Das Potemkinsche Dorf Bundeswehr

Regierung und Opposition müssen nach dem Fiasko beim militärischen Material Stellung beziehen

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Die Bundeswehr ist in einem desolaten Zustand, wie sich eher zufällig herausgestellt hat. Letzte Woche kursierte unter dem Titel "Materielle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte" eine für die Abgeordneten erstellte Liste der Bundeswehr, nach der deutlich wurde, dass von den Kampfflugzeugen, Hubschraubern, Transportmaschinen oder Panzern viele nicht einsatzfähig sind. Von den 43 Hubschraubern der Marine können bestenfalls 5 verwendet werden. Das war zwar schon länger auch der Öffentlichkeit bekannt, wurde aber offenbar nicht als wichtig erachtet. Auch anderswo gibt es Potemkinsche Dörfer. Von den 109 Eurofightern sind nur 42 einsatzbereit. So lange die Geisterarmee nicht gebraucht wird, ist es auch kein Problem, es sollte ja schließlich beim Umbau der Bundeswehr zu einer Berufsarmee auch gespart werden.

Truppenfahne der Bundeswehr. Bild: Marco Kaiser/gemeinfrei

Wie sich herausstellte, war die Liste geschönt und ist die Lage noch schlechter, als es die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium darstellen wollten. So wurde nicht unterschieden, ob die Systeme voll oder nur bedingt einsatzfähig sind, einsatzfähig sollte heißen: sofort für Einsatz/Übung/Ausbildung bereit. Und man vergab eher willkürlich grüne Punkte, die ausreichende Einsatzfähigkeit suggerieren und das Elend verschleiern sollten.

Kurz nach dem Auftauchen der Liste wurde praktisch vorgeführt, wie es mit der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bei der zugesagten Hilfe für die Kurden aussieht. Schon der erste Flug mit Panzerfäusten, Gewehren und Maschinengewehren kam nur mit Verspätung am letzten Donnerstag von Leipzig weg. Die Bundeswehr hat vielleicht schon vorsichtshalber bereits eine Transportmaschine des niederländischen Militärs verwendet. Wegen eines Defekts musste aber erst ein Ersatzteil eingeflogen werden, weswegen die Maschine erst mit eintägiger Verzögerung abheben konnte. Auf Zypern musste dann die Fracht auf eine andere Maschine umgeladen werden, kam aber schließlich am Donnerstag an.

Als die deutschen Ausbilder, sechs Soldaten und ein Sanitäter, nach Erbil geflogen werden sollten, kam es zu einer Posse. Sie sollten schon vor dem Waffentransport am 19. September mit einer Transall abfliegen. Aber die war defekt. Also musste ein anderes Flugzeug verwendet werden. Die Bundeswehr meldete diensteifrig: "Am 19. September sind sieben Soldaten vom Flugplatz Hohn bei Rendsburg aus in den Nordirak geflogen." Weil die Kennung aber unterschiedlich war, verweigerte die irakische Regierung die Einreise. Die deutschen Soldaten mussten in Bulgarien auf eine Genehmigung warten. Nur dumm, dass auch die zweite Maschine nicht mehr weiterfliegen konnte. Schließlich gelangten die Soldaten mit einer dritten Maschine endlich nach Erbil. In einem Nachtrag gab es die Erfolgsmeldung: "Die sieben Soldaten, sechs Soldaten der Luftlandebrigade 26 und ein Sanitäter, sind am 25. September gegen 19 Uhr im nordirakischen Erbil gelandet." Gut immerhin, dass die Verteidigungsministerin erst in Erbil ankam, als Waffen und Soldaten es bereits glücklich geschafft hatten.

Nicht nur für die forsche Verteidigungsministerin von der Leyen ist der Zustand der Bundeswehr blamabel, sondern für alle jene wie Bundespräsident Gauck oder Außenminister Steinmeier, die ein stärkeres, auch militärisches Engagement Deutschlands in der Welt einforderten. Was sie dabei nicht erwähnten, ist, dass dies eben auch mehr Geld erfordert. Vermutlich waren ausgerechnet unter der schwarz-gelben Regierung bei den Ministern zu Guttenberg und de Maizière bei den Ersatzteilen gespart worden, auch wenn man mit dem Erwerb des Euro Hawk mindestens eine halbe Milliarde Euro in den Sand setzte. Schließlich war und ist die Devise der deutschen Bundeskanzlerin Merkel das Sparen. Die hatte auch, als die Forderungen von der US-Regierung und der Nato nach einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben kam, erst einmal abgewunken. Auf dem Nato-Gipfel wurde, noch eher dem Ukraine-Konflikt und damit der Aufrüstungsspirale zwischen Nato und Russland zugewandt, eine Erhöhung der Rüstungsausgaben auf 2 Prozent des BIP gefordert. Verpflichtend war dies aber nicht.

Jetzt steht allerdings der Offenbarungseid an - für Regierung und Opposition: Soll Deutschland militärisch einsatzbereit und ein verlässlicher Partner sein oder setzt man eher auf das Sparen und/oder auf nichtmilitärische Lösungen? Vermutlich werden Bundesregierung, Verteidigungsministerium und Bundeswehr im Ausland zum Gespött. Ausgerechnet das reichste Land der EU, das sich gerne als Lehrmeister der anderen aufplusterte, ist nicht imstande, seine Verpflichtungen gegenüber der Nato zu erfüllen oder seinen militärischen Anteil zu stellen, wenn ein Konflikt ausbricht, den man meint, militärisch angehen zu müssen. Verteidigungsministerin von der Leyen, die das schon lange vorbereitete Fiasko ausbaden muss, deutete schon vorsichtig an, dass man wohl um eine Erhöhung der Rüstungsausgaben "mittelfristig" nicht herumkomme. Der Bild sagte sie, "Probleme im Grundbetrieb sind jahrelang beiseite geschoben worden", was auch Kritik an ihrem Vorgänger einschließt - und sie selbst war auch ein Teil der schwarz-gelben Regierung, die das verbockt hat. Jetzt meint sie, vorübergehend könne man das Problem etwa mit Transportflugzeugen durch Mieten lösen. Das klingt praktikabel, nicht Besitz, sondern der Zugang zu militärischen Systemen ist das Entscheidende. Eine Beteiligung an den Luftangriffen auf den Islamischen Staat wäre aber wohl nicht drin. Macht aber nichts, die US-Regierung sucht neben Mitkämpfern sowieso Geldgeber.

Die SPD greift nun von der Leyen an und fordert, sie solle die Bundeswehr fit machen. Von mehr Geld ist da auch nicht die Rede. Auch die Grünen fordern, dass von der Leyen das Chaos beenden solle, mehr Geld sei nicht erforderlich. Nur die Linkspartei, die sich antimilitaristisch gibt, hätte mit der maroden Truppe wohl kein Problem. Stell dir vor, es ist Krieg und keiner kommt hin, war offenbar die Devise der Bundesregierung, die sich als klammheimliche Friedensbewegung zeigt. Von der Leyen glaubt, erst einmal die Probleme durch Entlassungen angehen zu können. U.a. wegen Euro Hawk hatte sie im Februar bereits den Rüstungsstaatssekretär Stéphane Beemelmans nach Hause geschickt, was aber noch nichts geholfen hat. Gemunkelt wird, dass nun auch der Chef des Bundeswehr-Beschaffungsamtes, Harald Stein, dran glauben muss. Für Beemelsmans hat von der Leyen übrigens die Unternehmensberaterin Katrin Suder eingesetzt. Die will das Rüstungsmanagement optimieren und transparenter machen und leitet die Abteilung Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung. Suder klingelt mit Worten: "Wir brauchen eine Rüstungsindustrie 4.0."

Der Adler der Bundeswehr sieht sowieso ein wenig zerrupft aus. Er scheint auch zu hecheln. Gut geht es ihm nicht. Vielleicht verdient er das Gnadenbrot.