Wann endet der globale Finanzzyklus?

Sollten IWF und BIZ Recht behalten, die bereits vor dem nächsten Finanzcrash warnen, dann wäre es das erste Mal, dass der globale Finanzzyklus in die Abwärtsphase eintritt, bevor die Federal Reserve die Leitzinsen noch deutlich angehoben hat

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Der IWF warnte gerade in einem Report für das G20-Treffen, die Finanzmarktindikatoren würden darauf hindeuten, dass "das Leverage der Investoren und die niedrigen Preise von Kreditrisiken zunehmend exzessiv" wären. Das könne "abrupt korrigiert werden, käme es zu Überraschungen hinsichtlich der US-Geldpolitik oder bei den Konflikten in der Ukraine oder im Mittleren Osten". Explizit warnt der IWF dabei vor "US-Unternehmensschulden sowie Immobilen-Booms in einer Reihe kleinerer westlicher Länder", während die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die Zentralbank der Zentralbanken, schon länger von "weltweit absurd niedrigen" Risikoprämien spricht.

New Yorker Börse. Bild: Balon Greyjoy/CC0

In ihrem aktuellen Quartalsbericht identifiziert die BIZ vor allem die Emerging Markets als gefährdet, wo meist große Unternehmen die angenehmen Finanzierungsbedingungen für Anleihenemissionen genutzt hätten. Die BIZ sorgt sich nun insbesondere darum, dass die meisten Kredite in Dollar aufgenommen wurden, was die Unternehmen im Krisenfall hohen Wechselkursrisiken aussetze. Zudem sei nicht klar, wie sehr die Unternehmen diese Kredite zu Spekulationszwecken genutzt hätten. Dadurch wären sie - samt den mit ihnen verbundenen Banken und Volkswirtschaften - auf Gedeih und Verderb den Launen einer Handvoll auf Emerging Marktes spezialisierter Vermögensmanager ausgeliefert, die einem starken Herdentrieb unterliegen und dazu neigen würden, die Finanzierungen im Krisenfall sofort einzustellen.

Allerdings drängt sich die Vermutung auf, dass der globale Finanzzyklus - so wie bereits während der "Asienkrise von 1997 - selbst von einer schweren Emerging-Markets-Krise nicht beendet werden dürfte. Vermutlich würden nur weitere Lockerungsmaßnahmen der führenden Notenbanken folgen, die im Krisenfall wohl alles versuchen werden, um einen Einbruch der Vermögenspreise in den westlichen Industriestaaten zu verhindern. Daraufhin deuten jedenfalls die Erfahrungen der vergangenen dreißig Jahre, in denen sich neben dem realwirtschaftlichen Konjunkturzyklus "Finanzzyklen" etabliert haben, die von der Entwicklung der Vermögenspreise und der Verfügbarkeit von Krediten abhängen. Über diese Finanzzyklen wird die Geldpolitik der führenden Notenbanken vermittelt, was allerdings nicht direkt erfolgt, sondern, um einen Begriff des Ökonomen John Maynard Keynes zu verwenden, gefiltert durch die "Animal Spirits" der Finanzmärkte, die von Euphorie, Panik und einem starken Herdentrieb geprägt sind.

Dabei lassen sich kurzfristige wie langfristige Finanzzyklen beobachten. So beobachtet die BIZ einen langen "Finanzzyklus", der mehrere Konjunkturzyklen überdauern kann und durch sich selbst verstärkende Wechselwirkungen steigender Immobilienpreise (und anderer langfristiger Vermögenswerte) und steigender Verschuldung charakterisiert ist (BIZ: "Schuldenfalle kann nur durch einen geordneten Schuldenabbau verhindert werden"). Dieser lange Zyklus wird von einem kürzeren Finanzzyklus überlagert, der als "Börsenzyklus" bekannt ist, sich an der globalen Risikoneigung und den Aktienkursen festmachen lässt und traditionell vom marktbreiten US-Aktienindex S&P 500 quantifiziert wird, der letzten Freitag ein neues Allzeithoch erreicht hat. Bis zum Anfang der 1990er Jahre war dieser "Börsenzyklus" dem realen Konjunkturzyklus recht verlässlich ungefähr ein Jahr voraus gelaufen, was seither aber kaum noch der Fall zu sein scheint. So dauern die Boomphasen der Finanzzyklen immer länger an und scheinen auch deutlich stärker ausgeprägt zu sein als die realwirtschaftlichen Aufschwungphasen. Denn offenbar lässt sich ein realwirtschaftlicher Aufschwung heute auch durch einen ungewöhnlich kräftigen Finanzboom kaum noch hervorrufen. Der aktuelle Finanzboom droht bereits zu enden, bevor die letzte realwirtschaftliche Rezession noch überwunden ist.

So dauerte der vorletzte volle (New-Economy-)Finanzzyklus (der Zeitraum von einem zyklischen Tiefpunkt zum nächsten), je nach dem, welches Datum man genau für den Wendepunkt festlegt, etwa von 1994 bis 2002, wobei das zyklische Top-Ende 2000 erreicht wurde. Der nächste Zyklus erreichte sein Top-Ende 2007 und seinen Tiefpunkt 2009, womit diese Finanzzyklen also jeweils sieben bis acht Jahre gedauert hatten. Daraufhin hatte unser aktueller Finanzzyklus begonnen, der sogar besonders ausgeprägt erscheint, während der realwirtschaftliche Aufschwung selbst in den USA und Großbritannien bislang so schwach ausgefallen ist wie niemals zuvor.

Die Finanzmärkte scheinen den Entwicklungen mit ungläubigem Staunen zu folgen

Inzwischen haben wir bereits mehr als fünf Jahre im "Risk-on-Modus" hinter uns, in dem die niedrigen Langfristzinsen die großen Kapitalsammelstellen mehr denn je dazu gezwungen haben, höhere Risiken einzugehen. Nachdem bei hoher Verschuldung aber weiterhin große Schwächen bei Beschäftigung und Einkommen bestehen, steht zu befürchten, dass ein Trendwechsel nun schwerer denn je auf die Realwirtschaft durchschlagen könnte.

Nachdem die Aufschwungphasen der letzten beiden Finanzzyklen jeweils nach fünf Jahren zu Ende waren, könnte sich ein Trendbruch also zumindest bereits annähern. Die Geschichte bietet allerdings wenige Vergleichsmöglichkeiten, da die herrschende Geldpolitik schlicht keine historischen Vorläufer hat. Denn klar ist, dass die Dynamik der Finanzzyklen unmittelbar mit der Geldpolitik zusammenhängt, die seit den 1990er Jahren zunehmend locker gestaltet wird. Dazu kommt, dass die Finanzzyklen offenbar inhärent instabil sind und stabile Börsenzeiten zu übermäßiger Risikonahme und bösen Überraschungen führen. Folglich verläuft ein Finanzzyklus auch nicht homogen, sondern die Investoren versuchen jeweils genau diejenigen Anlagekategorien zu identifizieren, die gerade die besten Chancen bieten, was laufende Umschichtungen von Anlagesegment zu Anlagesegment bedingt. Setzt sich eine neue Mode durch, bestätigt sich der "Trend" in der Regel von selbst, so bald die daraus resultierende Nachfrage zu entsprechenden Kurssteigerungen führt.

Je länger der Finanzzyklus aber anhält, umso schwieriger lassen sich positive Trends etablieren, so dass bald immer weniger Aktien für das Steigen der Indizes verantwortlich sind, während im Kreditbereich die Kreditnehmer rar werden, die nicht schon offensichtlich überschuldet sind. Dazu kommt, dass es in diesem Finanzzyklus an plausiblen Begründungen mangelt, mit denen offensichtlich überhöhte Vermögenspreise gerechtfertigt werden können. So waren im vorletzten Finanzzyklus viele Investoren offenbar überzeugt, dass die traditionellen Bewertungsmaßstäbe durch die "New Economy" nicht mehr gelten. Im darauf folgenden Zyklus war es letztlich der Glaube an die Sicherheit von Immobilien, der die Risikoprämien so lange und so weit hatte absinken lassen, während sich in diesem Zyklus zwar durchaus Blasen bilden, aber keine derart grundsätzliche Thesen finden lassen.

Diesmal scheinen aber selbst die Finanzmärkte den Entwicklungen mit ungläubigem Staunen zu folgen, womit wir endlich bei der Frage angekommen sind, ob es denn möglich sein kann, dass in diesem Finanzzyklus der Wendepunkt errecht wird, bevor die Federal Reserve die Leitzinsen noch deutlich angehoben hat. Denn das war bislang in der Geschichte stets die Voraussetzung für eine Trendwende. So waren die US-Leitzinsen vor dem Top von 2000 innerhalb eines Jahres von 4,8 auf 6,5 Prozent angestiegen, während sie zwischen 2004 und 2006 von 1,0 auf immerhin 5,2 Prozent gesetzt wurden. Nach Erreichen des Zinsmaximums hatte sich der Finanzzyklus zudem auch noch jeweils rund ein Jahr auf hohem Niveau gehalten, was bedeutet, dass von der ersten Zinssteigerung der Fed bis zum zyklischen Top des Finanzzyklus jeweils noch mindestens drei Jahre vergangen waren, was übrigens deutlich kürzer war, als bei den vorangegangenen Finanzzyklen.

Wir erleben aktuell die längste Finanz-Aufschwungphase aller Zeiten

Nachdem Fed-Chefin Janet Yellen gerade erst bekräftigte, die Leitzinsen noch "beträchtliche Zeit" bei Null halten zu wollen, und Yellen zudem keinen Zweifel daran lässt, die Geldpolitik bei etwaigen Rückschlägen sofort wieder zu lockern, rechnen die Wall-Street-Analysten nun frühestens im nächsten Sommer mit ernsthaften Zinssteigerungen, was nach historischer Erfahrung bedeuten würde, dass der Finanzzyklus noch jahrelang weiter anhalten sollte.

Dadurch hätten wir es aktuell mit der längsten Finanz-Aufschwungphase aller Zeiten zu tun, was angesichts der schon jetzt durchaus skeptischen Stimmung an der Wall Street auf den Test einer Hypothese hinaus läuft, die schon am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde. Demnach könnte eine geschickte Notenbank den Finanzzyklus letztlich beliebig lange am Leben erhalten, sofern sie nur die Zinsen ausreichend niedrig belässt. Das war jedenfalls die Überzeugung des schwedischen Ökonomen Knut Wicksel, dessen auf Kreditzyklen beruhende Konjunkturtheorie John Maynard Keynes als Basis der Zinstheorie der "Österreichischen Schule" betrachtet hatte. Wicksels' Maßstab war dabei der "natürliche Zins", bei dem gerade so viel investiert werde, dass "die Güterpreise weder zu erhöhen noch zu sinken die Tendenz" hätten. Hielte die Notenbank den realen Zins nun dauerhaft unter dem natürlichen Zins, dann würden zwar auch die realen Preise ansteigen und das Wirtschaftswachstum im Zeitablauf immer niedriger ausfallen, die Vermögenspreise würden theoretisch jedoch so lange weiter steigen, so lange die Zinsen unter der natürlichen Zinsrate verharren.

Allerdings ging Wicksell von einem Vollbeschäftigungs-Szenario aus, so dass sich daraus nicht unbedingt ein Widerspruch zu Keynes ergeben muss, der den Bruch des Finanzzyklus mit den grundsätzlich nicht-linear-rationalen "Animal Spirits" erklärt, die in bestimmten Situationen auch von Null-Zinsen nicht umgestimmt werden könnten. Ebenso wenig dürfte er aber auch im Widerspruch zu Ludwig v. Mises stehen, dem Doyen der "Austrian Economics", der bei ungewöhnlich hohen Verschuldungsniveaus eine Trendwende auch bei Null-Zinsen für möglich hielt.

Allerdings haben es die Notenbanken seither noch nicht darauf ankommen lassen und die Zinsen stets bereits angehoben, bevor der Finanzzyklus gekippt war. Nachdem vor allem die USA aber nicht zu einer Zinsanhebung geneigt zu sein scheinen, bevor annähernd Vollbeschäftigung erreicht ist, diese aber selbst bei großzügiger Nutzung aller Möglichkeiten der Statistik noch nicht absehbar ist, werden sich die Notenbanken zunehmend anstrengen müssen, die Vermögenspreise vor dem drohenden Absturz zu bewahren. Dazu passt, dass die Notenbanken mittlerweile zu Maßnahmen bereit sind, die vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wären. So zeigen etwa Dokumente der großen Optionenbörsen, dass den Notenbanken beim Handel mit Terminkontrakten mittlerweile spezielle Großkunden-Konditionen eingeräumt werden. Bei den Futures auf den S&P 500, deren Entwicklung maßgeblich für den Kassamarkt ist, sollen die Notenbanken mittlerweile zu den größten Marktteilnehmern zählen, was letztlich bedeutet, dass die Federal Reserve ihre unbegrenzt verfügbaren Dollars dazu verwendet, den wesentlichen Indikator des Finanzzyklus in die gewünschte Richtung zu manipulieren.

Allerdings muss sich erst herausstellen, ob das ausreicht, wofür sich im Oktober eine erste Bewährungsprobe bietet. Denn dann soll das Anleihenkaufprogramm der Fed auslaufen, was die Finanzmärkte durchaus als massive Verschärfung der Geldpolitik betrachten und zum Anlass für einen Trendwechsel nehmen könnten.