Griechenland: Die Duelle der Verlierer

Die Pasok-Ausstellung. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Wie sich die Sozialdemokratie endgültig ins Abseits befördert

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In Paris diskutiert die Kreditgebertroika mit der griechischen Regierung darüber, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden müssen, um dem griechischen Fiskus und in der Folge den internationalen Kreditgebern Einnahmen zu bescheren. Außer Massenentlassungen stehen Verlängerungen von eigentlich zeitlich begrenzten Sonderabgaben und Kopfsteuern an.

Die griechischen Bürger sollen, glaubt man den Regierungsversprechen, auf Erleichterung hoffen können. Diese sieht vor allem so aus: Statt in sechs verzinsten Monatsraten darf, wenn es für die hellenischen Unterhändler nach Plan läuft, die jährliche Steuerschuld künftig in bis zu 100 - zu etwa neun Prozent Effektivzins verzinsten - Monatsraten abgestottert werden.

Anstatt den mehr als offensichtlichen, wirtschaftlichen Unsinn solch einer Regelung anzuprangern, zerfleischt sich die zum Juniorpartner des konservativen Premiers Samaras verkommene PASOK lieber selbst. Es geht wie so oft bei Konflikten auf dem Balkan vorgeblich um Traditionen und Geschichte. Tatsächlich jedoch, versuchen drei abgewirtschaftete Politiker ihr Ego zu stärken.

Drei Parteivorsitzende und "Parteifreunde" hassen sich

Am 3. September 1974 begründete Andreas Papandreou, Sohn des mehrfachen, ehemaligen griechischen Premiers Georgios Papandreou, die Panhellenische Sozialistische Bewegung. Von 1981 bis 1989, und danach wieder ab 1993 bis zum durch Krankheit erzwungenen Rücktritt im Januar 1996 war der 1996 verstorbene Andreas Alleinherrscher der so genannten "Demokratischen Partei", also der zur sozialdemokratischen Partei gewandelten ehemals sozialistischen Bewegung.

Zeit seines Lebens nicht unumstritten, hatte Andreas mit zahlreichen Skandalen sowie mit einem bereits 1989 von seiner Regierung in den Bankrot gewirtschafteten Land zu kämpfen. Sohn Giorgos Papandreou folgte 2004 Andreas Nachfolger Costas Simitis im Amt des Parteivorsitzenden.

Simitis, der seine Sichtweise sozialdemokratischer Politik "Modernisierung" nannte, hatte von 1996 bis 2004 regiert. In seine Amtszeit fielen sowohl die "Greek Statistics" als auch unzählige Bestechungsskandale. Es ist bezeichnend, dass der einzige bislang aus der Zeit der Metapolitefsi einsitzende führende Politiker Griechenlands, Akis Tsochatzopoulos, den Grund für seine 20 Jahre Haft unter Costas Simitis "verdiente".

Giorgos Papandreou ekelte zunächst nacheinander Simitis Ministerriege ins politische Abseits, ehe er den ehemaligen Premier selbst mit einem Schachzug ins politische Altenteil sandte. Zu den Parlamentswahlen 2009 trat Simitis nicht mehr an. Giorgos Papandreou übernahm nicht nur die strauchelnde PASOK von seinem Vorgänger Simitis, er übernahm auch die Regierung Griechenlands vom konservativen Premier Kostas Karamanlis, als dem Land seitens der EU und Eurogruppe bereits mehr als nur Alarmglocken über die desolate Haushaltsbilanz geläutet wurden.

Giorgakis, wie er als jüngerer Vertreter der Papandreou diminuitiv gerufen wird, vertraute auf eine Heerschar von internationalen Beratern, die er FROG (Friends of George) rief, und machte damit der griechischen Wirtschaft endgültig den Garaus.

Die seit 2010 im Dreimonatstakt von der Kreditgebertroika vorgeschriebenen Sparmaßnahmen garantierten dem Land zwar eine weitere Kreditfinanzierung, haben jedoch für andauernde Rezession, Verarmung und eine Arbeitslosigkeit in der offiziellen Größenordnung von 27 Prozent gesorgt. Der in den USA sozialisierte Papandreou junior hatte die Rechnung zur Neuorganisation des Landes ohne die griechischen Realitäten gemacht. Zudem dachte er offenbar, dass IWF-Programme ein Selbstläufer sind, wenn man sie nur gewissenhaft befolgt.

Als sich Papandreou seines Fauxpas' bewusst wurde, versuchte er gegenzusteuern. Zu spät, denn das von ihm initiierte Referendum über den Euro wurde den Griechen nie vorgelegt (Quo vadis Graecia?). Entscheidend bei der Niederschlagung der Idee, die Griechen selbst darüber abstimmen zu lassen, ob sie eine Pleite im Euro oder mit einer eigenen Währung, der Drachme, vorziehen, war Evangelos Venizelos.

Der schwergewichtige Machtpolitiker hatte bereits 2007 heftig die Fäden gesponnen, um den von ihm ungeliebten Gründersohn zu stürzen. Giorgakis hatte im Herbst 2007 gerade die Parlamentswahlen gegen Karamanlis verloren und damit nach 2004 die zweite Niederlage für die PASOK geholt. Da beschloss Venizelos noch vor dem Vorliegen des amtlichen Endergebnisses im Athener Zappeion die Führungsfrage zu stellen. Vor laufenden Kameras bot er sich mit der Mimik der altruistischen Selbstaufopferung als Retter an.

Im November 2011 hatte Papandreou bei einem Krisentreffen in Cannes die gesamte EU, vor allem aber Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Nicolas Sarkozy geschockt. Zunächst stützte Venizelos die Initiative seines Vorsitzenden. Als Papandreou dann im Flugzeug von Cannes nach Athen saß, nutzte Venizelos die Gunst der Stunde und landete einen PR Coup.

Er ließ den mitten in der Nacht im Flieger sitzenden und daher wehrlosen Premier in den Mitternachtsnachrichten wie einen Vollidioten dastehen. Da die Griechen in der Regel bis Mitternacht aktiv sind, war Papandreou damit politisch erledigt, bevor er in Athen landete. Entnervt warf Giorgakis das Handtuch. Er hatte zuvor noch versucht, über seine Getreuen aufzudecken, dass Venizelos mit einem Privatkrieg mit den Troika-Prüfern die Verschärfung der Lage ausgelöst hatte.

Seiner Regierung folgten ab 2011 Koalitionsregierungen der PASOK mit der konservativen Nea Dimokratia. Immer spielte Venizelos als Koalitionspartner Samaras eine große Rolle. Giorgakis wurde in Griechenland nur noch als gescheiterter Politiker wahrgenommen. Die regierungstreuen Medien berichteten mit Vergnügen über die zahlreichen Auslandsaufenthalte des Vorsitzenden der Sozialistischen Internationalen, George Papandreou.

Der Eklat am Montag

Das alles änderte sich schlagartig am vergangenen Montag. Statt bis zum offiziellen Jahrestag zu warten, hatte Giorgakis für den 1. September eine Feierstunde organisiert. Als Geburtstagsfeier der Partei konnte er sie nicht tarnen, denn der 3. September ist und bleibt das "historische Gründungsdatum".

Giorgakis spielte geschickt die Familienkarte aus. Er ließ über die Parteistiftung ISTAME, den immer noch von ihm kontrollierten Think-Tank, im Athener Zappeion Kongresszentrum eine multimediale Foto- und Filmausstellung über das Leben und Wirken seines Vaters erstellen. Zur Einweihung am Montag lud er Simitis und Venizelos ein. Er ließ gleichzeitig verkünden, dass er selbst am 3. September leider fehlen müsse. Papandreou hielt am Mittwoch Abend eine Rede vor britischen Bankern in deren Zentrale in Großbritannien.

Der listige Simitis war sich der Falle bewusst. Dankend und diplomatisch sagte der ehemalige Premier ab. Er sei leider verhindert und so kurzfristig nicht verfügbar. Venizelos ließ es sich aber nicht nehmen, persönlich seinen Machtanspruch zu dokumentieren.

Bevor Venizelos am Montagabend ankam, hatten sich Papandreous Geschwister, die Brüder Nikos und Andrikos. samt Gattinnen und Kindern eingefunden. Sie wurden wie Prinzen einer Königsfamilie gefeiert. "Papandreou, Papandreou" schallte es überall. Niemand hatte sichtbar kontrolliert, wer sich vor dem Kongresszentrum alles eingefunden hatte.

Ob die überall präsenten Ordnungskräfte im Geheimen operiert hatten, lässt sich für einen Außenstehenden nicht beurteilen. Fakt ist, dass selbst dem unter Anklage stehenden ehemaligen Finanzminister Giorgos Papankonstantinou viel Beifall gezollt wurde.

Evangelos Venizelos bei seiner Rede. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Als Venizelos auftauchte gab es jedoch Buh-Rufe. "Verräter" war noch die freundlichste Begrüßung, die dem selbstbewussten Verfassungsrechtler entgegen gebracht wurde. Venizelos machte den Fehler, dass er während der Feierstunde zur Ausstellungseröffnung und nach Giorgakis triumphalem Empfang das Wort ergreifen wollte.

Seine Rede wurde mehrfach mit Beschimpfungen unterbrochen. Es fiel jedoch auf, dass der frühere Parlamentspräsident Philippos Petsalnikos, ein Adlatus Papandreous, die Menge zur Ordnung rief. als sie einen Vertreter der Nea Dimokratia beschimpfen wollte - "Wir sind Demokraten und beschimpfen niemanden" - bei Venizelos extensiver Abstrafung jedoch demonstrativ schwieg.

Die Replik am Mittwoch

Am Mittwoch setze es die weitere Folge im Streit der PASOK-Vorsitzenden. Simitis hielt anlässlich des Jahrestags der Partei eine lange Rede, in der er seine Regierungszeit als bahnbrechenden Fortschritt beschrieb. Seinem direkten Nachfolger Papandreou las er dagegen die Leviten. Vor allem der Wahlkampf 2009 habe sowohl der Partei als auch dem Land geschadet, befand Simitis.

Venizelos setzte noch einen drauf. Zunächst kommentierte er bissig das Fehlen des Parteigründersprösslings. Danach lobte er sich selbst dafür, dass er Andreas Papandreou unter Aufbringung immenser Opfer geholfen habe, als dieser 1989 gegen Korruptionsvorwürfe und Anklagen zu kämpfen hatte. Dass der damalige Uni-Professor für seinen Rechtsbeistand mit einem Ministerposten und einer Parteikarriere entschädigt wurde, empfindet Venizelos offenbar als Last.

Zudem bemerkte er mehrfach, dass auch seine jetzige Beteiligung an der Regierung keineswegs aus Machtgier, sondern aus rein altruistischen Beweggründen geschehen würde. Sechs Sticheleien gegen Papandreou notierten die griechischen Pressebeobachter am Ende von Venizelos Rede. Alle gegen GAP meldeten andere. Das Wortspiel mit GAP, Englisch für Lücke, wird sehr oft mit den Initialen Papandreous, Giorgos Andrea Papandreou, gespielt.

Deutlicher als bei den Reden am Abend ließen es Venizelos Getreue den Tag über durchsickern, was ihnen vorschwebt. Papandreou solle doch, so meinen sie, mit seinen zehn ihm ergebenen Abgeordneten aus der Regierung verschwinden und diese damit stürzen. Denn nach einem Grund, die für die PASOK in der Wählergunst katastrophale Koalition mit Samaras zu verlassen, suchen in der Partei alle. Allerdings möchte niemand die Verantwortung übernehmen.

Auf der Strecke bleiben bei solchen byzantinischen Ränkespielen wie immer die Bürger. Es gibt nicht einmal mehr einen Beschäftigten pro Haushalt. Genau dies war einst das Versprechen Giorgos Papandreous, als er die Troika Lösung - bestehend aus IWF, EU und EZB - als Garanten für eine sozialere Rettung pries.