Flüchtlingsströme und Unterkünfte für Zuwanderer

Niemand hat die Absicht, der Regierung zu unterstellen, dass sie die Lage beherrscht

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Die Bilder endloser Flüchtlingsströme nach Europa sind verheerend. Die Bilder, die dort publik werden, wo sich der Staat durch ominöse Subunternehmer dabei vertreten lässt, sich den Aufgaben zu stellen, ebenfalls. Was in nordrhein-westfälischen Unterkünften für Zuwanderer geschehen sein könnte, rührt an das Selbstverständnis unseres Landes und zeigt eine hilflose Landesregierung.

Weder bei der Bundesregierung noch bei der Europäischen Kommission ist man fähig, durch geeignete Maßnahmen eine einigermaßen zuträgliche Lage bei der massenhaften Zuwanderung herzustellen. Dabei ist die Sprengkraft dieser Frage nicht hoch genug einzuschätzen. Vor wenigen Wochen wies eine Zeitung mit nationaler Bedeutung auf die französische Diskussion dazu hin. In dem ausführlichen Kommentar wurde die Dimension der damit verbundenen Fragen herausgestellt. Danach könnte bereits eine offene Auseinandersetzung über alle damit verbundenen Fragen in einen Bürgerkrieg führen. Schöne Aussichten.

England steckt mitten in der Zerreißprobe, was die massenhafte und nicht im Entferntesten mit den staatlichen Mitteln zu kontrollierende Einwanderung anbetrifft. Hier zeigen sich zudem unterschiedliche Auffassungen auf der Insel selbst. Das politische System in England knirscht in den letzten Fugen, wenn über diese Problematik gestritten wird. Es kommen politische Kräfte hoch, die an die faschistische Mosley-Bewegung aus der Zwischenkriegszeit erinnern.

Italien rechnet sich mit der ungeliebten Einwanderung seine Haushaltszahlen hoch, um den europäischen Defizitgrenzen einigermaßen entkommen zu können. Wie in diesen Tagen nachzulesen war, erreichen die haushaltsrelevanten Umsätze aus dem Zuwanderer-Business und der Prostitution stolze sechzig Milliarden Euro. Man stelle sich die Lage vor, wenn es diese Erwerbsquelle für Italien nicht geben würde.

Bevor in Deutschland die Einweisung von Zuwanderern in Privathaushalte vorgenommen wird, wie es deutsche Abgeordnete in die Diskussion einbringen, sind Fragen an die Regierung zwingend. Aber niemand hindert in der Zwischenzeit die Propagandisten der "Willkommenskultur" daran, Zuwanderer in Schloss Bellevue in Berlin oder anderen überdimensionierten Bauten in der bürgerfernen Hauptstadt unseres Landes unterzubringen.

Die Fragen brennen dennoch lichterloh. Bisher ist die Bundesregierung jede Antwort schuldig geblieben. Wer steckt eigentlich hinter den gewaltigen Schleuserorganisationen, die aus inzwischen allen Teilen der Welt Menschen nach Europa und damit Deutschland verbringen? Wenn es die schrecklichen und das humane Europa ins Mark treffenden Bilder von Katastrohen im Mittelmeer nicht geben würde, müssten wir jeden Bezug zu den Bewegungsströmen verlieren.

Dabei wissen wir seit Jahrzehnten um die zu erwartende Dimension der Zuwanderung nach Europa und wissen auch, dass man mit Panzern Frauen, Kinder und Männer auf der Suche nach einem für sie besseren Leben von den Außengrenzen der Europäischen Union nicht fernhalten kann. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Ein wesentlicher Umstand ist aber darin zu sehen, dass der europäische Wertekanon Hilfe gebietet, wo Hilfe angebracht ist.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands und der vorherrschenden Euphorie über eine auszuschüttende Friedensdividende ging Kontinentaleuropa daran, sich diesen Fragen zu stellen. Es wurden Konzepte noch unter dem Außenminister Genscher entwickelt, das Erfolgsmodell der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) mit einer effektiven wirtschaftspolitischen Komponente zu verstärken und den Staaten am südlichen Rand des Mittelmeeres das Angebot zur Zusammenarbeit zu unterbreiten. Eine "Festung Europa" sollte es nicht geben, weil sie auch nicht zu halten sein würde.

Natürlich hatte man in Bonn und anderen europäischen Hauptstädten dabei die Rechnung ohne den amerikanischen Wirt gemacht. Warum verhandeln, wenn man die Welt im Nahen und Mittleren Osten sowie am südlichen Rand des Mittelmeeres nach eigenem Gutdünken würde neugestalten und dazu das eigene Militär verwenden können? Auf diese Weise wurde nicht nur den europäischen Interessen entgegengewirkt, die Zuwanderungswellen in erträgliche Formen lenken zu können. Die Probleme wurden ins Uferlose verschärft und heute stellen sich dadurch die Fragen, die unter Hinweis auf Frankreich in europäische Bürgerkriegsdimensionen reichen.

Dann wunderte es nicht, wie intensiv mit einer Mauer des Schweigens seitens der eigenen Regierung oder den europäischen Institutionen die Fragen danach umgeben worden sind, wer eigentlich aus dem Süden Afrikas oder den Tiefen des Nahen Ostens diese Zuwanderungswellen organisiert und wer aus den eigenen oder fremden Reihen die gewaltigen Erlöse einstreicht?

Somalia und seine Hoffnungslosigkeit könnten eine erste Antwort darauf geben. Die Dinge aus dem Entführungs-und Kaperungsgeschäft wurden in erster Linie in London abgewickelt. Scheut unsere Regierung es, überhaupt eigene oder fremde Erkenntnisse zu den Zuwanderungswellen publik zu machen, weil man sich das weder gegenüber Washington noch London traut? Da ist es natürlich simpler, den Deutschen mit zunächst freiwilligen und später wohl Zwangseinweisungen zu drohen. Wenn man sich die gesamtpolitische Lage und die gewaltigen Herausforderungen auf allen Gebieten, einschließlich kriegerischer Entwicklungen, ansieht, kann niemand daran denken, dass die Bundesregierung damit durchkommt.

Willy Wimmer ist CDU-Politiker. Er war zwischen den Jahren 1985 und 1992 verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und Staatssekretär im Bundesministerium für Verteidigung. Wimmer war Stellvertretender Leiter der Delegation des Deutschen Bundestages bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und von 1994 bis 2000 Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE.