Kreativer Ungehorsam

Foto: Code Pink

Initiativen, die auf originelle Art gegen Krieg und "Killerdrohnen" demonstrieren

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Medea Benjamin wirkt weniger wie eine Friedensaktivistin, sondern eher wie eine Dozentin, als sie sachlich feststellt: "Die Welt ist des Krieges überdrüssig, die Welt will Frieden." Benjamin gehörte 2002 zu den Mitbegründerinnen von "Code Pink", einer weltweiten Aktionsgruppe überwiegend von Frauen, die sowohl mit klassischen Protest- und Aktionsformen an die Öffentlichkeit gehen, aber als Zeichen der eigenen Friedfertigkeit auch auf Gesang, Tanz, "Kiss Ins" und Umarmungen "for free" setzen.

Überwiegend treten die Frauen dabei in pinkfarbener Kleidung auf, so wie Benjamin am Montag auf der Pressekonferenz in Aachen im Vorfeld der Verleihung des Friedenspreises. Heute Abend wird die zierliche 61-Jährige aus Washington, die zirka 1,60 Meter klein ist, mädchenhaft wirkt und selbst von US-Präsident Barack Obama wegen ihres eher schmächtigen Äußeren schon als "Young Lady" angesprochen wurde, diesen stellvertretend für ihre Organisation in Empfang nehmen.

Nun spricht sie ruhig, trägt ein pinkfarbenes Shirt-Aufdruck "women for peace", ein rosa Halstuch, eine pinkfarbene Armbanduhr, schwarze Jeans und pinke Ballerinas. "Krieg ist das Problem, nicht die Lösung", stellt sie sachlich fest. Ist das wirklich die Frau, die US-Präsident Barack Obama und den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit Fragen und Zwischenrufen aus dem Konzept gebracht hat? Will man sich vorstellen, wie bullige Polizisten und Sicherheitsleute die zierliche Frau rabiat festnehmen oder aus einem Saal werfen?

Der Aachener Friedenspreis ehrt mit seiner Preisverleihung zwei Friedensinitiativen, die sich mit kreativen und ungewöhnlichen Protestformen gegen Krieg, Militär und Unrecht wehren. Als internationaler Preisträger wird in diesem Jahr die weltweit aktive Initiative Code Pink aus den USA ausgezeichnet. Nationaler Preisträger ist das Protestorchester "Lebenslaute", das Militärstützpunkte oder Abschiebehaftanstalten mit klassischen Konzerten blockiert.

Störaktionen gegen Drohnen

Bei einem Pressegespräch am Morgen kritisieren Medea Benjamin und Elsa Rassbach von "Code Pink" auch die neuen "Drohnenkriege" abermals scharf. Seit Jahren thematisiert die Initiative, dass mithilfe der "Killerdrohnen" auch unschuldige Zivilisten getötet werden. Die Frauen gehen dagegen auf die Straße, ziehen vor US-Stützpunkten, die entsprechenden Unternehmen und das Weiße Haus, zeigen dabei symbolische Grabsteine der Opfer und nahezu identische Modelle der Drohnen. Benjamin publizierte zudem das Buch "Drone Warfare - Killing by Remote Control".

Laut der Initiative laufen Steuersignale an die aus den USA geleiteten Drohnen über den Stützpunkt Ramstein (Ramstein wird Zentrum des US-Drohnenkriegs in Afrika und Asien). Unterdessen will "Code Pink" ein internationales Netzwerk von Initiativen mitinitiiert haben, Anfang Oktober soll dazu ein erster weltweiter Aktionstag gegen "Killerdrohnen" folgen. Rassbach, eine US-Bürgerin, die in Berlin lebt und deren Vater während der Nazizeit aus Deutschland fliehen musste, sagt dazu am Morgen in Aachen, selbst in Pakistan, Afghanistan und Palästina würden dann Proteste stattfinden, also auch in jenen Ländern, in denen das Militär der USA oder von Israel "Killerdronen" einsetzt.

Plakat Code Pink

Die am 2. Oktober 2002, dem Geburtstag Mahatma Gandhis, von Frauen ins Leben gerufene "Code Pink"-Gruppe engagiert sich seit Jahren mit viele publikumswirksamen Aktionen gegen Militarismus und fordert, die bisher von den USA für Rüstung und Kriegsführung eingesetzten Gelder in Bildung und Gesundheit zu investieren. Auslöser für die Gründung war der sich seinerzeit abzeichnende zweite Irak-Krieg. Trotz der ernsten Thematik setzt die Initiative auch darauf, Proteste mit Freude und Spaß zu verbinden, Musik zu machen oder abzuspielen, zu tanzen oder Straßentheater aufzuführen.

Das ist jedoch nur die eine Seite, die an die Spaßguerilla der 68er erinnert. Doch "Code Pink" ist weit mehr als die auf den ersten Blick vielleicht nur niedlich und schrill wirkende Spaßfraktion. So bereisten Delegationen und Benjamin Kriegsgebiete, um sich mit Angehörigen der Opfer von US-Drohnenangriffen zu treffen. Aktivistinnen haben den Nahen Osten besucht, in Gaza Spielplätze gebaut und wurden aus Israel wegen der Kritik an den dortigen Militäraktionen abgeschoben.

In Ägypten wurden Friedenskämpferinnen von "Code Pink" von Schlägern des Regimes verprügelt, weil sie auch gegen die Verhaftung von Journalisten protestiert hatten. Im Umfeld der Ausschreitungen im amerikanischen Ferguson (Die Militarisierung der Polizei) beteiligten die Frauen sich an den Protesten gegen Rassismus.

Gelegentlich werden die Aktivistinnen dabei auch zu unbequemen Besucherinnen politischer Veranstaltungen. Medea Benjamin unterbrach etwas Präsident Obama bei einer Grundsatzrede zur nationalen Sicherheit mehrfach mit Fragen, bevor sie dann - siehe oben - des Saales verwiesen wurde. Aktivistinnen störten CIA-Direktor David Petraeus und die damalige Außenministerin der USA, Condoleezza Rice. Benjamin und andere Aktivistinnen wurden mehrfach wegen solcher Proteste und Störaktionen von der Polizei in Haft genommen.

Im Kontrast zu normalen Friedensdemonstrationen

"Lebenslaute" ist ein Zusammenschluss von rund dreihundert Musikern und Chorsängern, die sich seit 1986 als offene Musik- und Aktionsgruppe verstehen. Das Bündnis will gegen menschenfeindliche Politik mobil machen - mit klassischen Konzerten an ungewöhnlichen Orten, an denen Auftritte üblicherweise nicht erlaubt sind. Dazu zählen Militärübungsplätze, Fliegerhorste, Atomfabriken und Behörden. Die Musiker treten dabei üblicherweise in Orchesterkleidung auf.

Sowohl das, aber auch die für jene Orte meist unüblichen Klassikdarbietungen stehen im Kontrast zu "normalen" Friedensdemonstrationen oder Blockaden, sollen zum Denken anregen und auch Menschen ansprechen, die nicht der wiederum selbst klassischen Friedensbewegung angehören. Außerdem zeigen die ungewöhnlichen Konzerte in gewisser Weise auch die Diskrepanz respektive Disharmonie zwischen dem Gemeinwesen und der Gesellschaft auf der einen sowie den "Orten der Unmenschlichkeit" auf der anderen Seite auf.

Die Preisträger. Foto: Michael Klarmann

Der Aachener Friedenspreis wurde 1988 von einem Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und Bürgergruppen ins Leben gerufen. Im Gegensatz zum Internationalen Aachener Karlspreis sollen mit der Auszeichnung Engagement und Zivilcourage von Menschen gewürdigt werden, die sich "von unten" her und ohne öffentliche Ämter für den Frieden engagieren. Traditionell werden die Preisträger am 8. Mai bekannt gegeben, dem Tag der Kapitulation Nazideutschlands - ebenso wie die Preisverleihung traditionell am Antikriegstag, dem 1. September stattfindet.