"Schlafen ist kein geringes Kunststück"

Das Bett, das aus der Kälte von Krankenhäusern, Internaten und Kasernen kommt: retro-fähig? Bild: Katharina Steletzki

Vom Wandel des Schlafzimmers - Teil 2

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Das Schlafzimmer und sein Interieur haben einen längeren Umschlagszyklus als andere Räume. Es hat Extreme zu verkraften zwischen sozialen bzw. öffentlichen Funktionen und einer Exklusion, die auch das Bett und den Leib erfasst, die Räume im Raum. Diese Betrachtungen des ersten Teils werden nun an die Gegenwart herangeführt. Ein gutes Schlafzimmer-Design vergesse die Träume nicht.

Teil 1: Das Gehäuse der Welt

Erfüllter Raum und ausgezehrte Seele

Mit dem Einschlafen entzieht sich der Körper der rationalen Kontrolle und macht sich selbständig. Sinne wie der des Tastens oder des Geruches werden vermindert; um so aktiver wird der innere Sehsinn. Die vorgekaukelten Traumbilder reagieren auf Störungen in der Körpernatur, bedingt durch den Stoffwechsel der Organe. Was schon Aristoteles erkannte, ergänzt Freud um Störungen, die von mangelnder Verarbeitung alltäglicher oder biographisch einschneidender Erlebnisse herrühren. Werden diese, weil zu belastend, verdrängt, gleiten sie ins Unbewusste ab und erstehen im Traum als Übersinnliches in neuer Zeit- und Raumordnung wieder auf.

Im Bett liegen heißt, zu Hause anzukommen, ob Höhle oder Hölle. Die Traumarbeit versucht, das Defizitäre an unseren Wünschen und Trieben auszugleichen. Wir rollen uns ein und steigen in die "Krypta unseres Elternhauses" hinab. Wir tauchen ein in ein "ozeanisches Gefühl". Der Schlaf entführt uns in den unvordenklichen Zustand der Mutterleibsexistenz, warm, dunkel und reizlos. Zu einem Drittel unseres Lebens sind wir überhaupt noch ungeboren, schreibt Freud. Das verschafft uns zugleich eine Ahnung des Todes.

Die Schlafstellung vermittelt dem Körper ein Raumgefühl. Eine Hälfte ist der Unterlage und damit dem Erdboden zugewandt, die andere dem Geist. Aus der Lage der Glieder sucht Marcel Proust ("Auf der Suche nach der verlorenen Zeit") im Halbschlaf die Richtung der Wand, die Stellung der Möbel abzuleiten. Es können aber auch ganz andere Räume sein, vergangene, die unwillkürlich aus dem Gedächtnis auftauchen. Der Körper bewegt sich, sucht den Raum zu füllen. Der Körper ist das "Gerüst der Welt".

Obdachloser in der Wiener Kanalisation, um 1900. Bild: PDold. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Der erfüllte Raum bietet Schutz, ist eine erweiterte Haut. Eine falsche Stellung des Körpers war für Hippokrates Krankheitszeichen. Eine falsche Stellung des Bettes raubt den Schlaf. Der Kopf wird am weitesten von der Tür entfernt gebettet, der Blick zum Fenster muss gewährleistet sein.1 Die halbbewussten Erinnerungsbilder, die uns beim Einschlafen gleich einer Hypnose erscheinen, machen das Schlafzimmer zu einem virtuellen Raum, und Schlafen ist eine Kunst:

Schlafen ist kein geringes Kunststück, denn man muss den ganzen Tag dafür wachen.

Friedrich Nietzsche

Mehr als die Kunst des Schlafens wurden die Störungen - Unausgeschlafenheit und Müdigkeit - in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich untersucht. Die vom rationalen Geist nicht kontrollierbaren körperlichen und übersinnlichen Reaktionen wurden Gegenstand der Naturwissenschaft und Medizin. Akademische Kommissionen hielten am Bett von "Fastenwundern" Wache, um an den Ausscheidungen zu kontrollieren, ob die Fastende - heute würden wir sagen: die Anorektikerin - nicht doch heimlich Nahrung aufnimmt.

Aus der Rotation und dem Magnetismus der Erde wurden Schlüsse auf die Himmelsrichtung gezogen, nach welcher das Bett auszurichten sei. Spiritualismus und Parapsychologie blühten. Das "Zeitalter der Nervosität" war zugleich mit der Industrialisierung gekommen. Hysterie und Schlafwandeln hatten Konjunktur, und der Zusammenhang von Schlaflosigkeit und Depression lässt bis heute Forscher nicht ruhig schlafen. Das Symptom könnte sich zu einer Epidemie ausweiten, denn in der "Müdigkeitsgesellschaft" gehen die meisten Menschen zu Bett, wann sie wollen und stehen auf, wann sie müssen.

Rentner-Ehepaar, um die Jahrtausendwende. Bild: Herlinde Koelbl

Die fortschreitende Intimisierung umgab den Körper mit einem "Cordon sanitaire". Gleichzeitig diagnostizierte die Sozialhygiene kranke Städte, verseucht mit Tbc, Typhus und Cholera. Die Gesundheitsbewegung reichte bis ins "sanitäre Schlafzimmer" hinein. Vorschriften ergingen gegen Alkoven und für häufiges Lüften und Staubwischen. In Privathäusern sollten ständige Krankenzimmer freigeräumt werden. Aber diese Vorstöße zu pathologischer Leere richteten gegen die Überladenheit mit historistischem Plüsch nichts aus. Für ein gutbürgerliches Schlafzimmer um die Jahrhundertwende war eine barocke Einrichtung mit Himmelbett gerade gut genug. Wer ins Großbürgertum aufstieg, leistete sich getrennte Schlafzimmer. Die durften auch in Rokoko oder Neurenaissance sein - Hauptsache reich.

Verpufft war die Empfehlung zu "gesunden Möbeln" und Eisenbetten. Diese fanden sich in Krankenhäusern und Ledigenheimen für die den Städten zuströmenden Arbeitskräfte wieder. Hier und in den Einraumwohnungen der Mietskasernen war jedwede Privatsphäre aufgehoben. Wer keine Arbeit fand, konnte um einen Platz im Nachtasyl anstehen. "Der Fuseldunst, die Ausdünstung von 50-60 Menschen, der Geruch der trocknenden Kleider, die qualmenden Lappen - welch eine grauenhafte Atmosphäre."2