bei Mais-Bauern gefürchteter Schädling. Die Untersuchung zeigte, dass die Insekten nach nur drei Jahren bereits immun gegen das vom Gentech-Mais abgesonderte Gift waren. Die Studienergebnisse wurden im Fachmagazin Crop Protection publiziert (Ausgabe Oktober 2014). Interessant ist, dass auch ein Industriewissenschaftler von Dow, ein Agrochemie-Konzern,m der gemeinsam mit Dupont-Pioneer den GV-Mais 1507 (Produktname Herculex) entwickelte, an der Untersuchung mitwirkte.

Resistenz-Management als Lösung?

Die Studienautoren empfehlen, umgehend Resistenz-Management-Maßnahmen auszuarbeiten. Derartige Empfehlungen hört man immer wieder von Wissenschaftlern und Industrie, wenn Resistenz-Probleme auftauchen. Auch in den USA sind Insekten-Resistenzen bei GV-Pflanzen inzwischen in mehreren Bundesstaaten ein Thema. In Pennsylvania untersuchten Forscher erst kürzlich schwer beschädigte Gentech-Maisfelder. Sie vermuten, dass dort Maiswurzelbohrer inzwischen immun gegen die Bt-Sorten geworden sind. Auf dem Fachportal AgProfessional wird eingeräumt, dass die Landwirte dieses Jahr wohl mit den Schäden leben müssten. Künftig sollte man auf Fruchtfolge etwa mit Soja achten:

At this time of the year, there is little to do to manage the problem; treating populations of adult beetles is ineffective, so solutions will have to be implemented next spring. The easiest way to fix this problem, or to prevent it from developing, is to regularly rotate fields from corn to soybeans or alfalfa (or some other non-corn crop for next growing season).

In zwei Kommentaren zu diesem Artikel wird den Landwirten eine "Mitschuld" an dem Problem unterstellt. Auch das hört man immer wieder von Industrieseite. Die Landwirte würden Gentech-Systeme nicht sachgerecht anwenden. Geschädigte Farmer sehen darin ein "Totschlag-Argument". In der Praxis könne man schwer gegen die Konzerne ankommen. Es würde sicherlich Farmer geben, die sich nicht zu hundert Prozent an die Vorgaben der Konzerne halten, räumen auch Gentech-Kritiker ein. Sachgemäße Anwendung sei aber nur ein Teil des Problems. Denn Landwirtschaft funktioniere eben nicht wie eine Chemiefabrik und Gentechnik wäre eine technokratische Lösung für extrem komplexe biologische Systeme.

Man weiß inzwischen, dass in manchen Regionen insektenresistente Bt-Pflanzen tatsächlich zu höheren Erträgen und niedrigerem Pestizideinsatz geführt haben. In anderen Regionen funktionierte das selbe Gentech-Event aber überhaupt nicht. Und wie man in Brasilien sieht, ist die Natur schlau und schnell. Positive Effekte halten oft nur kurzfristig an.

Das Gentechsaatgut führte in Brasilien dieses Jahr jedenfalls zu enormen Ernteeinbußen und wirtschaftlichen Schäden für die betroffenen Farmer. Es mussten vermehrt Insektizide (darunter offenbar auch Produkte eines deutschen Chemiekonzerns ) eingesetzt werden, wie eine Reportage der ARD anschaulich zeigte. In Puerto Rico wurde der Gentech-Mais 1507 im Jahr 2007 wieder vom Markt genommen, berichtet Greenpeace. Auch dort waren die Schadinsekten bereits nach kurzer Zeit gegen das Gift immun und vermehrten sich fröhlich weiter.

GV-Mais 1507 bald in Europa?

Der in Brasilien untersuchte GV-Mais 1507 könnte indes auch bald in Europa angebaut werden. Lange Jahre wurde keine einzige gentechnisch veränderte Pflanze in der EU für den Anbau zugelassen. Anfang des Jahres stimmte allerdings der EU-Ministerrat über die Anbauzulassung von GV-Mais 1507 ab (Regionale Anbauverbote für genveränderte Maissorte 1507).

Da sich keine qualifizierte Mehrheit fand, liegt nun der Ball bei der EU-Kommission, die eine Zulassung grundsätzlich befürwortet hatte. Insider rechnen mit einer Genehmigung. Wahrscheinlich wird er dann in Spanien angebaut werden - frühestens ab der Saison 2015.