Genetische Mixtur

Skelett des ungefähr 8.000 Jahre alten männlichen Jägers und Sammlers von der Loschbour-Fundstelle in Luxemburg, dessen Genom sequenziert wurde. Bild: Musée National d'Histoire Naturelle de Luxembourg

Moderne Europäer stammen von Ureinwohnern und ersten Bauern ab und teilen sich zudem einen gemeinsamen Vorfahren mit den Indianern

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Der europäische Stammbaum muss um einen Zweig erweitert werden. Neben den zum Zeitpunkt der neolithischen Revolution heimischen Jägern und Sammlern gehören die ersten Bauern, die damals aus dem Nahen Osten zuwanderten, sowie eine immer noch sehr rätselhafte nord-eurasische Population zu den Ahnen heutiger Europäer. Diese Nord-Eurasier sind ebenfalls Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner.

Alle unsere Altvorderen waren einst Nomaden, als Jäger und Sammler stets in Bewegung. Sie durchstreiften das Land und bedienten sich an allem, was die Natur zu bieten hatte: Früchte, Nüsse, Pilze, Beeren, Wurzeln und andere Pflanzenteile, sowie Fische, Muscheln oder Fleisch erlegter Wildtiere. Das änderte sich erst in der Jungsteinzeit, als Menschen im Gebiet des fruchtbaren Halbmonds in Südwestasien damit begannen, den Boden zu beackern. Sie ließen sich nieder, bauten Häuser inmitten ihrer Felder.

Das geschah zum ersten Mal vor ungefähr 11.000 bis 12.000 Jahren sehr wahrscheinlich in Südostanatolien. Von dort breitete sich die neue Lebensart immer weiter aus. Das Neolithikum, die Jungsteinzeit, bedeutet den Übergang zu Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht. Die Bauern rodeten und erschlossen Felder, sie pflanzten gezielt, was sie später ernten wolten (vor allem Emmer, Einkorn und Gerste), sie fingen Tiere ein und begannen Herden zu halten, um den Fleischvorrat direkt vor der Tür verfügbar zu haben.

Zunehmend züchteten sie für ihre Zwecke besonders geeignete, ausgewählte Pflanzen- und Tierarten. Sie bauten Höfe und Dörfer, umzäunten ihre Viehweiden. Ein grundlegender Wandel der Wirtschaftsstufe des Menschen fand Zug um Zug statt. Es dauerte Jahrtausende bis sich die neue Lebensweise fast überall auf der Welt durchgesetzt hatte.

Schädel der ungefähr 7.000 Jahre alten Bäuerin aus Stuttgart, Deutschland. Es fehlt der untere rechte Backenzahn, aus dem die DNA gewonnen wurde. Bild: Joanna Drath, Universität Tübingen

Die Anthropologen sind sich seit vielen Jahren uneins, wie der Siegeszug der Landwirtschaft vor sich ging. Ein Modell geht davon aus, dass große Gruppen von Zuwanderern die bäuerliche Lebensweise in immer neue Regionen brachte, wo sie sich durch intensiven Kontakt und Vermischung mit der einheimischen Bevölkerung durchsetzte. Aus den lokalen Jägern und Sammlern wurden sozusagen durch Familienbande Bauern, die fortan in dörflichen Gemeinschaften lebten. Und ihren Nachfahren einen Genmix aus beiden Populationen in die Wiege legten.

Das andere Modell geht davon aus, dass sich vor allem das Wissen verbreitete und durchsetzte, ohne dass sich größere Gruppen der frühen Bauern auf den Weg in neue Gebiete machten. Kulturelle Diffusion - was bedeuten würde, dass die steinzeitlichen Jäger und Sammler sich vor Ort die bäuerliche Lebensform zu eigen machten, ohne sich mit Gemeinschaften von zugewanderten Landwirten tatächlich nachhaltig zu verbinden.

Kulturtechnik-Ausbreitung statt Völkerwanderung, so lautet verkürzt die These. Die Folge: Die Nachkommen hätten ihr Erbgut nur von den europäischen Ureinwohnern, der neolithische Übergang wäre ohne signifikante Aufmischung der Gene geschehen.

Rinder und Keramik

Eine Debatte, die durch archäologische Funde kaum entschieden werden kann, aber inzwischen mischen die Genetiker die Ur- und Frühgeschichte auf, indem sie tief ins Erbgut der vor tausenden Jahren Verstorbenen blicken und deren Gencode mit dem heute lebender Menschen vergleichen.

Was geschah vor 7.500 Jahren als in Mitteleuropa die neolithische Revolution stattfand? Es waren Einwanderer aus dem Vorderen Orient, die mit ihren Tieren, Getreidekörnern und ihrer Keramik im Gepäck eintrafen und viele der Einheimischen sehr schnell (innerhalb von zwei Jahrhunderten war die Mitte Europas bäuerlich geprägt) für den Ackerbau begeisterten.

Wildformen von Schaf und Ziege gab es in Europa nicht, und selbst die Rinder erwiesen sich als importiert, als es den Forschern gelang, ihre Gene zu entziffern. Auch wenn es einzelne Vermischungen mit dem heimischen Auerochsen gab, stammen doch alle Rinderrassen grundsätzlich von Vorfahren im Nahen Osten ab (vgl. Deutschlandfunk: Beschleunigte Evolution, Teil 1 - Wie die Domestikation die Tierwelt nachhaltig verändert und Scientific Reports: Incorporation of aurochs into a cattle herd in Neolithic Europe: single event or breeding?). Selbst Hausschweine brachten die Einwanderer mit, obwohl es jede Menge Wildschweine in den europäischen Urwäldern gab. (vgl. The Domestication of Pigs).

Das tönerne Geschirr der Migranten, verziert mit Linien, gab der ganzen neuen Kultur ihren Namen: Linearbandkeramik. Ihre prägnante Keramik macht es den Archäologen möglich, die zunehmende Ausbreitung der ersten Bauern in Europa genau nachzuvollziehen. Sie schufen spezielle Steinwerkzeuge, bauten Langhäuser und bearbeiteten den Boden nicht nur für ihre Pflanzungen, sondern auch, um große Erdwerke mit Gräben, Gruben, Palliaden und Wällen anzulegen, die kultischen Zwecken dienten.

Bauern, Jäger, Sammler und Geister

In den letzten zehn Jahren untersuchten Paläogenetiker das Erbgut der Bauern-Pioniere und stellten fest, dass sie eindeutig aus dem Nahen Osten kamen (vgl. Die ersten Bauern in Mitteleuropa stammten aus dem Nahen Osten). Jetzt veröffentlicht eine internationale Gruppe von fast hundert Wissenschaftlern rund um Iosif Lazaridis von der Harvard Medical School in Boston im Wissenschaftsjournal Nature ihre Ergebnisse eines Vergleichs von bis zu 8.000 Jahre alten Genen mit denen heutiger Europäer.

Schädel des ältestenLuxemburgers aus der Loschbour-Grabung. Bild: Dominique Delsate, Musée national d'Histoire naturelle de Luxembourg

Das Riesenteam verglich die genetischen Daten von europäischen Jägern und Sammlern - darunter das des 8.000 alten Ur-Luxemburgers von Loschbour (siehe The Loschbourg Man, Video) - und mehrerer ebenso alter Motala-Individuen von der Ausgrabungsstätte Kanaljorden (wo viele zum Teil auf Stäbe gesteckte Schädel gefunden wurden), mit denen einer vor 7.000 in Stuttgart beerdigten Bäuerin, sowie jenen von 2.345 unserer Zeitgenossen aus 203 verschiedenen Populationen von heute. Zudem flossen weitere bereits bekannte Genome wie das der Gletschermumie Ötzi mit in die Studie ein.

Das Resultat verdeutlicht, dass mindestens drei Ahnenreihen für moderne Europäer angelegt werden müssen. Die Jäger und Sammler, die zehntausende Jahre lang den Kontinent durchstreift hatten, vermischten sich schnell mit den Neuzuwanderern aus dem Nahen Osten. Co-Autor David Reich von der Harvard Medical School erklärt:

Es gab einen einschneidenden genetischen Übergang zwischen den Jäger-Sammlern und den Bauern, die eine große Bewegung neuer Leute vom Nahen Osten aus nach Europa spiegeln. Die Sequenzierung alter DNS ist eine leistungsstarke Technologie, die es uns erlaubt zu Orten und Zeitperioden zurückzukehren, wo wesentliche demografische Veränderungen stattfanden. Das ist eine großartige Möglichkeit, um die menschliche Geschichte zu erforschen.

Aber so weit war das ja schon bekannt und damit nur eine Bestätigung der Vermischung von Ureinwohnern und zugewanderten Bauern-Pionieren. Allerdings glückte der Forschergruppe zudem die Analyse von Genen, die für das Aussehen zuständig sind.

So stellten sie fest, dass einige der Jäger und Sammler blaue Augen, aber dunkle Haut hatten, während die aus dem Nahen Osten stammende Stuttgarter Bäuerin hellhäutig und braunäugig durchs Leben schritt. Beide Populationen wiesen eine hohe Anzahl an Kopien des Amylase-Gens in ihrem Genom auf, was dafür spricht, dass sie sich bereits beide stärkereich ernährten - Milchzucker war für sie aber noch unverträglich.

Der Schädel von Motala1, eines ungefähr 8.000 Jahre alten schwedischen Jägers und Sammlers, dessen DNA in der Studie untersucht wurde. Bild: Fredrik Hallgren, Uppsala University

Besonders interessant ist die dritte Ahnenreihe, denn es finden sich in der heutigen Bevölkerung genetische Spuren der alten Nord-Eurasier, die zugleich Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner sind. Die DNS dieser Stammväter findet sich aber weder im ältesten Luxemburger von Loschbour, der jagte und sammelte, noch in der vor 7.000 verstorbenen Bäuerin von Stuttgart. Johannes Krause von der Universität Tübingen, der zweiten führenden Institution der Studie, erläutert:

Die dritte Gruppe erreichte Mitteleuropa erst nach den frühen Bauern. Wir sind noch nicht sicher, wann die nordeurasischen Gene nach Zentral-Europa kamen. Auf alle Fälle später als die ersten Bauern. Wir beginnen jedoch erst, die komplexe genetische Verwandtschaft zu unseren Vorfahren zu verstehen. Wir brauchen mehr genetische Daten von früheren Menschen, nur so können wir die Fäden unserer prähistorischen Vergangenheit entwirren.

Die heutigen Europäer sind alles andere als gleich - es ist eine der Schwierigkeiten für die Genetiker, weil sich viele Ebenen von Vermischungen und Völkerwanderungen in den Genomen überlagern. Entsprechend verschieden sind auch die Gewichtungen, je nach Region unterscheidet sich wesentlich, wer wie viel von welchem Ahn ererbt hat. Hauptautor Losif Lazaridis macht deutlich:

Fast alle Europäer haben Ahnen aus allen drei Abstammungsgruppen. Unterschiede gibt es bei den relativen Anteilen. Nordeuropäer tragen mehr Gene der Jäger und Sammler in sich - Menschen in Litauen bis zu 50 Prozent - und Südeuropäer mehr bäuerliche Ahnenanteile. Die nordeurasischen Ahnen stellen überall in Europa den kleinsten Anteil, der nie mehr als 20 Prozent ausmacht, aber wir haben ihn in fast jeder untersuchten europäischen Gruppe gefunden und auch in Populationen aus dem Kaukasus und dem Nahen Osten. In Westeurasien muss nach der Neolithischen Revolution, also dem Aufkommen neuer Wirtschaftsweisen wie Ackerbau und Viehzucht zu Beginn der Jungsteinzeit, ein tiefgehender Umbruch stattgefunden haben.

Die Nord-Eurasier galten bis vor kurzem noch als "Geister-Population", die Genetiker fanden zwar ihre Spuren in heutigen Menschen, aber es gab keinen greifbaren Beweis, wo und wann sie wirklich gelebt hatten. Das änderte sich im Januar, als bekannt wurde, dass Archäologen in Sibirien tatsächlich alte Nord-Eurasier gefunden haben. Ihre genetischen Daten nun mit denen anderer Populationen zu vergleichen, sieht das Team als ganz oben auf der Agenda kommender Aufgaben der Paläogenetik stehend.