Ukraine: IWF finanziert Bürgerkrieg

Wie immer unterzieht der IWF das bankrotte Land einer neoliberalen Schocktherapie

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Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die zweite Tranche seines Kredits an die Ukraine freigegeben. Insgesamt wurden dem Land im Frühjahr 17 Milliarden US-Dollar (etwas mehr als 13 Milliarden Euro) zugesagt (Ukraine: Die Auflagen des IWF). Aktuell geht es um eine Zahlung von 1,4 Milliarden US-Dollar (gut eine Milliarde Euro).

Rund 70 Prozent davon gehen in die Finanzierung des ukrainischen Haushaltsdefizits, ermöglichen also der Kiewer Regierung die Fortführung ihres Bürgerkrieges. An dieser Stelle zahlt sich offensichtlich aus, dass die USA gemeinsam mit Japan und ihren engsten Verbündeten in Europa noch immer die Stimmenmehrheit im IWF haben und die Schwellenländer überstimmen können.

Das Okay für die Auszahlung der zweiten Tranche gab es, nachdem ein Team des IWF zu dem Schluss gekommen war, dass das Land sich an die im Frühjahr gemachten Auflagen halte und die gesetzten Ziele weitgehend erreichen werden. Allerdings habe sich die Haushaltslage drastisch verschlechtert, was nicht zuletzt mit dem Rückgang der Einnahmen aus der östlichen Bürgerkriegsregion zusammen hängt. Die trägt mit 16 Prozent, gemessen an der dort lebenden Bevölkerung, überproportional zur ukrainischen Wirtschaftsleistung bei. Die finanzielle Sanierung der Ukraine sei mit den bewilligten 17 Milliarden US-Dollar nur zu erreichen, wenn der Bürgerkrieg bald beendet würde. Andernfalls könnte ein weiterer Kredit in Höhe von 19 Milliarden US-Dollar (14,7 Milliarden Euro) nötig werden.

Grundlage dieser Diagnose ist auch die aktuelle Wachstumsprognose, die weiter nach unten korrigiert wurde. In diesem Jahr werde die ukrainische Wirtschaft, die sich bereits seit dem Vorjahr in einer Rezession befindet, um weitere 6,5 Prozent schrumpfen. Für das kommende Jahr nimmt der IWF allerdings schon wieder ein Wachstum der Wirtschaft von einem Prozent an.

Wie das gelingen soll, bleibt sein Geheimnis. Unabhängige Beobachter gehen nach einem Bericht der britischen Zeitung Guardian eher von einem noch stärkeren Rückgang der Wirtschaftsleistung aus. Die Frage sei nicht, ob, sondern wann die Ukraine ein Umschuldungsprogramm benötigt. Bei einem solchen wird gewöhnlich mit den Gläubigern ausgehandelt, dass diese auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten.

Diese Aussicht dürfte es für die Ukraine schwer machen, im Ausland Kredite für den Wiederaufbau zu bekommen. Es sei denn, es handelt sich um politisch motivierte Zahlungen, wie die 500 Millionen Euro, die Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem letzten Kiew-Besuch versprochen hat (500 Millionen aus Deutschland für Multimilliardär Poroschenko?). Mit diesem Geld sollen die öffentlichen Wasserwerke der Ukraine für eine Privatisierung aufgehübscht werden, eine Politik, die Merkel übrigens im letzten Jahr noch für die hiesige Wasserversorgung, vermutlich aus wahltaktischen Gründen, abgelehnt hatte.

In der Ukraine scheint das aber etwas anderes zu sein, denn das Land soll, ähnlich wie Griechenland, einer neoliberalen Schocktherapie unterzogen werden. In einem sogenannten Letter of intent, also einer als verbindlich angesehenen Absichtserklärung, verpflichten sich Präsident Petro Poroschenko, Premierminister Arsenij Jazenzuk sowie der Finanzminister und der Zentralbankchef 27.000 öffentlichen Angestellten zu kündigen und die Gehälter der restlichen sowie Renten und Sozialhilfe für dieses Jahr einzufrieren. Bei einer Inflation, die bis zum Jahresende 20 Prozent erreichen könnte, bedeutet das eine massiven Verarmung und zugleich einen erheblichen Kaufkraftverlust. Dass derlei die Wirtschaft unmöglich ankurbeln kann, wurde zuletzt in Griechenland und zuvor schon in zahlreichen lateinamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Ländern gezeigt, die sich den Programmen des IWF unterwerfen mussten.

Nebenbei ist aus dem Brief auch zu erfahren, dass der Kiewer Haushalt bisher unvorhergesehene Militärausgaben in Höhe von 580 Millionen Euro hatte, die ganz offensichtlich eine Folge des von der neuen Regierung losgetretenen Bürgerkrieges sind. Diese, so versprechen Präsident und Regierungschef dem Fonds, würden durch Kürzungen unter anderem bei den Subventionen, den staatlichen Dienstleistungen und den Transferzahlungen wett gemacht. Bei Letzterem handelt es sich um Renten, Sozialhilfe und ähnliches.

Ab nächstem Jahr werden die Gehälter der öffentlichen Angestellten wieder steigen, allerdings nur nominell. Die Regierung verpflichtet sich, dieses an die Inflationsrate zu koppeln. Das heißt, die Angestellten und Beamten sollen dauerhaft auf dem niedrigen Niveau gehalten werden, auf das man sie 2014 gedrückt hat. Gewerkschaften und Tarifverhandlungen sind in der Ukraine offenbar nicht mehr vorgesehen. Dafür wird es aber weitere Entlassungen geben. Ab 2015 soll das Heer der öffentlichen Bediensteten um weitere drei Prozent geschrumpft werden.

Kiew muss das "ungehinderte Funktionieren des Devisenmarktes" garantieren

Die Regierung verpflichtet sich, regelmäßig beim IWF Rechenschaft über die Umsetzung dieser Maßnahmen und insbesondere auch die Gehaltssummen abzulegen. Nur wenn die Finanzfachleute des Fonds mit der Meinung sind, dass die staatlichen Ausgaben für Löhne und Soziales wie vereinbart gedeckelt wurden, werden weitere Kredittranchen ausgezahlt.

Viel wird sicherlich davon abhängen, inwieweit die Bevölkerung die Zumutungen der IWF-Auflagen hinnimmt und ob diese zum Beispiel bei den anstehenden Parlamentswahlen eine Rolle spielen werden. Die eingefrorenen Gehälter und teilweise gekürzten Renten steht nämlich eine wachsende Inflation von 13 Prozent im Juli gegenüber, die zum Jahresende noch auf 20 Prozent ansteigen könnte. Verursacht wird diese unter anderem durch die vom IWF verordneten Preissteigerungen für Gas und die Verteuerung der Einfuhren. Letzteres ist eine Folge der Abwertung der ukrainischen Hryvnia, die seit Jahresbeginn gegenüber dem US-Dollar ein Drittel an Wert verloren hat. Dadurch werden nicht nur die Importe verteuert sondern auch die in ausländischer Währung aufgenommenen Kredite.

Dennoch gehört es zum neoliberalen Credo, auf das die Kiewer Regierung vom IWF verpflichtet wurde, dass die Wechselkurse dem Markt überlassen und der Kapitalverkehr frei bleiben muss. Davon lässt sich der Fonds auch durch die Feststellung nicht abbringen, dass die Kapitalabflüsse aus dem Land in den vergangenen Monaten größer als erwartet waren.

Im Gegenteil: Im Letter of Intent lässt er sich von der Kiewer Regierung versichern, dass man für das "ungehinderte Funktionieren des Devisenmarktes" sorgen werde und die zuvor für 22 Banken ausgesprochenen Beschränkungen zurückgenommen habe. Und auch die den Griechen inzwischen sehr vertraute spezielle Vorstellung Washingtons und Berlins von parlamentarischer Demokratie wird in dem Dokument deutlich: Präsident, Regierung und Zentralbankführung der Ukraine müssen dem IWF Fonds versprechen, gegebenenfalls gegen die gewählte Volksvertretung arbeiten zu wollen: "Wir werden jedem Druck widerstehen, per Gesetz die Vollmachten der (ukrainischen) Zentralbank gegenüber dem Devisen- und Finanzmarkt auszubauen." Wie man sieht, schreitet die Durchsetzung westlicher Werte in der Ukraine voran.