Waffenstillstand in der Ukraine trotz Nato und USA?

Es ist zu hoffen, dass sich die Kräfte durchsetzen, die auf ein Ende des Kriegs und auf Verhandlungen setzen

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Derzeit ist ein seltsames Schauspiel auf der internationalen Bühne zu beobachten. Die ukrainische Regierung spricht weiterhin von einem Krieg mit Russland und von einer Invasion und will eine neue Mauer aufbauen, während der Präsident weiterhin einen Waffenstillstand für heute ankündigt, der von den Separatisten und von Russland unterstützt wird. Der Parlamentssprecher Turtschninow kündigte bereits an, nach einem Scheitern den Kriegszustand ausrufen zu wollen.

Bild: Nato

Gleichzeitig wird von der Nato Russland als Feind bezeichnet, gegen den man sich aufrüsten muss, und scheint die EU, getrieben von der US-Regierung, in der Sanktionsspirale gefangen zu sein. Sollte morgen in der trilateralen Kontaktgruppe tatsächlich ein Waffenstillstand ausgehandelt und beschlossen werden, stünden Nato, die USA und die EU, die trotz der sich abzeichnenden Wende weiter auf Konfrontation gesetzt haben, allerdings dumm da, da dann die eigenen Interessen entlarvt wären. Nato-Generalsekretär Rasmussen: "Im Osten greift Russland die Ukraine an."

Aber man darf weiterhin zweifeln, ob ein Waffenstillstand zustande kommen wird. Nicht nur würde dies Interessen von nationalistischen Kräften in der Ukraine und manchen Nato-Staaten, allen voran die USA und Großbritannien sowie einigen osteuropäischen und den baltischen Staaten, zuwiderlaufen, der Knackpunkt bleibt vor allem, ob Moskau willens ist, die gesamte Grenze zur Ukraine zu schließen und von OSZE-Beobachtern kontrollieren zu lassen. Dass die Separatisten personelle und militärtechnische Hilfe aus Russland erhalten haben, dürfte unbestritten sein. Unklar bleibt, inwieweit Moskau direkt die Separatisten unterstützt hat, beispielsweise durch Entsendung von Soldaten und technischem Gerät, oder lediglich zugelassen hat, dass über die Grenze Kämpfer und Waffen in die Ukraine gelangen, was eine Analogie zur Türkei hat.

Bis auf die Grenzkontrolle sind Moskau und Kiew jedenfalls nicht weit voneinander entfernt. Das hat auch damit zu tun, dass Kiew hohe Verluste in dem von vorneherein, möglicherweise durch US-Rat als "Antiterroroperation" bezeichneten Bürgerkrieg erleidet und finanziell am Kollaps steht, weil in dem Oligarchensystem natürlich keine deftige Vermögenssteuer eingeführt wird. Auf der anderen Seite hütet sich Moskau davor, die Ostukraine zu annektieren, weil dann die Kosten unüberschaubar werden. Und vermutlich will man auch vermeiden, in eine Sanktionsspirale einzutreten, die Russland jetzt schon empfindlich trifft und zu Protestbewegungen führen könnte, die man jetzt schon mit allen Mitteln eines autoritären Staats zu verhindern sucht.

Obgleich die Kämpfe in der Ostukraine, derzeit vor allem in der Nähe der Hafenstadt Mariupol, mit unverminderter Härte und mit entsprechender ideologischer Zuspitzung weitergehen, weil beide Parteien ihre Einflusszonen vor einem möglichen Waffenstillstand sichern und ausbauen wollen, sieht es derzeit durchaus so aus, als könnten Kiew, Moskau und die Separatisten zu einem Waffenstillstand und zu wirklichen Verhandlungen kommen, weil alle Beteiligten gewinnen könnten. Die Kontrolle der Grenze wird vermutlich nur dann von Moskau akzeptiert werden, wenn die ukrainischen Streitkräfte und Milizen abziehen und die Separatisten erst einmal die Kontrolle über die "Volksrepubliken" behalten.

Das dürfte nicht nur für Moskau, sondern auch für Kiew schwer zu verdauen sein, schließlich hat Kiew eskalationsfördernd alle Separatisten oder Föderalisten im Osten als Kriminelle und Terroristen bezeichnet. Dazu dürfte kommen, dass Moskau einen Nato-Beitritt der Ukraine verhindern will, weswegen eben die Stärkung der Ostukraine und die Föderalisierung des Staats für Moskau entscheidend ist, um den Einfluss zu erhalten, den allerdings die EU und die USA auf Kiew bereits haben, weil sie die Maidan-Bewegung und die rechtsnationalistischen Parteien und Bewegungen wie Swoboda und den Rechten Sektor unterstützt haben.

Der Oligarch Poroschenko, der unter Janukowitsch schon Außenminister war, ist im Unterschied zu anderen Mitgliedern der nicht gewählten ukrainischen Regierung wie den von den USA favorisierten Ministerpräsidenten Jazenjuk kein Nationalist, sondern aus eigenen Interessen heraus ein Pragmatiker. Das hatte er schon mit der Ausrufung des einseitigen Waffenstillstands nach seiner Wahl gezeigt. Sein Vorstoß jetzt, trotz der überwältigenden Unterstützung durch Nato, USA und EU einen mit Moskau vereinbarten Waffenstillstand einzugehen, zeigt dies erneut. Poroschenko äußerte einen "vorsichtigen Optimismus" und setzt auf einen konstruktiven Ansatz, den man bislang von Washington und der Nato vermisst hat, Frankreich und Deutschland haben immerhin insistiert, eine Verhandlungslösung zu erzielen, die bislang in Kiew, siehe die Vereinbarung mit Janukowitsch, unerwünscht war.