Die Flucht der irakischen Offiziere

Der angebliche Tod des IS-Kalifen oder wie nötig die irakische Armee ein Erfolgserlebnis hat

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Heute nachmittag kursierte für einige Stunden die Meldung, wonach der Kalif Ibrahim, aka Abu Bakr al-Baghdadi getötet wurde. Als Quellen fungierten das irakische Fernsehen und al-Arabjia. Dort wurde die Meldung später korrigiert. Nun heißt es nur mehr, dass ein "enger Mitstreiter" des IS-Kalifen "angeblich getötet", wurde, wie dies dann auch auf Spiegel-Online gemeldet wurde. In beiden Meldungen sind die Spuren der anfänglichen wichtigeren Todesnachricht unübersehbar.

Man kennt dergleichen noch aus den Anfängen von al-Qaida im Irak, als der Tod des damaligen brutalen Anführers, az-Zardawi, herbeigesehnt wurde. Die übereilten Meldungen häuften sich und als Zarqawi dann im Juni 2006 durch einen US-Luftangriff getötet wurde, wurde auch diese Meldung noch eine ganze Weile angezweifelt.

Sicher ist, dass mit dem Tod des früheren Kopfes von al-Qaida im Irak (AQI) die Substanz der Dschihadisten-Truppe nicht getroffen wurde, wie man das an der Weiterentwicklung des al-Qaida-Ablegers zum IS verfolgen kann. Auch wenn dem jetztigen Führer Ibrahim mit dem Kunstnamen Abu Bakr al-Baghdadi wie üblich Charisma bescheinigt wird und - in Sonderheit zu anderen al-Qaida-Führern - seine verbriefte religiöse Gelehrtheit (angeblich hat er einen Abschluss an einer islamischen Universität) hervorgehoben wird, so ist es nicht gewiss, dass sein Ende auch das schnelle Ende des von ihm ausgerufenen islamischen Staates bedeuten würde.

IS-Führer al-Bagdadi bei einer Predigt in Mossul. Bilder aus einem ISIL-Propagandavideo

Gewiss ist dagegen, dass die irakische Armee gerade im Moment eine Erfolgsmeldung bitter nötig hat, was bei der eilige im Fernsehen verkündeten Nachricht über den Tod des IS-Klaifen eine Rolle gespielt haben dürfte. Im irakischen Parlament spielen sich derzeit für die Regierung unangenehme Szenen ab. Und es gibt laute Proteste. Verhandelt wird nämlich über ein Desaster in Tikrit, das sogenannte "Speicher Massaker", bei dem 1.700 irakische Soldaten bzw. Rekruten ums Leben gekommen sind, hingerichtet von den Schergen des Islamischen Staates.

Was dabei ans Licht kommt, ist das Versagen der Offiziere der irakischen Armee und damit auch der desolate Zustand der irakischen Armee. Der Vorwurf: Die Offiziere sind geflüchtet, während die ihnen Anvertrauten ins Messer bzw. vor die Gewehrläufe der gnadenlos brutal agierenden IS-Milizen liefen.

Die Parlamentssitzung, die sich mit den genaueren Umständen beschäftigt, wurde noch einmal verschoben. Zur hatten angeblich 200 Angehörige der Opfer das Parlament gestürmt.

Die Flucht der Offiziere wird von anderen ranghohen Militärs bestätigt. Das perfide Detail dazu: Die fliehenden Befehlshaber gaben offensichtlich im doppelten Sinn ein schlechtes Vorbild ab. Denn während es ihnen gelang, den IS-Truppen zu entkommen, liefen die Soldaten und Rekruten durch die Flucht den IS-Einheiten geradewegs in die Arme.

Möglicherweise hätten sie in ihrem Camp eine höhere Überlebenschance gehabt, ist im Bericht eines durch viel Glück davon gekommenen irakischen Soldaten zu lesen, worin ebenfalls die Rede davon ist, dass die von der US-Armee ausgebildeten Offiziere - wie schon in Mosul - sehr schnell die Flucht ergriffen.

Aus dem Bericht geht auch hervor, wie solche Massaker, die IS-Milizen töteten weit über tausend Soldaten im Stil einer Hinrichtung, den Konfessionskrieg schüren. Zu Anfang der Hinrichtung wurden Schiiten und Sunniten unter der Gefangenen getrennt. Den Sunniten gab man die Chance, sich den Dschihad-Banden anzuschließen. Sunnitische Stämme aus Tikrit, dem Ort, dem bekanntlich Saddam Hussein entstammt, sahen dem Massaker zu, heißt es im Bericht des Überlebenden. Die Angehörigen, die nun in Bagdad protestieren, machen genau dies zur Anklage. Das Massaker fiel in die Zeit, als Maliki noch als Premierminister fungierte.