Völkerrecht und "deutsche Staatsraison"

Kommentar zur Reaktion der Bundesregierung auf Staaten, die Gebiete annektieren

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Natürlich hat die Bundesregierung und die gesamte NATO der völkerrechtswidrige Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien über die Ereignisse in der Ukraine eingeholt. Es war schon grausam, mit anhören zu müssen, die Bundeskanzlerin von einer "Verletzung des Völkerrechtes" durch Russland und in Zusammenhang mit der Krim reden zu hören.

Da musste noch gleich die "Zerstörung der seit Jahrzehnten in Europa bestehenden Ordnung" beklagt werden, damit man den Herrn Bundespräsidenten noch glaubte, übertönen zu können. Wo war denn die Frau Bundeskanzlerin als damalige Generalsekretärin der CDU, als die NATO in Europa den ersten völkerrechtswidrigen Krieg nach Hitler vom Zaune gebrochen hat?

Der damals im Amt befindliche Bundeskanzler, Herr Gerhard Schröder, war Manns genug, seine Verantwortung für die Mitwirkung Deutschlands an diesem völkerrechtswidrigen Krieg einzuräumen. So kennt man Herrn Schröder eben, als er von seiner Verantwortung beim Bruch des Völkerrechts durch den Einsatzbefehl für deutsche Kampfflugzeuge gegen Belgrad sprach. Und die heutige Bundeskanzlerin?

Ihr Kotau vor dem US-Präsidenten Bush mit seinem Angriffskrieg gegen den Irak ist unvergessen, auch weil die heutige Bundeskanzlerin sich über eine in Amerika erscheinende Zeitung gegen den im Amt befindlichen Bundeskanzler Gerhard Schröder gestellt hatte. Völkerrecht? Wann ist dieser Begriff jemals über bestimmt Lippen gekommen?

Und die Ukraine? Es war ehrenwert, als sich der deutsche Außenminister Steinmeier mit seinem französischen und polnischen Amtskollegen in Kiew darum bemühte, einen demokratisch gewählten ukrainischen Präsidenten wegen der Lage im Land zum Amtsverzicht zu bewegen. Das war genauso ehrenwert wie spätere Versuche auch der Bundeskanzlerin, die Dinge in der Ukraine nicht auf die Spitze getrieben zu sehen. Und dann?

Die Ohnmacht der Europäer

Schon im Vorfeld des Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien haben die USA direkt und indirekt alles unternommen, die Ohnmacht der Europäer durch Zerstörung ihrer Verhandlungsansätze unter Beweis zu stellen. Es musste bei allem sichtbaren Leid unbedingt deutlich werden, dass nur die Vereinigten Staaten in der Lage sein könnten, Dinge zu entscheiden. Das hat unser Außenminister in den letzten Monaten im Ringen um die Ukraine öfter erfahren müssen.

Die "Drei von Kiew" hatten die Vereinbarung mit Präsident Janukowitsch noch nicht unterschrieben, als die rechten Gruppen und ihre amerikanischen Unterstützer die Daumen senkten und im Sinne von Frau Nuland jede friedliche Lösung unmöglich gemacht haben. So geht das und man hätte es seit Belgrad wissen müssen.

Unisono redet seither nicht nur die deutsche Staatsspitze davon, dass die Russische Föderation danach die Krim annektiert habe. Kein Völkerrechtler von Rang in Deutschland hat diese steile These, auch vor dem Hintergrund der Kosovo-Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes in den Haag, gegengezeichnet. Das stört in Berlin niemanden und hier rächt sich der Umstand, dass die einstmals glänzend beleumundete Völkerrechtsabteilung des Auswärtigen Amtes der intellektuellen Ausdünnung des deutschen öffentlichen Dienstes nach Knacken der "Deutschland AG" im Sinne amerikanischer und britischer Politikinteressen zum Opfer gefallen ist.

Natürlich steht auch in Sachen Krim jedem, der befugt ist, der Klageweg offen. Aber Annexion durch die Russische Föderation, nachdem Kiew die Brandfackel noch in der Nacht des Maidan-Umsturzes in die Ost-Ukraine geschleudert hatte? Nachdem eine Volksabstimmung mit ihren eindeutigen Ergebnissen abgehalten worden war?

Bruch des Völkerrechts in den palästinensischen Gebieten

Wenn man sich eine Annexion ansehen will, dann sollte jeder, der dieses Wort als politische Schlagwaffe benutzt, nach Israel blicken. Israel hat völkerrechtswidrig Gebiete annektiert, siehe Golan Höhen, die zu Syrien gehören. Wer hat davon gehört, dass die deutsche Bundeskanzlerin bei ihrer Rede vor der Knesset auf diesen Bruch des Völkerrechtes hingewiesen haben würde. Nein, hat sie nicht. Stattdessen wurde in Jerusalem die eigene Verfassung beiseite gefegt und Israel zu einem Bestandteil der "deutschen Staatsraison" erklärt.

Wer bisher der Ansicht gewesen ist, dass durch das Grundgesetz mit seiner Verpflichtung, zum Frieden in der Welt einen allumfassenden Beitrag leisten zu müssen, die deutsche Verpflichtung für heutiges und künftiges politisches Tun beschrieben worden sei, musste ratlos bleiben. Aber so sehen Annexionen aus und das will man der Russischen Föderation jetzt anhängen.

Es ist die Doppelmoral und das maßlose Auftreten einem Nachbarland gegenüber durch höchste staatliche deutsche Repräsentanten, die so viele Menschen in unserem Land so fassungslos werden lässt. Das alles macht nur eines deutlich. Es kommt gar nicht darauf an, der Russischen Föderation gegenüber ein Haar in der Suppe zu finden, um Sanktionen verhängen zu wollen. Das gesamte westliche Vorgehen kann derzeit nur in der altbekannten römischen Formel gesehen werden, dass "alles getan werden muss, um Karthago zu vernichten".

Die Erinnerung an die Weltkriege

So begeht man in Berlin die Erinnerung an den Ausbruch zweier Weltkriege. Man vergisst dabei, wie die betroffenen Menschen in Russland auf Herausforderungen dieser Art reagieren. Es ist derzeit überall in Russland wieder festzustellen, auch wenn 624 durch den Westen in Russland finanzierte NGOs sich krampfhaft um das Meinungsmonopol in westlichen Medien bemühen. Diese Modelle sind seit der Nelken-Revolution in Portugal nach dem Sturz von Salazar geläufig.

Der Umstand, dass vor fünfundzwanzig Jahren der Fall der Mauer in Berlin und die deutsche Wiedervereinigung auch und gerade den Menschen in Russland zu verdanken gewesen ist und vor zwanzig Jahren der letzte Soldat der ehemaligen "Westgruppe der Truppen" friedlich und oft genug unter Tränen Deutschland verlassen hat, sollte die deutsche Staatsspitze innehalten lassen.

Willy Wimmer ist CDU-Politiker. Er war zwischen den Jahren 1985 und 1992 verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und Staatssekretär im Bundesministerium für Verteidigung. Wimmer war Stellvertretender Leiter der Delegation des Deutschen Bundestages bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und war von Juli 1994 bis Juni 2000 Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE.

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