Wie die Regierung Kiew die Aufklärung der Brand-Tragödie in Odessa sabotiert

Der Untersuchungsausschuss der Stadtratsabgeordneten von Odessa löste sich auf, weil die Innenbehörde keine Informationen rausrückte. Drei verhaftete rechte Gewalttäter wurden freigelassen

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Am Donnerstag stellte der von Abgeordneten des Stadtrates Odessa gebildete Untersuchungsausschuss zum Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa, bei dem mindestens 48 Menschen starben (Die Tragödie von Odessa), seine Arbeit ein. Dies berichtete das regierungskritische Nachrichtenportal "Tajmer". Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses begründeten ihre Entscheidung damit, dass die Innenbehörde und die Generalstaatsanwaltschaft wichtige Informationen und Dokumente der Ermittlungen zurückhalten.

Das in Brand gesetzte Gewerkschaftshaus, in dem vermutlich mehr als 100 Menschen verbrannten.

Nun gibt es nur noch zwei Ausschüsse, welche den Brand im Gewerkschaftshaus, bei dem nach Meinung von Regierungskritikern über 100 Menschen starben, untersuchen, einen Ermittlungsausschuss von Journalisten aus Odessa und einen Ermittlungsausschuss des Parlaments in Kiew. Doch es drängt sich der Eindruck auf, dass die ukrainischen Behörden kein Interesse an der Aufklärung des Brands im Gewerkschaftshaus haben.

Gründliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu dem Brand hatte es offenbar nicht gegeben. Die Ermittler arbeiteten nur einige Tage nach dem Brand in dem Gebäude. Den ganzen Mai über stand das ausgebrannte Gewerkschaftshaus faktisch unbewacht und war für Trauernde und für Neugierige zugänglich.

Wie Juri Tkatschew, Mitglied des von Journalisten gebildeten Untersuchungsausschusses, in einem Beitrag im "Tajmer" schreibt, würden wichtige Informationen von der Innenbehörde "absichtlich vor der Öffentlichkeit versteckt". Die Polizei argumentiere mit dem "Schutz der Ermittlungen".

Die Opfer werden zu Schuldigen erklärt

Tkatschew sieht die Gefahr, dass die Schuld an dem Brand jetzt auf die Opfer abgewälzt wird. Er verweist auf Erklärung der Innenbehörde, nach der sich die Regierungskritiker, die sich am 2. Mai vor dem angreifenden rechten Mob in das Gewerkschaftshaus flüchteten, "selbst angesteckt" haben sollen.

Der Druck auf die Ermittlungsausschüsse ist groß, denn führende ukrainische Politiker haben die Ereignisse vom 2. Mai in einer Weise bewertet, die eine unvoreingenommene Untersuchung fast unmöglich machen.

Parlamentspräsident Aleksandr Turtschinow erklärte, für die Unruhen am 2. Mai in Odessa sei Russland verantwortlich. Beweise für diese Behauptung wurden nicht vorgelegt. Keines der Opfer im Gewerkschaftshaus war russischer Staatsbürger. Der inzwischen abgesetzte Gouverneur von Odessa, Wladimir Nemirowski, bezeichnete das Vorgehen der Pro-Kiew-Demonstranten am 2. Mai als "rechtmäßig", denn die "Demonstranten" hätten "bewaffnete Terroristen neutralisiert". Die Politikerin Julia Timoschenko dankte auf einer Pressekonferenz in Odessa den Pro-Kiew-Demonstranten, dass sie die Besetzung von Verwaltungsgebäuden "wie in Lugansk" verhindert hätten.

Drei rechte Täter wurden festgenommen und dann wieder freigelassen

Die zwölf Personen, welche wegen den Ereignissen am 2. Mai in Odessa im Gefängnis sitzen, sind allesamt Regierungsgegner. Vom Rechten Sektor ist niemand in Haft. 43 Personen stehen wegen der Ereignisse am 2. Mai unter Hausarrest. Darunter sind nur zwei Rechte. Und was ist mit den rechten Angreifern, die Molotow-Cocktails warfen und Menschen, die aus dem brennenden Gewerkschaftshaus sprangen, krankenhausreif prügelten? Seit dem 2. Mai 2014 wurden nur drei Maidan-Anhänger verhaftet. Alle drei sind - trotz schwerwiegender Beweise für strafrechtliche Taten - inzwischen wieder auf freiem Fuß.

Fall 1: Wsjewolod Gontscharewski

Der Maidan-Aktivist Gontscharewski soll am 2. Mai auf Menschen eingeschlagen haben, die sich mit einem Sprung aus dem brennenden Gewerkschaftshaus retteten und wehrlos am Boden lagen. Am 30. August wurde der Maidan-Aktivist von einem Gericht im südukrainischen Cherson-Gebiet freigesprochen. Eine zuvor verhängte zweimonatige Gefängnisstrafe wurde aufgehoben.

Video-Filmer hatten ermittelt, dass Gontscharewski am 2. Mai zunächst im Straßenanzug an der Demonstration "Für eine einige Ukraine" teilgenommen hat. Am frühen Abend taucht Gontascharewski dann in einem Trainingsanzug vor dem brennenden Gewerkschaftshaus auf, wo er mit einem langen Gegenstand auf am Boden liegende Menschen einschlug.

Fall 2: "Hundertschaftler Mykola"

Der Maidan-Hundertschaftler Mykola ("Sotnik Mykola" mit bürgerlichem Namen Nikolai Wolkow) hatte am 2. Mai während der Unruhen vor dem Gewerkschaftshaus mit einer Pistole auf das vierstöckige Gebäude geschossen. Zuvor hatte Mykola die Anreise von so genannten Maidan-Selbstverteidigungskräften aus Kiew nach Odessa organisiert. Am 29. Mai wurde der verhaftete Hundertschaftler aus einem Untersuchungsgefängnis in Kiew entlassen.

Kiew schätzte den Mann offenbar als verlässliche Person ein. Am 29. April besuchte der inzwischen zurückgetretene Chef des ukrainischen Sicherheitsrates, Andrej Parubi, einem von Mykola geleiteten Straßenkontrollpunkt am Rand von Odessa persönlich einen und schenkte den Maidan-Aktivisten am Straßenkontrollpunkt zwanzig moderne, schusssichere Westen.

Fall 3: Sergej Chodjak

Am 20. Mai 2014 wurde auf Beschluss des Petscherski-Gerichtes in Kiew der Maidan-Aktivist Sergej Chodijak , aus der Haft entlassen. Chodijak soll nach Ermittlungen am 2. Mai auf der Griechen-Straße in Odessa mit einer abgesägten Jagdflinte mehrere Polizisten, Regierungsgegner und Journalisten, darunter den Chefredakteur der Internetzeitung "Dumskaja", verletzt haben. Einer der Opfer, Jewgeni Losinski, starb an seinen Verletzungen.