"Journalisten scheinen sich förmlich im Schützengraben einzubuddeln"

Interview mit den Kabarettisten Max Uthoff und Claus von Wagner

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Vertauschte Rollen: Liefern Satiriker Journalismus und Journalisten Satire? Diesen Eindruck haben zumindest die beiden Kabarettisten aus der ZDF-Sendung Die Anstalt. Max Uthoff und Claus von Wagner haben in zwei Sendungen der Anstalt vor einem Millionenpublikum eine Medienkritik artikuliert, die in ihrer eigenwilligen Art kaum hätte pointierter sein können. Auf YouTube wurde auf die beiden Videos der Satire-Sendung über 150.000 Mal zugegriffen.

Screenshot aus der Sendung vom 23.9.2014 über Medien und Propaganda. Bild: ZDF

Im Interview mit Telepolis verdeutlichen die beiden Kabarettisten, woher ihre Kritik am gegenwärtigen Journalismus kommt und wie sie darüber denken, dass zwei Journalisten gegen ihre satirische Auseinandersetzung juristisch vorgehen. Das Interview wurde geführt, bevor im ARD-Blog mit gewundenen Worten Fehler in der Berichterstattung eingeräumt wurden.

Dass Journalisten und Satiriker bisweilen ein etwas "aufgeregtes" Verhältnis" zueinander haben, ist spätestens seit dem unvergessenen Auftritt des US-amerikanischen Moderators Jon Stewart in der politischen Talkshow "Crossfire" bekannt. Es war im Oktober 2004, als Stewart in der Sendung ins "Kreuzfeuer" genommen wurde, weil der Satiriker in seiner legendären "Daily Show" immer wieder den Journalismus der großen Medien in seinem Land kritisierte. Bei einem der Höhepunkte des vielbeachteten Auftritts konfrontierten die beiden Moderatoren Stewart mit einem Interview, das er mit dem US-Politiker John Kerry geführt hatte. Sie kritisierten Stewart für seine inhaltsleeren Fragen, die er Kerry stellte und wollten ihm so verdeutlichen, dass er eben selbst nicht die journalistischen Glanzleistungen ablieferte, wie er sie immer wieder einforderte. Stewart konterte sinngemäß mit der Aussage, dass etwas gewaltig falsch laufen müsse, wenn professionelle Journalisten sich mit ihm, also einem Satiriker, vergleichen.

Dieser kleine Ausflug in das Jahr 2004 zeigt, dass der Konflikt zwischen Leitmedien und ihren "Beobachtern" nicht neu ist. Er findet länderübergreifend, und das schon seit längerer Zeit statt.

Ein Höhepunkt in diesem Kampf um die Deutungshoheit zwischen großen Medien und einem Teil ihrer Rezipienten ist derzeit in Deutschland im Hinblick auf die Berichterstattung zur Krise in der Ukraine zu beobachten. Max Uthoff und Claus von Wagner haben in ihrer Sendung genau dieses Phänomen aufgegriffen. Durch ihre satirischen Darstellungen ist es ihnen gelungen, den Konflikt zwischen Leitmedien und ihren Rezipienten sichtbar zu machen. Deutlich wird in ihren Beiträgen: Leitmedien und Rezipienten sind nicht nur getrennt durch unterschiedliche politische Ansichten. Teile der großen Medien scheinen geradezu in einer eigenen Sinnwelt zu agieren, die sich zu derjenigen der Rezipienten durch grundverschiedene Wahrnehmungsraster kennzeichnet. Diese Grundkonstellation bietet reichlich Platz für Satire.

In ihrer letzten Sendung vom vergangenen Dienstag haben Sie sich in einen Gefechtsstand begeben und mit einer Generalmobilmachung auseinandergesetzt. Vor ein paar Tagen durften Sie (bzw. der Rechtsbeistand der Anstalt) einen Kampf vor Gericht führen. Kann es sein, dass man als Satiriker gerade ziemlich "turbulente" Zeiten durchlebt?

Max Uthoff: Ich war ja mal Jurist und bin extra auf Kabarett umgestiegen, damit ich nicht mehr vor Gericht muss - und jetzt das!

Wie denken Sie über die Verhandlung?

Max Uthoff: Jeder hat das Recht in einem Rechtsstaat seiner Sicht der Dinge Nachdruck zu verleihen. Und wir freuen uns, dass Josef Joffe und Jochen Bittner das Thema "Journalistische Unabhängigkeit" mit einem solchen Nachdruck in die Öffentlichkeit gebracht haben.

Claus von Wagner: Ansonsten erwarten wir die Entscheidung des Gerichts.

Der Zeit-Autor Jochen Bittner, der eine einstweilige Verfügung gegen einen Ihrer Beiträge erwirkt hat, hat sich im Telepolis-Forum zu Wort gemeldet. Er schreibt, dass er Ihnen bzw. der Anstalt angeboten habe, in einem öffentlichen Rahmen über die Darstellungen in der Sendung sprechen zu wollen. Er schreibt: "Das haben sie, mit Verweis auf mangelnde Zeit, abgelehnt. Daraufhin hatte ich zwei Wochen Zeit, um einen Antrag auf einstweilige Verfügung zu stellen - was ich nur ungern getan habe." Warum sind Sie nicht auf das Gesprächsangebot eingegangen?

Claus von Wagner: Wir haben miteinander gesprochen. Als wir uns überlegt haben, wie man dieses Gespräch weiterführen kann, hat uns die Unterlassungserklärung überrascht.

Max Uthoff: Ich bin immer so verkrampft in Interviews, wenn ich gleichzeitig verklagt werde.

In Ihrer aktuellen Sendung haben Sie eine pointierte Medienkritik geliefert, das Publikum applaudierte laut. Wie erklären Sie sich diese begeisterte Reaktion des Publikums?

Max Uthoff: Ja. Und im Internet findet der Clip rasante Verbreitung. Die Nummer scheint in den Zuschauern etwas berührt zu haben. Es gibt wohl ein diffuses Unbehagen darüber, dass die Leitmedien dem Bürger in wichtigen politischen Fragen oft eine beschränkte Weltsicht aufzudrängen versuchen.

Claus von Wagner: Die Journalisten spüren, dass ihnen etwas entgleitet: die Deutungshoheit über Themen. Aber das könnte eigentlich auch so was wie eine Befreiung sein. Warum nicht einfach wieder zurück zum kompetenten Informationen-Sammeln und -Aufbereiten, um so den Lesern das Selberdenken zu ermöglichen!? Damit sind nicht die Meinungsseiten gemeint. Die sollen bitte so subjektiv sein, dass es kracht!

Max Uthoff: Die Leser werden es sich nicht auf Dauer gefallen lassen, bei Kritik oder abweichenden Meinungen wahlweise ignoriert oder denunziert zu werden. Man muss sich das einmal vorstellen: Der Programmbeirat der ARD, also ein offizielles Gremium des Senders, in dem ausgewählte Bürger die Berichterstattung beobachten, also diese offiziellen Beobachter müssen sich allen Ernstes als Agenten Putins beschimpfen lassen, weil sie die einseitige Berichterstattung zur Ukraine kritisieren (Ukraine-Konflikt: ARD-Programmbeirat bestätigt Publikumskritik). Der ARD-Intendant sieht sich sogar in seiner Ehre angegriffen. Womit wir wieder beim Soldat wären. Die Journalisten scheinen sich förmlich in Schützengraben einbuddeln zu wollen. Mit einer ehrlichen Auseinandersetzung bzw. Selbstkritik hat das nichts zu tun.

Claus von Wagner: Noch was wäre mir wichtig, wo wir gerade im russischen Fernsehen zitiert werden. In Zeiten von kriegerischen Auseinandersetzungen zerfällt die Welt auf erschreckende Weise in zwei Lager. Es gibt plötzlich Freunde und Feinde. Nach dem Motto: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." Da gerät man als Satiriker, zu dessen Berufsbeschreibung es gehört zuzuspitzen, schnell zwischen die Fronten. Deshalb hier noch mal ganz deutlich: Wenn wir uns in der "Anstalt" dafür aussprechen, dass viele deutsche Medien und Journalisten deutlich besser informieren könnten, als sie es momentan tun - heißt das nicht, dass wir damit automatisch sagen, alles, was aus anderen Quellen (z.B. Russland) kommt, verlässlicher ist. Oder dass wir die Zustände in Russland verharmlosen. Kurz: Satire darf Schwarz-Weiß malen, Journalisten haben die ganze Farbpalette. Sie sollten sie auch nutzen.

Können Sie uns erzählen, wie ein Kabarettist auf die politischen Ereignisse dieser Welt blickt? Gibt es da einen "speziellen" Blick?

Claus von Wagner: Ich glaube nicht. Er ist jedenfalls nicht spezieller als der eines interessierten Lesers.

Max Uthoff: Wir sind auf die Medien bzw. Vermittler von Informationen angewiesen. Vielleicht kommt unser Ärger auf die Medienlandschaft daher: weil die Informationsvermittler in vielen Fällen ihren Job nicht machen.

Claus von Wagner: Ja. Eigentlich soll der Satiriker Satire machen und die Journalisten Journalismus. Zur Zeit haben wir aber das Gefühl, es ist umgekehrt: da sollen wir Journalismus machen, und die Nachrichten machen manchmal unfreiwillig Satire.

Ist das nicht etwas zu sehr zugespitzt? Können Sie das mal an einem Beispiel festmachen.

Max Uthoff: So wie in den Tagesthemen, wo über eine angebliche Großdemonstration von Tausenden von Bürgern für die Einheit der Ukraine im Stadion von Donezk berichtet wurde. Ein Amateurvideo auf YouTube zeigt dagegen ein fast menschenleeres Stadion - bis auf sagen wir 300 bestellte Fähnchenschwenker. Halt, ein Großaufgebot von Journalisten war auch da und versuchte offenbar, durch geschickte Bildausschnitte den Eindruck einer Massenveranstaltung zu erwecken. Diese Satire schaffte es unerkannt bis in die deutschen Hauptnachrichten.

Nun sind Sie beide ja nicht nur Kabarettisten, sondern auch Bürger. Wenn Sie aus der Kabarettistenrolle schlüpfen, um dann als "normaler Mensch" auf die Medien, auf die politischen Krisen, auf die Probleme dieser Zeit schauen, was denken Sie dann?

Max Uthoff: Nun privat glauben wir natürlich an mehr Aufrüstung, mehr Austerität und mehr Außenhandel - kurz, es soll alles so bleiben, wie es ist, weil: so schlimm ist es ja nicht. Aber versuchen Sie mal mit diesen Überzeugungen als Kabarettist zu überleben...

Was soll und muss das politische Kabarett leisten?

Claus von Wagner: Erst mal: Kabarett muss gar nichts. Es darf aber anscheinend auch nicht alles... Jemand hat mal gesagt, Kabarett sei "Spiel mit dem erworbenen Wissenszusammenhang des Zuschauers". Demnach müsste man als Satiriker nur mit dem spielen, was schon an Wissen da ist. Anspielungen bringen, die ein informiertes Publikum entschlüsseln kann. Fertig. Aber was, wenn man etwas entdeckt, was eben nicht oder unserer Meinung nach zu wenig berichtet wird? Was macht man dann? Was wir in der Anstalt versuchen, ist also diesen engen Kabarettbegriff zu dehnen; den Wissenszusammenhang des Zuschauers ein klein wenig zu erweitern. Indem wir Informationen auf unterhaltsame Weise vermitteln. Und dann damit spielen.

Max Uthoff: Das ist natürlich viel anstrengender. Deshalb kämpfen wir für besseren Journalismus. Dann wird unsere Arbeit nämlich wieder leichter. Wir sind nämlich von Natur aus faul.

Wenn Sie über ihre Arbeit als Kabarettisten nachdenken: Wird es eine Weiterentwicklung geben und wie könnte diese aussehen?

Claus von Wagner: Nach der Anstalt soll in Deutschland kein Kabarett mehr möglich sein. Weil es nicht mehr gebraucht wird. Wir arbeiten daran, uns überflüssig zu machen. Hat glaub ich Tucholsky gesagt.

Max Uthoff: Das war doch Hildebrandt?

Claus von Wagner: Sollen wir nachschauen?

Max Uthoff: Ich glaub, ich bin grad zu faul.