Klimaschutz nicht so wichtig

"100 Prozent saubere Energie". Auch im Schatten der Athener Akropolis forderten am Sonntag ein paar Dutzend Demonstranten mehr Klimaschutz. Das Land könnte nebenbei seine Handelsbilanz deutlich aufbessern, wenn es keine Erdölprodukte mehr einführen müsste. Bild: W. Pomrehn

Die Energie- und Klimawochenschau: Von Riesen-Demonstrationen und Verzögerungen, von teuren Kohlekraftwerken und einem bevorstehenden afrikanischen Solarboom

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Bundeskanzlerin Angela Merkel findet ihn zwar nicht so wichtig, aber die überwiegende Mehrheit ihrer Amtskollegen offensichtlich schon. Oder sie wollen sich vor ihrer heimischen und der internationalen Öffentlichkeit keine Blöße geben. Jedenfalls sind mehr als 120 Staats- und Regierungschefs der Einladung des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon zu einem Sondergipfel gefolgt, der den seit Jahren vor sich hin dümpelnden Klimaverhandlungen neue Impulse geben soll. Angela Merkel machte am Dienstag lieber dem Bundesverband der Deutschen Industrie ihre Aufwartung.

Die CDU-Chefin mag sich dabei denken, dass von den rund 10.000 Demonstranten, die die Nachrichtenagentur dpa am Sonntag in Berlin gezählt hat, sie ohnehin keiner gewählt hat und es auch nie tun wird. Jedenfalls nicht bei der Energiepolitik, die sie in den letzten Jahren so hingelegt hat. Die Nachrichtenagentur Bloomberg hat bei der Kanzlerin anlässlich des New Yorker Spitzentreffens einen besonderen Geschmack für Kohle ausgemacht. Das Ziel, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu vermindern, werde vermutlich verfehlt. Die Emissionen der Kohlekraftwerke würden nicht abnehmen.

Weltweit für Klimaschutz

Die Berliner Demonstranten waren allerdings nicht die einzigen, die am Sonntag für den Klimaschutz auf die Straße gingen. Unter dem Motto "100 Prozent erneuerbare Energie" fanden in rund 2700 Städten in aller Welt Demonstrationen und Aktionen statt. Die größte sicherlich in New York, wo der Guardian "über 100.000" Teilnehmer ausgemacht hat. Die Veranstalter zählten dort gar 310.000 Menschen, die unter anderem "Flood Wall Street" forderten. In London gingen 40.000 auf die Straße, 5.000 in Bogota und 10.000 in Melbourne. Insgesamt sollen nach Angaben der Veranstalter über 600.000 Menschen den Umbau der Energiewirtschaft und den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen gefordert haben.

Insgesamt waren die Demonstrationen sicherlich ein Lichtblick. Denn ohne den Druck aus den Bevölkerungen wird sich in den internationalen Klimaverhandlungen kaum etwas tun. Wenn nicht in den einzelnen Ländern den jeweiligen wirtschaftlichen Interessen, die dem Klimaschutz vor allem in der Öl-, Auto- und Kohleindustrie entgegen stehen, von der Gesellschaft wirksam begegnet wird, wird sich natürlich auch bei den Gesprächen auf der internationalen Ebene nichts bewegen.

Es sei höchstens, dass eines der Schwellenländer, in dem Gesellschaft und Regierung sich nicht so fest im Griff der alten, überkommenen Industrien befinden, die Gunst der Stunde nutzt, um sich zum Vorreiter zu machen. Das könnte ihm eventuell auch einen technologischen Wettbewerbsvorteil einbringen und natürlich auch einen nicht zu unterschätzenden Bonus in der globalen öffentlichen Meinung.

China hat dafür mit seinen inzwischen ziemlich großen Wind- und Solarindustrien beste Voraussetzungen. Die dortigen Greenpeace-Vertreter drängen daher die Regierung in Beijing (Peking), ihre Verhandlungsstrategie zu ändern. Statt immer wieder darauf zu bestehen, dass zunächst die alten Industrieländer ihren Verpflichtungen nachkommen, sollte sie einfach in die Offensive gehen. Zum Beispiel könne sich die Regierung doch, so Greenpeace-Sprecher Li Shuo gegenüber der Nachrichtenagentur IPS, in New York verpflichten, den Höhepunkt seiner Treibhausgasemissionen weit vor 2030 zu erreichen.

Chinas Emissionen

Die Emissionen wachsen derweil weiter und haben inzwischen in Relation der Einwohnerzahl das Niveau in der EU überschritten. Während in den Mitgliedsländern der Gemeinschaft im Schnitt 6,8 Tonnen CO2 pro Jahr und Kopf der Bevölkerung durch die Verbrennung von Kohle und Erdölprodukten sowie durch die Zementproduktion emittiert werden, sind es in China inzwischen 7,2 Tonnen, wie aus einem am Wochenende veröffentlichten Bericht des Global Carbon Projects hervorgeht. In Deutschland liegt der Wert bei 9,6 Tonnen und in den USA bei 16,4 Tonnen.

18 Prozent der chinesischen Emissionen entstehen allerdings durch die Exportwirtschaft, das heißt, sie sind mit Produkten verbunden, die hauptsächlich in Westeuropa und Nordamerika konsumiert werden. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass das CO2, das sich in den letzten 150 Jahren in der Atmosphäre angereichert hat, weitgehend auf das Konto der Industriestaaten geht. Die chinesischen Emissionen sind hingegen, gemessen an der enormen Bevölkerungszahl des Landes, bis vor wenigen Jahren klein gewesen. Unten stehende Grafik veranschaulicht, dass sie erst ab etwa Mitte des letzten Jahrzehnts richtig schnell wuchsen.

Bild: Global Carbon Project

Sicherlich wird Lis Wunsch in New York noch nicht in Erfüllung gehen, aber immerhin gibt es ermutigende Anzeichen, dass China die starke Abhängigkeit von der Kohle, die für den größten Teil der Emissionen verantwortlich ist, zurückfährt. Nach einem Bericht von Greenpeace, ist der chinesische Kohlemarkt nahezu zum Stillstand gekommen. Die Einfuhren seien im ersten Halbjahr 2014 nicht weiter gewachsen und die inländische Förderung sogar leicht zurückgegangen. Nachdem sich der Kohleverbrauch binnen zehn Jahren verdoppelt hat sind das immerhin gute Nachrichten. Die enormen Probleme mit der Feinstaubbelastung in den chinesischen Metropolen und der erhebliche Unmut der Bevölkerung darüber scheinen offenbar eine starke Motivation für die Verantwortlichen zu ergeben, den Kohlegebrauch einzuschränken.

Auch sonst wird der Fuß etwas vom Gaspedal genommen, wie die in Hongkong erscheinende South China Morning Post berichtet. Nach diversen kleineren und größeren Unfällen in Folge von zu hastig durchgezogenen Projekten, werde nun mehr auf die Qualität geachtet. Das Tempo sei bei Bauvorhaben nicht mehr die oberste Maxime.

Das führt inzwischen dazu, dass sich der in Kooperation mit dem französischen Hersteller Areva durchgeführte Bau eines neuen Reaktortyps in Taishan in der Nähe von Hongkong um mindestens ein Jahr verzögert. Es habe sich gezeigt, dass noch keiner Erfahrung mit der Technologie habe. 2008 war noch der Bau eines anderen Reaktors in der etwas weiter nördlich gelegenen Provinz Fujian in 13 Monaten durchgezogen worden, was von Befürwortern der AKW-Nutzung gerne als Beweis für die Potenziale der Technik angeführt wurde. Aber man muss wohl hoffen, dass der auf Baustellen in aller Welt übliche Pfusch sich in diesem Fall in Grenzen gehalten hat. Allerdings: Bei einem solchen Tempo kann das eigentlich nur Wunschdenken sein.

RWEs Kohle-Fiasko

Hierzulande hat RWE, eigentlich ein alter Hase im Kohle-Gewerbe, selbst mit dem Bau von Kohlekraftwerken seine Probleme. Wie das Handelsblatt erfahren hadert der Konzern mit seinem Neubau im nordrhein-westfälischen Hamm. Der Bau entwickle sich zum Fiasko und die Inbetriebnahme sei auf unbestimmte Zeit verschoben. Statt zwei Milliarden Euro habe der Bau bereits 2,4 Milliarden gekostet. Insgesamt könnte sich die Summe noch auf drei Milliarden Euro erhöhen.

Ursprünglich hatten die beiden 800-Megawatt-Blöcke bereits 2012 ans Netz gehen sollen. Einer laufe zwar inzwischen, aber für den zweiten ist vollkommen unklar, bis wann die offenbar zahlreichen Baumängel behoben werden können. Zuletzt war der Sommer 2015 als Termin angegeben worden, aber nun hat der Hersteller Alstom - auch nicht gerade ein Neuling auf diesem Gebiet - sein Sanierungskonzept zurückgezogen.

Solar-Boom

Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche: Wie an dieser Stelle bereits mehrfach berichtet, entwickelt sich der globale Solarmarkt trotz der Obstruktion der hiesigen und anderer europäischer Regierungen hervorragend. Getragen wird er vor allem von der Entwicklung in Asien sowie in Ozeanien.

Das Beratungs- und Analysebüro Solarbuzz geht davon aus, dass im zweiten Halbjahr 2014 in China, Indien, Japan, Thailand und Australien 12 Gigawatt an neuer Solarleistung installiert werden. Das seien 60 Prozent der globalen Nachfrage. In China würden derzeit 80 Prozent der Anlagen in Solarparks installiert. Der Bau von kommerziellen Dachanlagen komme hingegen langsamer voran, als von der Regierung gewünscht. Neue Anreizsysteme würden entwickelt, um die Dezentralisierung voran zu bringen.

In Japan seien bereits 59 GW an Solarprojekten in der Pipeline. Fallende Systemkosten für neue Anlagen in Kombination mit unangemessen hohen Einspeisevergütungen führen im Land der aufgehenden Sonne offenbar zu einer regelrechten Bonanza, und statt in Aufdachanlagen wird viel Geld in Freiflächenanlagen gestellt, was bei den beengten Bedingungen auf den dicht bevölkerten bergigen Inseln nur bedingt sinnvoll ist. Doch bei dem rasanten Wachstum ist es gut möglich, dass der Markt sich in ein, zwei Jahren reichlich überhitzt und es zu einem lokalen Crash kommt.

Auch in Afrika und im Mittleren Osten bahnt sich ein Solar-Boom an. Wie in Japan drängen zunehmend Investoren ins Geschäft, berichtet Solarbuzz in einer anderen Analyse. Angezogen werden sie offensichtlich von der Kombination aus weiter sinkenden Kosten für Solaranlagen, dem rasch steigenden Energiebedarf der meisten Länder und den guten Einstrahlungsbedingungen. Projekte mit einer Leistung von immerhin elf Gigawatt Leistung stehen in verschiedenen afrikanischen Ländern vor der Umsetzung, weitere 1,3 GW im Nahen Osten.

Die geplanten Solarparks seien im Schnitt etwas größer als die in den etablierten Märkten in Europa und in den USA. Projekte mit 50 MW oder mehr Leistung seien in Algerien, Kamerun, Ägypten, Äthiopien, Ghana, Kenia, Marokko, Nigeria, Senegal, Südafrika, Swasiland, Tunesien, Uganda, Sambia und Simbabwe angekündigt worden. Zeigen muss sich allerdings noch, was diese Großprojekte für den dezentralen Ausbau bedeuten. Werden sie ihn an den Rand drängen oder vielleicht sogar indirekt durch die Akkumulation an Know-how und die Steigerung des Bekanntheitsgrades der Technik fördern? Eins ist jedenfalls sicher: Sie steigern die Nachfrage nach Solarpanelen auf dem Weltmarkt und beschleunigen damit Massenproduktion und weitere Kostenreduktion.