Griechenland läutet eine neue Krise ein

Die Rückkehr der Euro-Virus-Epidemie

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Premierminister Antonis Samaras hatte seit Monaten bei jeder Gelegenheit betont, dass seine Regierung Griechenland aus den Klauen des IWF befreien würde. Er war so sehr vom Gelingen seines Unterfangens überzeugt, dass er die betreffenden Elemente seiner Rede sowohl bei der 40-Jahres-Feier seiner Partei, der Nea Dimokratia, am 4. Oktober, als auch am 10. Oktober im Parlament gleich lautend vortrug. In den frühen Morgenstunden des 11. Oktobers bekam Samaras das von ihm beantragte Vertrauensvotum. Am nächsten Tag feierte Athen den siebzigsten Jahrestag der Befreiung von der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Seitdem hagelt es Hiobsbotschaften für Samaras. Für die Eurozone wird damit die Rückkehr der Krise eingeläutet. Gründe fürs Scheitern sind weniger in den immer wieder erwähnten ausländischen Verschwörungen zu suchen. Vielmehr wird immer offensichtlicher, wie amateurhaft die griechische Politik in allen Gebieten agiert.

Athen den siebzigsten Jahrestag der Befreiung von der deutschen Besatzung. Bild: W. Aswestopoulos

Für die griechischen Banken gab es bereits eine weitere Finanzspritze für die Aufrechterhaltung der Liquidität. Aus dem Austritt aus dem Rettungsschirm wird nichts. Vielmehr verdichten sich die Zeichen für ein weiteres Rettungspaket.

Die Athener Börse sackte bis Mittwoch sogar um 10 Prozent ab. Nur noch 888 Punkte betrug der Börsenindex am Mittwoch - Tendenz stark sinkend. Gleichzeitig schossen die Zinsen für griechische Staatsanleihen in die Höhe. Bloomberg berichtete in einem dramatischen Artikel davon, dass nunmehr knapp neun Prozent Zinsen für griechische Anleihen fällig sind. Die griechischen Kapriolen haben Spanien und Frankreich bereits erschüttert.

Antonis Samaras feiert vierzig Jahre Nea Dimokratia. Bild: W. Aswestopoulos

Auch die Regierungsparteien zeichnen sich durch schlechte Zahlungsmoral aus

Wie ernst es um die griechischen Finanzen steht, das zeigt eine Meldung, die eigentlich in Klatschspalten Platz finden müsste. Der amtierende Innenminister der Nea Dimokratia, Argyris Ntinopoulos, ist gelernter Journalist. Als solcher hat er laut Lebenslauf für Griechenlands renommierteste Medien gearbeitet. 2002 zog es ihn in die Politik. Er wurde hauptamtlicher Bürgermeister des relativ reichen Athener Vororts Vrilissia. Seit 2007 ist er für die Nea Dimokratia im griechischen Parlament.

Parlamentarier verdienen nicht schlecht. In Griechenland kommen zur Grunddiät von 7.500 Euro noch einige Boni hinzu. Telefonrechnungen zahlen die Volksvertreter ebenso wenig wie Flugtickets, Straßenmaut und weitere Ausgaben der Normalsterblichen. Ntinopoulos müsste eigentlich genug Geld haben, um seine Verpflichtungen zu zahlen. Eigentlich - denn in der Praxis zeigt sich, dass der Minister seiner Sozialversicherungskammer seit 2008 die Beiträge schuldet. Damals hatte er sich als amtierender Abgeordneter mit einem Antrag auf die niedrigste Versicherungsstufe einer ruhenden Versicherung einstufen lassen. Mittlerweile haben sich so 5.500 Euro Schulden angehäuft. Im Dezember 2013 beantragte Ntinopoulos zudem die Einstufung seiner Beitragspflicht auf das Niveau der mittellosen Arbeitslosen, 43 Euro pro Monat. Der Minister zeigt keinerlei Anstalten, seine Schuld abzutragen. Frech beantragt er nun, dass ihm die Zahlungspflicht auf 48 zinslose Raten festgesetzt werden soll.

Es dürfte klar sein, dass der Minister zahlen könnte, wenn er nur wollte. Das Beispiel zeigt weniger die Verarmung der führenden Kaste des Landes, sondern vielmehr die Grundeinstellung. Die beiden Koalitionspartner Nea Dimokratia und PASOK beschlossen am Donnerstag im Parlament, dass ein Teil ihrer staatlichen Parteienfinanzierung vor jeder Art Pfändung geschützt wird. Beide Parteien gehören zu den größten Schuldnern der einheimischen Banken. Mehr als 240 Millionen Euro Bankschulden, seit Monaten unbezahlte Gehälter und Sozialversicherungen für die Angestellten und teilweise seit Jahren unbezahlte Büromieten sind nicht unbedingt eine Empfehlung für die Tätigkeit als Sanierer eines bankrotten Staats. Schließlich müssen für die erforderlichen Gelder für Rettung eingetrieben werden.

Parlament in Athen. Bild: W. Aswestopoulos

Für die bereits erwähnten Normalsterblichen gelten daher auch andere Regeln. Theoretisch sind 1.500 Euro für jeden Bürger unpfändbar. Theoretisch - denn einem 35-jährigen Familienvater wurden gerade die letzten 300 Euro weggenommen. Er hatte sein betreffendes Bankkonto beim Finanzamt registrieren lassen, so dass für dieses Konto die 1.500 Euro Regel gelten müsste. Zu seinem Pech hatte das Finanzministerium in irgendeiner Parlamentssitzung im Gesetz vermerken lassen, dass die Pfändungssicherung neu beantragt werden muss, wenn sich der Status des Antragstellers ändert. Der Mann war wegen der prekären Arbeitsmarktlage als Tagelöhner tätig gewesen. In den letzten Jahren konnte er keinen Job mehr kriegen. Im Februar gab er auf und meldete sich arbeitslos. Das änderte seinen Status und machte das Konto für den Fiskus pfändbar. Als die in einer anderen Stadt wohnende Mutter des Unglücklichen diesem die besagten 300 Euro überwies, meldete die Bank dem Staat die Existenz von Kapital.

Kurzum, das Geld war schneller weg, als es überwiesen wurde, und der Mann konnte im wahrsten Sinn des Wortes die Milch seines anderthalb Jahre alten Sprösslings nicht mehr zahlen. Er marschierte samt Sohn ins Finanzamt auf Rhodos und drohte, dieses ohne Kind wieder zu verlassen. Zwecks Abwendung des Hungertods des Kinds sollte dieses im Amt als Pfand zurückbleiben.

Im Finanzamt sah man schnell ein, dass der Mann allein aus Gründen der Logik eigentlich Recht mit seiner Beschwerde hatte. Das Konto wurde erneut als für den Freibetrag nicht pfändbar eingestuft. Geld bekam der Familienvater trotzdem nicht. Im gleichen Zusammenhang wurde bekannt, dass 5.800 Bewohner der Insel Rhodos dem Staat 360 Millionen Euro schulden. Der größte Teil davon betrifft Sozialversicherungsabgaben. Die Journalisten der Insel fanden heraus, dass das Finanzamt keine Hand anlegt, wenn Geld ins Ausland überwiesen wird. Sie waren eher nicht erstaunt, dass unter den auf der Insel befindlichen Schuldnern des Staates auch solche sind, die große Summen ins Ausland schafften. Die Rede ist von 30 Millionen Euro, welche am Fiskus vorbei auf ausländische Konten und damit in die absolute Pfändungssicherheit flossen.

Näher an die Akropolis kamen sie nicht - Amal Clooney, Geoffrey Robertson und Gefolge. Bild: W. Aswestopoulos

Shakespeare statt Hollywood…

.. oder "viel Lärm um Nichts". Damit könnte der Besuch Amal Clooneys in Athen beschrieben werden. Die frisch mit dem Frauenschwarm George Clooney vermählte Rechtsanwältin wurde bereits 2011 vom ehemaligen Premier Giorgos Papandreou ins Land geholt. Offiziell arbeitet sie ehrenamtlich, bekommt jedoch ihre Reisekosten ersetzt.

Die gebürtige Frau Alamuddin, die eigentlich nur Assistentin der sehr erfahrenen Anwälte Geoffrey Robertson und Norman Palmer ist, hatte der griechischen Regierung im Kampf um die Rückgabe der im britischen Museum ausgestellten Parthenon-Skulpturen den Rechtsweg angeraten. Zusammen mit ihren Anwaltskollegen hielt sie sich von Montag und bis Donnerstagvormittag in Athen auf.

Der Streit um die ausgerechnet in Griechenland "Elgin-marbles" genannten Teile der Akropolis ist älter als der griechische Staat selbst. Darüber hinaus ist Frau Clooney nicht die erste Person mit Hollywood-Touch, die sich für die Rückgabe einsetzt. Mehr als drei Jahrzehnte zuvor hatten dies bereits die Schauspielerin Melina Mercouri und der Regisseur Jules Dassin in Angriff genommen.

Aktuell passte die Geschichte um die Raubkunst in Griechenlands PR-Konzept für den Tourismus. Die Anwälte wurden von einer hundertköpfigen Presseschar verfolgt durch die City gefahren. Tourismusministerin Olga Kefalogianni traf sich ebenso mit ihnen wie Kulturminister Konstantinos Tasoulas. Wie wichtig zeigte sich daran, dass Premier Samaras persönlich Frau Clooney samt ihrer Kollegen empfangen hat. In keinem griechischen Medium wurde herausgestellt, dass die Kollegen der attraktiven Dame eigentlich eine höhere Fachkompetenz haben. Die Medienpräsenz der Clooneys überlagerte sogar das finanzpolitische Fiasko der Regierung. Kommentatoren lästerten, dass buchstäblich jede Entleerung von Verdauungsgasen von Frau Clooney medial erwähnt wurde. Die unter dem Presserummel sichtlich leidenden Anwälte machten gute Miene zum bösen Spiel.

Die Justizexperten stellten klar, dass die Einzigartigkeit des Gesamtkunstwerks "Akropolis" mehr als eine Garantie für einen erfolgreichen Klageweg sei. Premier Samaras möchte aber nun doch davon nichts mehr wissen. Er fürchtet sich davor, die Briten zu verärgern. Er versucht lieber den Bettelweg über die Unesco. Damit sind die ebenfalls wegen der internationalen Präsenz etwas verärgerten, weil sich zurückgestuft fühlenden einheimischen Anwaltskammern immer noch nicht wirklich besänftigt.

Das einzige Fazit der drei Clooney-Tage ist, dass sich jeder graumelierte Politiker wie der Hollywood-Star fühlt. Er sehe doch aus wie Clooney, meinte der schnauzbärtige Abgeordnete Michalis Tamilos. Sie sei vollkommen sein Typ, sagte der zerknautschte Bürgermeister von Thessaloniki, der bekannte Weinproduzent Yannis Boutaris. Die drei Tage mit Frau Clooney geben ordentlich Stoff für Geschichten für die Presse. Dem Land selbst brachten sie jedoch kaum etwas, nicht einmal den eigentlich einfach zur erlangenden Werbeeffekt.

Frau Cloney im Akropolis-Museum. Bild: pool/aswestopoulos/eurokinissi

Am Lustigsten ist, dass Frau Clooney, die für den Parthenon kämpft, selbst nicht zur Akropolis ging. Sie habe kein Paar der vorgeschriebenen flachen Schuhe mit sich, hieß es zur Entschuldigung. Die Akropolis darf nicht mit den in der Damenwelt beliebten, einige Zentimeter hohen Pfennigabsätzen betreten werden. Zudem ist der Aufstieg auf den Akropolis-Hügel recht mühsam. Die Anwälte und Frau Clooney speisen denn auch lieber in den oberen Stockwerken des neuen Akropolis-Museums, statt diese selbst zu besuchen.

Entweder vergaßen die griechischen Organisatoren angesichts der stets lächelnden Amal Clooney den Parthenon oder sie haben schlicht nicht begriffen, dass ein Bild der Dame mit dem Jungfrauentempel die beste Tourismuswerbung gewesen wäre. Man hätte Clooney mit der Weihstätte der jungfräulichen Göttin Athene sehr oft ablichten können. Ob beim Eingang des Akropolismuseums, welches am Fuß der Akropolis liegt oder in den oberen Stockwerken des Museums bei der Führung. Mehrfach darauf angesprochen meinten die griechischen Organisatoren nur "jetzt nicht". Später war es dann schlicht zu spät.

Wie steht es mit dem Dschihad?

Wenn es bei relativ einfachen Themen wie der Akropolis mit der Organisation hakt, wie sieht es dann erst mit komplizierten Zusammenhängen aus? Schließlich ist Griechenland offiziell eines der Zielgebiete der Terrororganisation IS. Sie verbreitet Karten, in denen Hellas zum islamischen Staat gehört. Griechische Medien berichten von 100 IS-Kämpfern in Athen. In Larissa soll sich ein IS-Krieger albanischer Herkunft in einem privaten Hospital befinden. Dass Griechenland zumindest Transitland der IS-Kandidaten ist, belegen Berichte auch der deutschen Presse. Die schwarze ISIS-Flagge tauchte bis vor kurzem bei vielen Demonstrationen von Arabern in Athen auf.

Griechenland engagiert sich tatkräftig im Kampf gegen den islamistischen Terror. Trotz eklatanter Finanzschwäche werden Munition und Waffen an die Widerständler gegen den islamischen Staat geschickt. Auch über fremde Geheimdienste wurde den griechischen Offiziellen gesteckt, dass Kämpfer der ISIS in Athener Moscheen rekrutiert werden. Bei den rechtlosen, illegal eingewanderten Asylsuchenden aus islamischen Staaten haben die Werber ein leichtes Spiel. Mit geringen Kapitalmitteln helfen sie den oft Hunger leidenden, ihren europäischen (Alb-)Traum zu beenden.

Der griechische Staat ist finanziell weder in der Lage, die Immigranten und Asylsuchenden den internationalen Standards gemäß zu versorgen, noch die zahlreichen illegalen Moscheen zu kontrollieren. In der allgemeinen Hysterie, die beim Thema Islam in ganz Europa zu herrschen scheint, wehren sich zahlreiche Parteien gegen den Bau und Betrieb einer legalen Moschee in Athen. Besonnene Zeitgenossen nehmen die oft überzogenen und kontraproduktiven Reaktionen auf Islam und IS satirisch aufs Korn. Es stimmt allerdings wenig optimistisch, dass die Satire als solche gekennzeichnet werden muss.