Bürgerlotto statt Pöstchenschachern bei der Kontrolle des ZDF

Timo Rieg diagnostiziert, dass die Politik den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in eine teure Bedeutungslosigkeit führt und plädiert für ein Großreinemachen

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Der ZDF-Fernsehrat muss vielfältiger und transparenter werden. Das Bundesverfassungsgericht sah im März den Anteil von 44% formalen Staats- und Politikvertretern als zu hoch an, maximal ein Drittel sei mit dem Grundgesetz vereinbar (tatsächlich sind derzeit allerdings fast 60 Prozent der Mitglieder Politiker, nur zum Teil auf anderen Tickets, weitere Mitglieder sind zumindest sehr "parteinah").

Seitdem bastelt die Politik an ihrem Machterhalt - was auch nicht schwer fällt, denn die Vielfalt im ZDF-Fernsehrat wie in jedem anderen Kontrollgremium des ganz, ganz staatsfern organisierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks liegt bei den Politikern selbst. Den entsprechenden Staatsvertrag schließen die Ministerpräsidenten miteinander, ihre Landesparlamente nicken ihn noch formal ab, ohne ein Komma zu verschieben, damit das Ganze Gesetzeskraft erlangt.

Auf ihren Einfluss werden die Politiker nicht verzichten - auch wenn sie sich formal an die Karlsruher Vorgaben halten werden. Schon ein Drittel Politiker ist eine eklatante Dominanz. Zudem sind bisher fast alle Fernsehratsmitglieder in einem der beiden politischen Freundeskreise organisiert, in denen vor der offiziellen Sitzung die roten und die schwarzen Positionen abgestimmt werden.

Timo Rieg.

Da ist es völlig bedeutungslos, wenn die Ministerpräsidenten, die derzeit 16 Mitglieder als Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen nach ihrem Belieben in den Rat berufen, künftig tatsächlich auch "Personen mit möglichst vielfältigen Perspektiven und Erfahrungshorizonten aus allen Bereichen des Gemeinwesens" berücksichtigen, wie es das Bundesverfassungsgericht will. Zumal die festen Plätze für Gewerkschaften, Kirchen, Arbeitgeber- und Berufsverbände ganz sicher nicht zur Disposition stehen, - schließlich sichert Politik sich über solche Postenschacherei das Wohlwollen (oder die Protestlosigkeit) dieser starken Lobbygruppen.

Die Politik hat einen großen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung des Vielfalts- und Transparenzgebots, sagt das Gericht. Wie wäre es daher mit einem Großreinemachen? Zu viel Mauschelei ist bereits an den Tag getreten, zu unzufrieden ist das Publikum mit dem, was fürs Fernsehgucken wenig repräsentative Funktionäre aufsichtlich fabrizieren, als dass es mit ein bisschen Quotenschieberei getan sein kann. Politiker denken viel zu kurz, wenn sie sich über ein solches Gremium unmittelbaren Einfluss sichern wollen. Bisher führt das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur immer weiter in die (teure) Bedeutungslosigkeit.

Wenn das ZDF - und nachfolgend dann auch die ARD-Anstalten - die Vielfalt von Meinungen und Lebensstilen sowie "nicht kohärent organisierte Perspektiven" abbilden soll, dann braucht es dafür keinerlei Politiker und keine Funktionäre von Vertriebenenverband, olympischem Sportbund und Arbeiterwohlfahrt - sondern schlicht Bürger. Die sind nämlich so vielfältig, wie es vielfältiger nicht geht.

Um diese Vielfalt in den Fernsehrat zu bekommen, muss man diese Bürger nur zulassen - ohne dass sie sich in Gremien hochdienen und dabei schwere Haltungsschäden erleiden. Man muss es so machen, wie die Erfinder der Demokratie vor 2.500 Jahren: einfach auslosen. Lotterie ist wunderbar unbestechlich und damit brutalst gerecht. Ohne Ansehen der Person kann das Los jedem Bürger zufallen. Er muss nichts dafür tun und kann sich andererseits auch nicht darum bewerben.

Damit die ausgelosten Bürger im Fernsehrat nicht wie die Funktionäre werden, die sie gerade ersetzen, müssen sie natürlich anders miteinander sprechen: kein Palaver in der großen Runde, in der nur die Mutigsten das Wort ergreifen und ein echter Ideenaustausch gar nicht möglich ist, keine Einnordung in politischen Freundeskreisen, stattdessen Beratung in wechselnden Kleinstgruppen zu je 5 Personen und nur für zwei bis vier Tage, wie wir das vom Verfahren Citizens Jury kennen. Danach werden neue Bürger ausgelost.

Von Erfahrungslosigkeit getragene Bedenken aus der Fraktion der Allestotquatscher

Der häufigste Einwand gegen solche Losverfahren: es ließe sich damit keine Kontinuität erzielen, jede ausgeloste Bürgergruppe würde wieder alles über den Haufen werfen, das sei unberechenbar, ja willkürlich.

Das sind allerdings nur von Erfahrungslosigkeit getragene Bedenken aus der Fraktion der Allestotquatscher.1 Demoskopie und Marktforschung beweist täglich, dass dem nicht so ist. Es ist eben egal, ob ich diese Stichprobe befrage oder jene - sofern sie jeweils gleichermaßen zufällig zusammengesetzt ist. Bei Beratungen mit Citizens Jurys werden gerne vier Gruppen á 25 Personen gebildet, die parallel und völlig unabhängig voneinander die selben Fragen klären.

Stimmen die Ergebnisse aller vier Gruppen überein, so ist das Votum valide, repräsentativ für die Gesamtheit, aus der gelost wurde - und das ist bisher praktisch immer der Fall gewesen.2 Wechselhafte Meinungen bekommt man hingegen, wenn nach politischem Proporz entschieden wird - und sich dieser Proporz nach einer Wahl ändert. Dann gibt es Richtungsänderungen und faule Kompromisse - obwohl sich das Volk gar nicht verändert hat.

Die Idee, Bürger als Stellvertreter auszulosen, ist so alt, so erprobt und so gut, dass nur mit erheblicher Arroganz ein Versuch für den Rundfunk abgelehnt werden kann. Denn das Experiment ist völlig unschädlich - und angesichts eines Gebührentopfes von über 7 Milliarden Euro auch finanziell nicht der Rede wert. Die Ministerpräsidenten haben jetzt die Chance, eine Bürgerjury auslosen und beraten zu lassen - und sich danach öffentlich mit den Ergebnissen auseinanderzusetzen. Danach sähe der Ideenpool für eine Vielfalt sichernde Reform bedeutend anders aus als heute.

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