Sexarbeiter

Über sie wird gesprochen, nicht mit ihnen

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Seit Prostitution als legal gilt, geben sich Kommunen und Politik Mühe, sie auf legale Weise einzudämmen - und gefährden damit nicht zuletzt auch die Sexarbeiter.

Es gibt in der medialen Welt einige Themen, die letztendlich sofort mit etwas anderem in Zusammenhang gebracht werden, egal wie groß der tatsächliche Zusammenhang ist. Eines dieser Themen ist die Sexarbeit, die sofort bei Erwähnung die Begriffe Zwangsprostitution, Menschenhandel, Drogensucht und "Mensch als Ware" nach sich zieht.

Sexarbeit ist vor allen Dingen auch ein Thema, bei dem über Menschen gesprochen wird, nicht mit ihnen. Die diversen Äußerungen, nicht zuletzt auch jene von Politikern, quellen geradezu über vor Empörung und zur Schau gestelltem Mitgefühl für die Frauen, die von Prostitution betroffen sind, ohne dass der Dialog mit den Betroffenen überhaupt gesucht wird.

Frankfurter Rotlichtviertel. Bild: Arne Hückelheim. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Da Prostitution fast immer mit Zwangsprostitution gleichgesetzt wird, ist eine solche Empörung leicht. Geht es um freiwillig der Sexarbeit nachgehende Personen, ist ein Abwürgen der Diskussion etwas schwerer, lässt sich mittlerweile aber leicht durchführen indem man eine Kapitalismuskritik nutzt, die ansonsten (wenn es darum geht, seinen Körper bzw. dessen Leistung zu verkaufen) nicht geäußert wird und die mit moralischen Gesichtspunkten einhergeht. Außerdem zweifelt man auch die Freiwilligkeit an. Für diese Zweifel gibt es dann zwei vermeintliche Begründungen: ein erlebtes Trauma oder Selbstverleugnung. Verkürzt gesagt gibt es die freiwillig agierenden Sexarbeiter in dieser Argumentation einfach nicht, weshalb sie in der Auseinandersetzung auch vernachlässigt werden dürfen.

Ebenso einfach verläuft die Diskussion, wenn ein Artikel sich nicht nur negativ mit dem Thema Sexarbeit befasst. Hierbei wird dann streng nach (vermeintlichem) Geschlecht eine ad hominem gerichtete Angriffsschiene gefahren: Der männliche Verfasser ist wahrscheinlich unattraktiv und geht selbst zu Sexarbeitern, bekommt keine anderen Frauen ab oder steht halt darauf, wenn "Frauen sich erniedrigen".

Die Verfasserin will sich bei Männern anbiedern, hat selbst ein Trauma erlitten, ist selbst Sexarbeiterin oder aber will aus irgendwelchen Gründen mit ihren Geschlechtsgenossinnen abrechnen und sieht auf diese herab. Auch hier gilt: Wer Sexarbeit nicht sofort und ohne Ausnahmen ablehnt, wird angefeindet. Dabei wäre es wichtig, nicht nur die Sexarbeiter selbst zu Wort kommen zu lassen, sondern sich möglichst ohne sofortige Überblendung zum Thema Zwangsprostitution mit dem Thema zu befassen.

Viele Facetten, die einfach ignoriert werden

In der öffentlichen Wahrnehmung besteht die Sexarbeit letztendlich nur aus oralem, vaginalem und analem Sex, aus mehr oder minder einem Wrack gleichenden Frauen, die meist drogensüchtig oder aber gequält und erniedrigt von geilen Männern besprungen werden und diesen "zu Willen sein müssen". Diese Ansicht wird der Realität, gelinde gesagt, nur bedingt gerecht.

Nicht nur lässt sie die männlichen Sexarbeiter außen vor, welche höchstens ab und an als "drogensüchtige Stricher" mit in die Gesamtbetrachtung einfließen, sie ignoriert auch die Vielfalt der Tätigkeit an sich. Sexarbeit umfasst unter anderem Striptease, die vorgenannten Sexformen, Angebote für diverse Fetische wie auch die sexuelle Betreuung von behinderten Menschen.

Letzteres ist erst seit einigen Jahren ein Thema, vorher war das sexuelle Interesse von körperlich bzw. geistig behinderten Menschen etwas, was negiert bzw. mit Attributen wie "abartig" versehen wurde.

Ebenso vielfältig wie die Tätigkeiten an sich sind auch Verdienst und äußere Umstände. Escortservice, der auch sexuelle Dienste umfasst und der Fetisch- und Dominabereich sind eher im hochpreisigen Segment angesiedelt und verlangen von den Sexarbeitern weitaus mehr als nur einen "Körper zum Bespringen".

Beim Escortservice kommen oft Fremdsprachenkenntnisse, Diskretion, Fähigkeiten im sozialen Bereich (Konversation, Gepflogenheiten/Manieren ...) und ein entsprechend gestaltetes Äußeres hinzu, für den Fetisch- und Dominabereich sind grundlegende anatomische Kenntnisse wie auch solche im Bereich Erste Hilfe unabdingbar, um Verletzungen zu vermeiden bzw. auf solche reagieren zu können.

Die Sexualdienstleistungen, die sich an Menschen mit Behinderungen richten, sind hierbei ebenfalls ein spezieller Bereich. Hier muss besonders sensibel vorgegangen werden, da es gilt die diversen Krankheitsbilder zu beachten und Missverständnisse zu vermeiden.

Verrichtungsboxen - nein, wie ekelig

An der Diskussion über die sogenannten Verrichtungsboxen konnte abgelesen werden, wie hier eher über Menschen, denn mit ihnen gesprochen wird. Oftmals überwog die spontane Ablehnung und es wurde eine Besorgnis um die nun "wie Vieh" eingepferchten Frauen vorgeschoben. Wäre hier der Dialog mit den Sexarbeitern vorangetrieben worden, so hätte es die Möglichkeit gegeben, die Verrichtungsboxen einmal auch von der positiven Seite zu betrachten.

Bei diesen Boxen handelt es sich um abgetrennte Bereiche, in denen Sexarbeiter ihren Dienst in den Autos der Käufer der Dienstleistung ausführen können. Alarmknöpfe sollen es den Sexarbeitern möglich machen, bei Gefahr jedweder Art schnell Hilfe rufen zu können, ferner gibt es beispielsweise Kondomausgabestellen oder (je nach Einrichtung) Betreuung und Gesundheitsvorsorge. In Zürich wurden die Verrichtungsboxen beispielsweise das erste Jahr über komplett betreut - und auch wenn sinkende Einnahmen vermeldet werden, beurteilen Sexarbeiter die Boxen an sich eher positiv.

Doch die Boxen richten sich an jene Sexarbeiter, die auf dem Straßenstrich tätig sind. Für alle anderen Bereiche befürchten viele Sexarbeiter jedoch eher eine weitere Stigmatisierung. Eine rückwärtsgewandte Politik ist ihrer Ansicht nach eher darauf aus, die Gesellschaft vor der Prostitution zu schützen, als die Sexarbeiter vor Diskriminierung, schlechten Arbeitsbedingungen oder Ausbeutung.

Diese Meinung vertritt zum Beispiel Undine de Riviere, die Sprecherin des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD). "Statt konsequenter rechtlicher Anerkennung unseres Berufes stehen [ihr zufolge] neue stigmatisierende Sondergesetze im Raum." De Rivieres Unmut richtet sich dabei gegen die geplanten Regelungen der Bundesregierung in Deutschland. Unter anderen sind eine Meldepflicht für Sexarbeiterinnen und eine Erlaubnispflicht für alle Arbeitsstätten geplant, in denen mehr als eine einzelne Sexarbeiterin in ihrer eigenen Wohnung arbeitet. Der BesD hält die angedachten Regelungen für kontraproduktiv und vor allem die Registrierungs- und Nachweispflicht für wirkungslos:

"Gerade Menschenhändler und andere Ausbeuter würden garantiert als erstes ihren Opfern Ausweise besorgen oder sie dazu anhalten, um nicht weiter behelligt zu werden. Die Erfahrungen der Betreuer des Notruftelefons von sexworker.at mit Wiener Sexarbeiterinnen bestätigen das: Fast alle Sexworker, die im Zusammenhang mit Menschenhandel und organisierter Kriminalität Hilfe gesucht haben, waren registriert. Und da die Polizei fast nur noch Ausweise kontrolliert, statt Gespräche zu suchen, und die Sexarbeiterinnen die Behörden primär als drangsalierendes Kontrollorgan wahrnehmen, sind Menschenhandelsopfer sogar noch schwerer aufzufinden."

Geradezu absurd wird es, wenn angedacht wird, die Sexarbeiter müssten sich gegenüber den Kunden mit einem amtlichen Dokument inklusive Realnamen ausweisen. Gerade für jene Frauen, die der Sexarbeit nachgehen, aber fürchten müssen, dass sich diese bis heute ja stigmatisierte Tätigkeit für sie negativ auswirkt, würden auf diese Weise entweder in die Illegalität gedrängt oder auf quasibürokratischem Wege zur Aufgabe der Tätigkeit gedrängt. Und eine Realnamenspflicht würde es Stalkern leicht machen. Der Berufsverband meint dazu:

"Kolleginnen berichten, dass sie bei Ausweiskontrollen im Straßenverkehr im Beisein Dritter auf ihren Beruf angesprochen wurden, obwohl diese Angabe eigentlich nicht in der abgefragten Datenbank hätte auftauchen dürfen. In kleinen Gemeinden erfahren Eltern von der Nebentätigkeit ihrer Tochter, weil der Nachbarsohn bei der Polizei arbeitet. Auch werden die Daten von ehemaligen Sexarbeiterinnen nicht gelöscht, obwohl die Polizei dazu verpflichtet wäre. In München werden bei polizeilichen Routinekontrollen in Bordellen Fotos von Prostituierten gemacht und abgespeichert, obwohl es sich dabei um eine erkennungsdienstliche Erfassung handelt, die in einem solchen Fall nicht gestattet ist."

Die Stellungnahme des BesD zeigt sehr deutlich, dass der Dialog mit den Sexarbeitern mehr als verbesserungswürdig ist und dass sich das hehre Ziel des Schutzes vor Zwang und sexueller Ausbeutung nur als Lippenbekenntnis einordnen lässt, wenn die geplanten Regelungen die in der Sexarbeit tätigen Menschen eher gefährden denn ihnen helfen.

Über Umwege ausgrenzen

Im allgemeinen herrscht eine Art "Nimby"-Haltung vor, wenn es um Sexarbeit geht. Offiziell soll die Sexarbeit zwar anerkannt und entsprechend natürlich auch steuerlich berücksichtigt werden, aber am besten doch dort stattfinden, wo man es nicht mitbekommt. "Not in my backyard" - nicht im meinem Hinterhof, bedeutet in diesem Fall, dass die Bereiche, in denen beispielsweise der Straßenstrich genehmigt wird, immer stärker abnehmen. Die angedachten Regelungen sollen die Möglichkeit, der Sexarbeit in Wohngebieten nachgehen zu können, weiter einschränken, auch die sogenannten "Liebesmobile" (Wohnmobile, in denen der Sexarbeit nachgegangen wird) sind den Behörden und Anwohnern ein Dorn im Auge. Der BesD meint dazu in seiner Stellungnahme:

"Den besten Schutz finden Sexarbeiterinnen in einer Normalisierung unserer Branche. In einer vollständigen Entkriminalisierung, insbesondere dem Streichen diskriminierender Sonderparagraphen im Straf- und Ordnungswidrigkeitengesetz. In konsequenten Antidiskriminierungsmaßnahmen. In Empowerment und Professionalisierung. In vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Behörden, deren Mitarbeiter dazu ermutigt werden, sich unserer Belange sachlich anzunehmen. In gemeinsam mit Sexarbeiterinnen entwickelten Arbeitsschutzrichtlinien. Und in der Abwesenheit von Hurenkarteien und Zwangsoutings. Das Prostitutionsgesetz von 2002 war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, der leider zu zögerlich gegangen wurde. Dieser Weg sollte konsequent weiter verfolgt werden."

Doch es steht eher zu befürchten, dass die Sexarbeit weiter stigmatisiert und dies mit dem Schutz vor Menschenhandel und Zwangsprostitution verbrämt wird. Für die Sexarbeiter bedeutet dies, dass sie letztendlich weiter in Gefahr sind und diese Gefahr sogar noch vergrößert wird.

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