Auf finanzialisierten Märkten fallen die Ölpreise wie die Aktienkurse

Alle anderen Erklärungen sind Schall und Rauch

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Dieser Tage kann man überall auf den Finanzseiten der Gazetten wieder das lustige Spiel beobachten, das da heißt: "Wir erklären den Rückgang des Ölpreises mit harten Fakten." Wenn der Ölpreis fällt, dann muss das ja in den Augen eines "gut ausgebildeten" Wirtschaftsredakteurs mit Angebot und/oder Nachfrage nach Öl zu tun haben. Folglich bedeutet ein Rückgang der Preise, dass es zu viel Angebot und/oder zu wenig Nachfrage gibt. Also macht man sich flugs daran, die Argumente zusammenzukratzen, die für das eine und/oder das andere sprechen.

Da staunt man zunächst schon deswegen, weil es doch zu den feststehenden Glaubenssätzen der vergangenen Jahre gehörte, dass China und andere Entwicklungsländer ungeheuer öldurstig seien, der Oil Peak (also das absolute Maximum der täglichen Produktion) ganz nahe sei und die Produktion schon jetzt immer teurer werde. Jetzt aber wird sogar die leichte Verlangsamung der Weltkonjunktur mit lockerer Hand als Argument für sinkende Nachfrage herangezogen, obwohl die Weltwirtschaft doch nach allen Schätzungen, die vorliegen, auch in diesem Jahr absolut weiter wachsen wird und damit auch die Nachfrage nach Öl. China wird sogar um mehr als sieben Prozent zulegen. Wie kann da leichte Verunsicherung über Europa oder Deutschland dazu führen, dass die Nachfrage nach Öl absolut sinkt?

Auch das große Ölangebot, die Ölschwemme, von der jetzt überall die Rede ist, gab es in den vergangenen Jahren sehr häufig, und trotzdem sind die Preise hoch geblieben oder sogar gestiegen. Ich habe mir selbst bei der OPEC Zentrale in Wien vor einigen Jahren vorführen lassen, wie über Wochen und Monate eigentlich "zu viel Öl" am Markt war und dennoch die Preise nicht, wie von guten Ökonomen erwartet, reagierten.

Warum das so ist, haben wir hier schon einige Male vorgeführt, zuletzt im Anschluss an die Diskussion bei der Deutschen Bank über den Einfluss der Finanzmärkte auf die Rohstoffpreise. Verunsicherung macht sich in der Tat breit, aber das hat nichts mit der konkreten Nachfrage nach und dem Angebot an Öl zu tun. Genau wie an den Aktienmärkten sind es allein die Erwartungen und darauf folgende rein finanzielle Transaktionen, die den Preis bestimmen. Ich habe den Einfluss von finanziellen "Investoren" vor einem halben Jahr wie folgt erklärt:

"Was aber passiert an einem solchen Markt, wenn plötzlich große Mengen von "Investoren" auftreten, die gar keine Ahnung von den konkreten Marktverhältnissen haben, sondern nur in der Erwartung vereint sind, mit dem Kauf von Derivaten, hier also Future-Kontrakten (die sie halten wollen, in die sie also long gehen, wie es im Marktslang heißt), Erträge dadurch zu erzielen, dass sie günstig kaufen und bei höheren Preisen verkaufen? Diese Investoren sind offenbar von der Erwartung getrieben, dass die Rohstoffpreise generell steigen werden, weil, wie sie sich das ausmalen, China so viel verbraucht und so wenig produziert, dass die Rohstoffpreise über Jahre nur eine Richtung kennen, nämlich nach oben. Und weil es viele mit großen Geldsummen sind, die das erwarten und entsprechend handeln, geschieht genau das auch. Wie an allen Finanzmärkten sind das sich selbst treibende Entwicklungen, die die Preise weit über den Wert hinaus erhöhen, den sie ohne die Finanzialisierung (ohne die Investoren) gehabt hätten.

Und dann passiert, genau wie am Devisenmarkt, das, was nicht passieren dürfte: Dann steigt der Future-Preis so stark, dass auch der Spot-Preis mit nach oben gezogen wird. Denn jeder Produzent sagt sich dann, dass bei einer halbwegs normalen Differenz zwischen Spot- und Future-Preis er heute schon seine Preise erhöhen kann, weil auf der anderen Seite jeder - im Lichte der von den Investoren hochgetriebenen wesentlich höheren Future-Preise - bereit sein wird, das zu zahlen. Auf diese Weise schiebt sich dann, wie 2008 in klassischer Weise geschehen, das ganze System der Spot- und Future-Preise nach oben, obwohl der Öl-Markt in Abbildung gleichzeitig jahrelang in Backwardation war, die Future-Preise als unter den Spot-Preisen lagen. In der nächsten Phase allgemein steigender Preise nach der Finanzkrise war es genau umgekehrt: der Öl-Markt war in Contango. Das heißt, die Konstellation zwischen Spot- und Future-Preisen sagt nichts über die allgemeine Preisentwicklung auf dem Markt aus. In diesen Phasen allgemein steigender Preise kann man Gewinne mit Future-Kontrakten machen, selbst wenn man hinsichtlich der Differenz von Spot und Future falsch liegt. Man muss ja nur jemanden finden, der bereit ist, den Kontrakt auch zu einem höheren Preis, als man ihn selbst gekauft hat, zu kaufen, weil der Counterpart erwartet, dass die Preise weiter steigen. Selbst wenn der Kontrakt als solcher Verluste generiert, weil zum Beispiel der Future-Preis anders als erwartet unter dem Spot Preis zum Zeitpunkt der Fälligkeit liegt, kann man noch einen Gewinn verbuchen, wenn die allgemeine Erwartung herrscht, die Rohstoffpreise würden weiter anziehen. Je länger eine solche Hausse aber geht, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie zusammenbricht und Verluste auf breiter Front entstehen. Ein Ölpreis von 150 Dollar je Barrel wird einfach unrealistisch, wenn man mehr und mehr erkennt, dass die Lager voll sind und die Produktion auf vollen Touren läuft, wie das etwa in den Jahren nach der Finanzkrise war. Eine sterbende Hausse aber bedeutet für die passiven Investoren wie die Indexfonds und die Money Manager, die long gegangen sind in der Erwartung weiter steigender Preise, dass sie mehr und mehr Verluste einfahren und folglich aus dem Markt aussteigen. Das geschieht jetzt, weil einfach zu viele konkrete Indikatoren existieren, die zeigen, dass der erwartete Superzyklus nicht eingetreten oder schon am Ende ist."

Dem ist nichts hinzuzufügen. Mit physischem Angebot und der konkreten Nachfrage nach Öl und nach Ölprodukten hat die jetzige Preisentwicklung praktisch nichts zu tun.

Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung von der Website flassberg-economics übernommen. Heiner Flassbeck will hier versuchen, "der Volkswirtschaftslehre eine rationalere Grundlage zu geben".