Nun auch Nullzinsen und Gelddrucken in Europa!

Doch die Geldpolitik der EZB ist zunehmend umstritten, die gegen Deflationsängste und Konjunktursorgen den Geldhahn immer gefährlicher aufdreht

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Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) wird immer verzweifelter. Nun hat sie den Leitzins praktisch auf Null gesenkt. Schon im Juni wurde er auf 0,15% gedrückt und am Donnerstag nun auf 0,05% heruntergeprügelt Das ist ein neues historisches Rekordtief und zudem wurde noch der Strafzins auf -0,2% verdoppelt, um Deflationsängsten zu begegnen.

Die EZB will ab Oktober auch im großen Stil gefährliche Asset Backed Securities (ABS) und Pfandbriefe (Covered Bonds) aufkaufen. Sie sah sich zum Handeln gezwungen, nachdem die offizielle Inflationsrate im August weiter auf nur noch 0,3% gefallen war, statt sich der Zielmarke von 2% zu nähern. Die EZB will auch die Konjunktur in der Eurozone ankurbeln, denn die droht in die Rezession zurückzufallen, was durch die Sanktionsspirale (Sanktionen gegen Russland werden verhängt) gegen Russland verstärkt wird.

Frühzeitig hat die EZB unter ihrem Chef Mario Draghi fast ihr gesamtes Pulver verschossen und die Geldpolitik benutzt, um in der Finanz- und Wirtschaftskrise durch das Senken der Zinsen Konjunkturpolitik zu machen, obwohl ihre Aufgabe ist, für Geldwertstabilität zu sorgen. Draghi hatte das offen formuliert und erklärt, die Notenbank wolle der noch immer schwachen Wirtschaft im Euroraum auf die Beine helfen und höhere Wachstumsraten ermöglichen.

Doch als in Teilen der Eurozone die Wirtschaft zum Teil wieder kräftiger wie in Deutschland wuchs, wurde der Leitzins eben nicht wieder angehoben, wie er auch angekündigt hatte. Die Geldschwemme wurde immer weiter mit dem Ziel ausgeweitet, damit Krisenstaaten wieder bezahlbar an Geld an den Kapitalmärkten kommen.

Als Nebeneffekt werden Banken subventioniert, die das Geld auch bisher praktisch zum Nulltarif erhielten, es aber für gute Zinsen mit Risikoaufschlägen an Krisenländer verleihen. Dabei haben sie praktisch kein Risiko, weil ja entsprechende Rettungsschirme und Rettungsmechanismen geschaffen wurden und mit der Bankenunion noch geschaffen werden, weshalb letztlich weiter die Steuerzahler haften.

Und so wurden aus Irland und Portugal angeblich "erfolgreiche Rettungsfälle". Dabei haben sich deren Schuldenprobleme mit den "Rettungen" noch deutlich zugespitzt, weil die Schulden für Bankenrettungen enorm stiegen. Trotz allem wurde es in Portugal kürzlich schon wieder eng, weil die größte Bank verstaatlicht werden musste.

Werkzeugkasten der EZB nun fast leer

Das Problem ist, dass der Werkzeugkasten der EZB nun fast leer ist und immer ungewöhnlichere Maßnahmen ergriffen werden müssen. So wurden schon im Juni Strafzinsen dafür eingeführt, wenn Banken Geld bei der EZB parken. Dieser Zinssatz wurde nun von -0,1% auf -0,2% erhöht. Durch die erstmalige Einführung eines Strafzinses sollte erreicht werden, dass das billige EZB-Geld in die Realwirtschaft fließt.

Das passiert aber nicht, weshalb man diesen Zins nun verdoppelt hat. Mit einer solchen Strafgebühr hatte sich die dänische Notenbank schon versucht. Doch statt die Kreditvergabe zu steigern, ging sie nach Angaben von Experten sogar weiter zurück (Nullzins, Strafzinsen und demnächst unbegrenztes Gelddrucken) So seien 2012 zum Beispiel lieber dänische Staatsanleihen mit kurzer Laufzeit gekauft worden, als das Geld an Firmen zu verleihen.

Längst hatte man in der EZB damit begonnen, die Notenpressen zu entstauben. Vorbereitungen für den Ankauf von Anleihen im großen Stil begannen. Und nun ist es amtlich, dass den Banken zunächst Kreditpakete (Asset Backed Securities / ABS) abgekauft werden, worüber auch die Kreditvergabe gestärkt werden soll. Das soll ab dem 2. Oktober geschehen, kündigte Draghi an.

Dann können Banken ausstehende Forderungen aus Krediten an den Markt bringen und ihre Bilanzen entlasten. Angesichts des Stresstests im Rahmen der Bankenunion werden die darüber aufgehübscht. Und das macht die Institution, in deren Haus auch die gemeinsame Bankenaufsicht liegt. Die EZB ist also Aufseher und bietet gleichzeitig Lösungen für schwächelnde Banken an.

Tür für den unbegrenzten Anleihekauf geöffnet

Nach Ansicht der Bank der Zentralbanken (BIZ) in Basel erhält sie mit ihrer Geldpolitik längst insolvente Schuldner und Zombie-Banken am Leben. Die BIZ warnt seit längerem vor gravierenden Risiken im Bankensektor und vor der steigenden Zahl fauler Kredite.

Zur Umsetzung des ABS-Kaufprogramms war BlackRock Solutions als Berater von der EZB ins Boot geholt worden, weshalb dieser Schritt absehbar war, wenngleich die neue Leitzinssenkung viele überrascht hat.

Europäische Zentralbank; Foto: Francisco Anzola/CC BY 2.0

Mit Blick auf die umstrittene Notenbankpolitik in den USA fragt man sich an den Kapitalmärkten nun, ob auch Draghi "Geld mit dem Hubschrauber abwirft". Für diese eigentümliche Idee bekam der ehemalige FED-Chef Ben Bernanke den Spitznamen "Helikopter Ben". Die EZB sieht in der schwachen Kreditvergabe einen wichtigen Faktor für die niedrige Inflation, hatte Draghi schon vor einem Monat erklärt, als die EZB trotz sinkender Inflation keine Maßnahmen ergriffen hat.

Nun beginnt der Einstieg in das "Quantitative Easing" (QE). "Wir sind bereit, QE einzusetzen, wenn es nötig wird", sagte Draghi schon nach der Zinssitzung im August. Die Tür für den unbegrenzten Anleihekauf hat Draghi nun weiter geöffnet. Bleibt die Inflationsrate längerfristig niedrig, sei der EZB-Rat zu weiteren unkonventionellen Maßnahmen entschlossen, wiederholte der Notenbankchef am Donnerstagnachmittag vor der Presse in Frankfurt schon zuvor angedrohte Maßnahmen.

Unbegrenztes Gelddrucken

Mit den unkonventionellen Maßnahmen ist QE gemeint. Und das bedeutet, das Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen wieder anzufahren. Das hatte die EZB in der Finanzkrise schon einmal getan und für rund 200 Milliarden Euro Staatsanleihen von Krisenstaaten gekauft. Nun meint Draghi, dass auch private Papiere in großem Stil gekauft werden könnten. Der Widerstand der Bundesbank gegen Anleihekäufe ist längst gefallen. Bundesbank-Chef und EZB-Ratsmitglied Jens Weidmann hatte einst noch erklärt:

Egal, ob es um Zinsen geht oder um irgendwelche Sondermaßnahmen - am Ende läuft es immer darauf hinaus, dass die Notenbank für Ziele der Fiskalpolitik eingespannt werden soll.

Er kritisierte, dass die Notenbank die Grenze zur verbotenen Staatsfinanzierung überschreite und ihre Geldpolitik könne "süchtig machen wie eine Droge". Davon ist nichts mehr zu hören, auch wenn Weidmann weiter seine Bauchschmerzen hat, macht er bei den fast monatlichen Geldspritzen an die Junkies mit. Dabei ist man sich sogar in der EZB darüber bewusst, dass gefährliche Blasen aufgebläht werden (EZB warnt vor Folgen der eigenen Blasen-Politik).

Faktisch wird mit nun mit dem unbegrenzten Gelddrucken begonnen, wie von Draghi auch schon für den Notfall angekündigt worden war (Setzt die EZB die Notenpresse ungebremst in Gang?). Dazu kommt, dass die in den ABS verbrieften Forderungen an der Finanzkrise ab 2007 einen erheblichen Anteil hatten, die jetzt auf die Steuerzahler umgeschichtet werden.

Über die "strukturierten Anleihen" wurden nicht nur faule Kredite gebündelt und als Anleihen am Kapitalmarkt zu Geld gemacht, sondern auch Bilanzen geschönt, da darüber offene Forderungen daraus verschwinden. Auch Banken konnten damit Forderungen und Risiken breit streuen. Faule Kredite wurden ausgelagert und die Kapitalmärkte mit toxischen Anleihen verseucht.

Die Ankurbelung der Konjunktur ist erneut EZB-Ziel, denn die Zentralbank senkt ihre Wachstumsprognose deutlich

Eigentlich ist es nur die Aufgabe der EZB für Geldwertstabilität zu sorgen. Doch das ist unter Draghi immer weiter in den Hintergrund gerückt. So argumentierte er für seine neuen unkonventionellen Maßnahmen erneut auch mit der schwächelnden Konjunktur. Tatsächlich ist die Eurozone erneut auf dem Weg in die Rezession.

Dass der bisherige "Wachstumsmotor" Deutschland stottert, machte das im zweiten Quartal deutlich. Denn im Quartalsvergleich schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 0,2% nachdem es noch im ersten Quartal um 0,7% zugelegt hatte.

Dabei haben sich die Russland-Sanktionen und Gegenreaktionen darin bisher noch kaum niedergeschlagen. Da weiter an der befürchteten Sanktionsschraube gedreht wird, obwohl weder Beweise für die Verwicklungen in den Abschuss der MH17 noch Beweise für die direkte Einmischung im Ukraine-Konflikt vorliegen, muss man kein Experte sein, um einen weiteren Abschwung durch die Wechselwirkungen und Rückkopplungseffekte vorherzusagen.

Deshalb senkte nun auch die EZB ihre Wachstumsprognose für den Euroraum deutlich nach unten. Insgesamt erwartet sie für 2014 noch mit einem Wachstum von 0,6% statt 1%. Und die Prognose wurde auch für 2015 von 1,7% auf nur noch 0,9% nach unten korrigiert.

Da die EU am Freitag die Sanktionen noch deutlich ausweiten will, könnten diese Werte noch deutlich zu hoch gegriffen sein. Sollten sich die zu erwartenden Gegenmaßnahmen Russland auch auf die Energieversorgung in Europa auswirken, dann könnte es angesichts der Tatsache im Winter dramatisch werden, dass in Großbritannien und Belgien durch die Abschaltung von Atomkraftwerken ohnehin schon Notfallpläne ausgearbeitet werden (Zwei belgische Atommeiler vor der definitiven Abschaltung?).

Die Kritik an der Politik der EZB wurde zuletzt in Deutschland wieder lauter. Das hatte vor allem mit Draghis Aussagen kürzlich beim Notenbankertreffen im US‑amerikanischen Jackson Hole zu tun. Daraufhin habe Bundeskanzlerin Angela Merkel verärgert zum Telefonhörer gegriffen, um den EZB-Chef zur Rede zu stellen, hatte der Spiegel berichtet. Merkel wollte von Draghi wissen, ob er den Sparkurs in der Eurozone noch mitträgt.

Denn der hatte plötzlich öffentliche Investitionsprogramme gefordert, um die Konjunktur anzukurbeln. Er forderte "eine größere Rolle der Fiskalpolitik" und wie aus seiner Heimat Italien und aus Frankreich gefordert, will er die "existierende Flexibilität der Regeln" dazu nutzen, "um den schwachen Aufschwung zu bekämpfen".

Er verwies dabei auch auf angebliche Spielräume in den öffentlichen Haushalten. Damit kann er praktisch nur Deutschland gemeint haben, da alle anderen großen Euroländer sich massiv weiter verschulden und auch ihre Defizite noch immer nicht im Griff haben.

Und vor der Zinssitzung hatte sich auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) noch einmal warnend an die EZB gewandt und sich gegen den Ankauf von Anleihen ausgesprochen. "Die EZB hat ein klares Mandat, nämlich für Geldwertstabilität zu sorgen. Und sie hat nicht das Mandat, die Staaten zu finanzieren." Er verwies darauf, dass das mit den bestehenden Verträgen nicht zu machen sei.

Man darf gespannt darauf sein, welche Maßnahmen die Bundesregierung nun ergreift, wo doch die EZB ihrer Ansicht nach gegen die Verträge im Sinne derer verstößt, "die mit ihren Haushalten nicht hinkommen."

Aussichten

Es ist zu vermuten, dass nichts passieren wird und vermutlich auch von der Bundesregierung letztlich akzeptiert wird, wenn ungebremst die Notenpressen über den Ankauf von Anleihen aller Art in Gang gesetzt werden. Schon die bisherige Politik erfüllt längst das Ziel, dass Krisenstaaten suggeriert wird, sie könnten sich wieder eigenständig an den Kapitalmärkten finanzieren. Dabei ist das nur über die Geldschwemme möglich, weil das viele Geld nach Anlagemöglichkeiten sucht und sogar Griechenland wieder Geld an den Kapitalmärkten erhält.

Dabei ist die Verschuldung sehr viel höher als 2010, als das Land eilig unter den Rettungsschirm gehen musste (Die hektische Eile nach der langen Weile). Die wirtschaftliche Lage ist zudem noch deutlich schlechter. Ähnlich ist das auch der Fall für Irland, Spanien, Portugal und Zypern. Diese Länder hängen immer stärker am Tropf der EZB. Sie würden sofort mit fatalen Folgen abschmieren, wenn die EZB die Zinsen wieder steigen ließe.

So sehen Experten längst einen Teufelskreis. Den zu durchbrechen scheint zunehmend unwahrscheinlicher, da es sogar mit einer ultralockeren Geldpolitik nicht gelungen ist, einen wirklichen Aufschwung in Gang zu setzen. Dass man trotz fehlender Beweise die Lage zusätzlich durch eine Sanktionsspirale mit Russland verschärft, wird die Lage weiter zuspitzen.

Der Giftschrank der EZB ist längst weit geöffnet, die Instrumente werden zunehmend rarer und deshalb glauben Wirtschaftswissenschaftler, dass ein Crash und eine Währungsreform kaum noch abzuwenden sind ("Warum andere auf Ihre Kosten immer reicher werden").