Libyen und die ratlose Nato

Das Land ist faktisch keine Einheit mehr. Der britische Sonderbeauftragte Powell betonte nun, dass es "keine militärische Intervention" geben werde und verlangte diplomatische Lösungen, aber wie diese aussehen sollen, weiß niemand

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Natürlich hat der Pool-Spaß-Film den berühmten Symbolgehalt: Milizen, die laut Angaben des libyschen Parlaments namens Allgemeiner Nationalkongress (gebräuchlich ist die englische Abkürzung GNC) die US-Botschaft in Tripoli bewachen sollen, toben ausgelassen im Schwimmbad auf dem Gelände der Botschaft herum. Die Diplomaten waren vor Wochen eilig abgereist.

Amerikanische Regierungsvertreter winden nun sich in Erklärungen zur Sache, betonen aber naturgemäß, dass das Gelände sicher und unter Kontrolle sei. Zur Situation in Libyen meint der von CNN befragte Beamte des Außenministeriums, dass man sie sehr genau verfolge. Er stellt fest, dass sie sehr ungewiss bleibe.

Neue Nachrichten geben ihm völlig Recht und es braucht auch keine Schwimmbadparty in der Embassy als Symbol dafür, dass die Lage in Libyen außer Kontrolle geraten ist. Zwei parallele Parlamente, der genannte, wiederbelebte Rumpf-GNC und das von einem kleinen Bruchteil der libyschen Bevölkerung (18 %) gewählte Abgeordnetenhaus (in englischsprachigen Berichten: "House of Representatives" bzw. HoR) konkurrieren miteinander und stellen jeweils einen Ministerpräsidenten, der von der anderen Seite nicht anerkannt wird - und das Ganze findet vor dem Hintergrund eines Milizenkriegs statt, dessen Fraktionen auf unterschiedliche Weise mit den jeweiligen Parlamentsabgeordneten und Regierungsabteilungen verbunden sind.

Dazu kommt die Dimension des Stellvertreterkriegs, in dem dann weitere Parteien verstrickt sind. Wie kürzlich die Vereinigten Arabischen Emirate durch Luftangriffe demonstrierten; Ägypten, das angeblich Start-und Landebahnen für die Jagdbomber amerikanischer Bauart geliefert hatte; Katar, das sich seit langem in Libyen engagiert und Milizen fördert, die nun auf der anderen Seite agieren als jene, die Ägypten und die VAE unterstützen; die Türkei, ebenfalls den libyschen Muslimbrüdern zugetan, und dazu gibt es noch die Interressenssphären Saudi-Arabiens und sowie nicht zuletzt der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und auch Deutschlands.

Der britische Sondergesandte für Libyen, Jonathan Powell, besuchte nun das HoR-Parlament, das in den Osten nach Tobruk übergesiedelt ist, weil es in der Hauptstadt Tripoli zu gefährlich für die Abgeordneten wurde. Gestern hieß es, dass viele Regierungsgebäude in der Hand jener Gruppen sind, die unter dem Namen "Operation Morgenröte" zusammenkämpfen und kürzlich den Internationalen Flughafen in Tripoli erobert und zerstört hatten. Sie haben bessere Beziehungen zum GNC.

Da das HoR aus allgemeinen Wahlen hervorgegangen ist - die zwar eine miserable Wahlbeteiligung hatten und nur aufgrund eines Putsches gegen das alte Parlament zustandekamen -, so hält der britische Sondergesandte das HoR für die legitime Volksvertretung Libyens.

Erleichtert wird seine Entscheidung zum einen durch eine gewisse Kontinuität: der Ministerpräsident, den das HoR bestimmte, ist der alte: Abdullah al-Thinni. Zum anderen spricht dafür, dass die Neuwahlen den islamistischen Parteien eine Niederlage zufügten (weswegen sie im Gegenzug das alte Parlament, den GNC wiederbelebten). So erklärte Powell, dass Großbritannien die "Legitimität des libyschen Parlaments" anerkenne und meinte das HoR.

Wahrscheinlich werden sich dem noch andere westliche Staaten anschließen, die Regionalmacht, die Libyen benachbart ist, Ägypten, hat längst Partei genommen. Es unterstützt Chalifa Haftar, den Milizenführer, der die Neuwahlen mit Gewalt angestoßen hat, gute Beziehungen zu den USA hat und seinen Machtkampf unter das Plakat "Kampf gegen die Islamisten" gestellt hat, was vielerlei Andockmöglichkeiten bietet.

Bemerkenswert ist Powells Erklärung, wonach es keine militärische Intervention geben wird, wie dies manche libyschen Politiker von Nato-Staaten gefordert hatten. Der Konflikt solle mit diplomatischen Mitteln gelöst werden, so Powell, während der "Flughafenkrieg" in Bengasi weitertobt. De facto ist Libyen momentan nicht nur ein gescheiterter Staat, sondern auch ein geteilter. Man darf gespannt sein, wie das Thema Libyen beim anstehenden Nato-Gipfel behandelt wird.