Wird Afghanistan zum nächsten Irak?

Wie in Syrien und im Irak jetzt sollten die Taliban in Afghanistan ausgelöscht werden, mit dem anstehenden Truppenabzug könnte sich wiederholen, was im Irak geschehen ist

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US-Präsident Obama hat als Ziel des von ihm mit einer Koalition der Willigen eröffneten Kriegs gegen den Terror als Ziel festgelegt, den Islamischen Staat zu schwächen und "letztlich zu zerstören" ("Amerika führt die Welt"). Damit ist er auch rhetorisch in die Fußstapfen seines Vorgängers getreten, dessen Kriege er beendet hat, nur um sie jetzt wieder aufzunehmen, weil nur Truppen abgezogen wurden, ohne dass ein stabiler, geschweige denn demokratischer Rechtsstaat aufgebaut wurde.

US-Soldaten in Afghanistan. Bild: defensegov

Weil Obama den Irak in Trümmern hinterlassen hat und wegen der ungelösten Konflikte mit Russland und Iran keine politische Strategie für Syrien entwickeln konnte, erlebte der islamistische Terror, den Bush durch den Krieg gegen Hussein aus Afghanistan in den Irak importiert hat, eine Renaissance. Gefördert von den Staaten, die die Islamisten im regionalen Konflikt mit dem Iran gefördert haben, und die Obama wieder in seine Koalition eingebunden hat, weil die geopolitischen und wirtschaftlichen Verflechtungen mit Saudi-Arabien und den Golfstaaten zu stark sind. Dazu kommen die Interessen des Nato-Partners Türkei, die unter der Regierung Erdogan den Antiterrorkampf gegen die Kurden, den Islamischen Staat und das Assad-Regime führen und Kontrolle über Syrien erlangen will. Und es gibt den bereits weitgehend zerrissenen Irak, der als rechtsstaatliches Gebilde kaum mehr zu einen ist.

Im Grunde könnte nur eine Lösung gefunden werden, wenn der UN-Sicherheitsrat ein Mandat gibt. Es sind allerdings keine Zeichen zu sehen, dass Obama dies anstreben würde, schließlich hat er neben dem Islamischen Staat, Ebola und der Klimaerwärmung Russland als vierten Gegner gebrandmarkt (China, den Hauptkonkurrenten um die Position der Supermacht, erwähnte er nicht).

Aber man muss nur einmal einen Schritt zurücktreten und den nach der Köpfung von zwei Amerikanern erst eröffneten Krieg gegen den Islamischen Staat mit dem Beginn des Kriegs gegen das Taliban-Afghanistan nach 9/11 in eine Analogie stellen. Man wird sich erinnern, dass George W. Bush Tage nach 9/11 mit diesen Worten den langen und globalen Krieg gegen den Terror (We're at war) eingeleitet hat:

My administration has a job to do and we're going to do it. We will rid the world of the evil-doers.

Bis zum Beginn des Kriegs unter der schönen Bezeichnung "Operation Enduring Freedom" Anfang Oktober 2001 dauerte es nicht lange. Bush sprach wie auch Obama vom "Krebs", den es auszulöschen gelte. Vor Kriegsbeginn hatte die Bush-Regierung das Taliban-Regime und seinen Führer Mullah Omar am 5. Oktober noch pro forma eine Entscheidung eröffnet. Um zu überleben, müsse die Führung von al-Qaida der USA übergeben, die Camps geschlossen und den USA Zugang zu allen Einrichtungen gewährt werden: "Wir werden die Taliban-Führer persönlich zur Verantwortung ziehen. Jede Ebene des Taliban-Regimes wird zerstört werden." Zwei Tage später begann der Krieg - zunächst vorwiegend aus der Luft, aber unterstützt durch Kämpfer der Nordallianz und CIA-Agenten am Boden.

13 Jahre später beginnt die USA zusammen mit den Isaf-Truppen der Koalition, die wie Deutschland uneingeschränkt solidarisch waren, den Abzug aus Afghanistan. Mehr als 4000 Isaf-Soldaten, mehr als 10.000 afghanische Sicherheitskräfte und einige zehntausend Zivilisten wurden getötet. Den USA hat der Krieg mindestens 800 Milliarden US-Dollar gekostet, Deutschland auch mehr als eine Milliarde pro Jahr.

Mullah Omar, den Bush zur Rechenschaft ziehen wollte, ist weiter der Führer der Taliban, die keineswegs zerschlagen wurde, sondern auch dank der Rekordeinnahmen durch den Drogenanbau und -handel wieder erstarkt ist. Selbst wenn durch das gerade abgeschlossene bilaterale Sicherheitsabkommen unter der nun bescheiden formulierten Operation "Resolute Support" 2015 weiter US- und Isaf-Soldaten im Land bleiben werden und der Streit um den Präsidentschaftsposten zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah aufgrund des hohen Drucks kurz zuvor "geklärt" wurde, aber virulent bleibt, wird Afghanistan bestenfalls zu einem eingefrorenen Konflikt. Zu erwarten ist, dass sich afghanische Regierung und Taliban irgendwie verständigen werden, was auf einen gemäßigten islamistischen Staat hinauslaufen könnte.

US-Soldaten in Afghanistan. Bild: defensegov

Jeder Zeit können die vorgesehenen 12.500 Nato-Soldaten, die nicht mehr kämpfen, sondern trainieren, unterstützen und beraten sollen, wieder in einen Konflikt hineingezogen werden, schließlich gibt es nicht nur die Taliban, sondern auch die vielen "Warlords", die zwar in das afghanische System integriert sind, aber eine wirkliche Demokratisierung verhindern und eigene Interessen verfolgen. Die von der Nato ausgerüsteten und trainierten afghanischen Sicherheitskräfte dürften einem entschlossenen Gegner ähnlich wie die irakischen Sicherheitskräfte kaum standhalten, wenn die Nato-Kampftruppen Ende 2014 ganz abgezogen sein werden. Zudem hängen die Sicherheitskräfte auch finanziell vollständig vom Ausland ab. Allein die USA finanzieren jetzt das afghanische Militär mit mehr als 4 Milliarden US-Dollar jährlich. Sinkt die Finanzierung oder fällt sie aus, könnte die afghanische Regierung die Kosten nicht übernehmen, da Afghanistan mehr oder weniger pleite ist. Jetzt sind noch 40.000 Isaf-Soldaten in Afghanistan. Ende 2015 werden es im Rahmen von "Resolute Support" noch 6.000 sein und Ende 2017 sollen dann alle Nato-Soldaten abgezogen werden.

Mullah Omar, immerhin mit einem Kopfgeld von 10 Millionen von der US-Regierung gesucht, pries vor kurzem Allah und verkündete die Niederlage der USA und ihrer Alliierten. Omar stellt die Taliban zwar als nationale und islamische Befreiungskämpfer dar und unterstützt nicht wie die pakistanischen Taliban explizit den Islamischen Staat. Aber er fordert Solidarität mit allen Muslimen, die vom Westen unterdrückt werden, was den Islamischen Staat doch wieder einbegreifen könnte. Tatsächlich ist der Afghanistankrieg der wohl längste, den die USA geführt haben.

Die Taliban warten erst einmal weitgehend den Abzug der Nato-Truppen ab. Aber sie haben immer wieder einmal demonstriert, dass sie auch in Kabul zuschlagen können, dass es keine Sicherheit gibt. Im Unterschied zum Irak und zu Syrien kontrollieren die Taliban nicht ganze Regionen und zerfällt Afghanistan nicht schon in religiös separierten Regionen, aber die Frage ist, ob die USA bzw. die Nato angesichts der Ausbreitung des Islamischen Staats in Syrien und im Irak wirklich den Krieg in Afghanistan beenden können, ohne ein ähnliches Risiko in Kauf zu nehmen. Ex-General John Allen, der zwei Jahre lang Isaf-Kommandeur war, kritisierte unlängst, dass der Abzug zu schnell erfolgt, wobei er nur die militärische Seite betrachtete: "These young Afghan troops, the whole concept of an Afghan army is new. And they need time to transition properly."

Mit dem "Antiterrorkrieg" in Syrien und im Irak könnte, so wird in den USA befürchtet, Afghanistan ganz aus der Aufmerksamkeit der US-Regierung herausfallen. Ob Obamas Nachfolger Interesse haben wird, Afghanistans Regierung und Sicherheitskräfte weiter mit Milliarden am Überleben zu halten, steht in den Sternen. Wenn Republikaner wie Buck McKeon, der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses im Repräsentantenhaus, fordern, sich weiterhin in Afghanistan zu engagieren, dann wird es für die USA teuer. Immerhin sind für nächstes Jahr noch fast 80 Milliarden US-Dollar für Overseas Contingency Operations (OCO) vorgesehen, trotz der Reduzierung der US-Truppen von 88.000 auf 33.000 in Afghanistan blieb der OCO-Posten auf 80 Milliarden. Das kommt nun Anti-IS-Krieg zugute, der monatlich jetzt schon mehr als eine Milliarde kostet. Buck McKeon erklärt, dass die USA angesichts der Entwicklungen im Irak die Abzugspläne noch einmal überdenken sollte, da die Stabilität der afghanischen Regierung und die Sicherheitsinteressen nur durch die Präsenz der USA und ihrer Alliierten gewährleistet werden könnte.