Frankreich: Der Blick auf die Armen verhärtet sich

Einer Studie zufolge wackelt die Unterstützung für den Sozialstaat erheblich

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In der Vergangenheit hätten Krisenzeiten das Mitgefühl der Franzosen mit den Ärmeren verstärkt, seit 2008 beobachte man aber das Gegenteil: Die Solidarität lasse bedenklich nach, der Blick auf die Ärmeren verhärte sich, meldet das französische Forschungszentrum für die Beobachtung der Lebensverhältnisse (Centre de recherche pour l'étude et l'observation des conditions de vie, Crédoc).

Grundlage des mit bitteren Tönen versehenen Kommentars des Forschungsleiters Jorg Muller sind Zahlen einer Studie, die gestern vorgelegt wurde.

Daraus geht hervor, dass zu Anfang des Jahres 2014 37 Prozent der Franzosen davon überzeugt waren, dass diejenigen, die in Armut leben, sich nicht genügend anstrengen. Als sich die Wirtschaftskrise in weiten Kreisen deutlich bemerkbar machte, 2009, waren es nur 25 Prozent. 2008 waren es 31 Prozent.

Das andere Indiz, das für eine Einstellungsänderung herangezogen wird, ist die Verbreitung der Auffassung, dass die Erwerbslosen Arbeit finden würden, wenn sie dies nur wollten. Anfang 2014 waren 64 Prozent überzeugt. 2009 waren es 57 Prozent. Für 2008 wird allerdings auch eine hohe Zahl angegeben nämlich 68 Prozent. Erklärt wird dies in der Studienübersicht nicht.

Eine ähnliche Kurve ergibt sich bei der Frage danach, wie sich Transferzahlungen des Staates auf die Familie auswirken. 2014 geben 44 Prozent die Auffassung kund, dass durch Sozialleistungen das Gefühl für Verantwortlichkeit geschmälert wird. 2009 taten dies nur 36 Prozent, aber 2008 lag der Wert ähnlich hoch wie 2014 nämlich bei 42 Prozent. Da die Umfrage dieses Jahr in den ersten Monaten durchgeführt wurde, ist es gut möglich, dass die Antworten 2008 vor der Krise abgegeben wurde, bzw. zu einem Zeitpunkt, als die Krise noch nicht spürbar war und dies die Anschauungen bestimmte.

Die Interpretationen in Medien (hier und hier, die nicht die Kurven von 2008 bis 2014 diskutieren, sondern den Trend von 2009 bis 2014 schälen vor allen Dingen eine Grundaussage heraus: Dass die Unterstützung in Frankreich für den Wohlfahrtsstaat deutlich wackelt.

Die Verstärkung neoliberaler Positionen zeige sich auch daran, dass allein in den letzten beiden Jahren deutlich weniger Befragte der Meinung waren, dass die Vermögen der Reicheren via Steuern mehr umverteilt werden müssten. Waren 2012 noch 71 Prozent dieser Auffassung, so waren es Anfang 2014 nur mehr 55 Prozent. Die Politik Hollandes hat die befragten repräsentativen 2.000 Franzosen offensichtlich von alten sozialdemokratischen Überzeugungen abgebracht.