Hungerwinter für syrische Flüchtlinge...

US-AußenministerJohn Kerry blickt aus dem Flugzeug auf ein Lager syrischer Flüchtlinge in Jordanien. Bild: State Department; gemeinfrei

...und der Krieg gegen den "Islamischen Staat" als Goldgrube für die Rüstungsindustrie

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Für die Rüstungsindustrie ist der Krieg gegen den "Islamischen Staat" der "perfekte Krieg", berichtet heute die FAZ, die Auftragsbücher sind gefüllt, die Aktienkurse steigen und, was auf lange Frist zählt: Der Trend zur Reduzierung des Verteidigungshaushalts, der sich in den letzten Jahren in einigen Industrieländern durchgesetzt hatte, ist gestoppt, jetzt geht es wieder in die umgekehrte Richtung. Die Kriegsgegner haben es schwer.

In Frankreich vertritt der ehemalige Premierminister (2005 bis 2007 unter Jacques Chirac) Dominique de Villepin eine Position ein, die von Gegnern als "selbstbezogener, eitler Pazifismus" bezeichnet wird. Villepin plädierte Ende September gegen die selbstmörderischen Kriege, die dem Westen jedesmal als einzige oder prioritäre Lösung einfallen, um den Terrorismus zu besiegen.

Dabei müssten doch gerade die Kriege in Afghanistan und im Irak lehren, dass der Krieg gegen Guerillas "hoffnungslos" sei. Selbst wenn der Gegner, wie bei der aktuellen US-geführten Operation Inherent Resolve der IS, "ausgelöscht" sei, würden an seiner Stelle später neue Terrormilizen mit radikalen Programmen auftauchen.

Zwar sieht auch Villepin die Notwendigkeit gezielter Militärschläge. Weil der IS an seiner Ausdehnung gehindert werden muss. An diesem Punkt gebe es keinen politischen Spielraum, bestätigen auch Aussagen von Olivier Roy, dem Spezialisten für den globalen, radikalisierten politischen Islam: Der IS verfolge kein Projekt, das einen territorial präzis konturierten Staat aufbauen will:

Sein Projekt ist die Ausweitung. Aus der Perspektive des IS gibt es nichts zu verhandeln.

Ein lupenreiner Pazifist ist Villepin nicht; er lehnt ab, wovon er glaubt, dass es die Logik auch des aktuellen Militäreinsatzes bestimmt, die "Formel der Blinden": Krieg oder nichts. Die Politik müsse das Primat haben, lässt sich sein Appell auf der ideellen Ebene zusammenfassen: mehr Dialog, mehr Einbindung lokaler politischer Gruppen...Hehre Prinzipien, aber wie umsetzen? Wird Villepin bei seinen Konfliktlösungsvorschlägen konkreter, wird es sofort schwierig, wie etwa seine Befürwortung der No-Fly-Zone in Libyen zeigt. Das Ergebnis drei Jahre später, nachdem die UN mittels Schutzzone ein Massaker in Bengasi verhindern wollte, ist nicht überzeugend: Fortwährender Kriegszustand in Bengasi.

Einer der Hauptgründe für das Milizenchaos in Libyen ist aber tatsächlich die politische Kurzsichtigkeit der damaligen Interventionsmächte, USA, Frankreich, Großbritannien und ihrer arabischen Verbündeten wie die Vereinigten arabischen Emirate, die auch beim Krieg gegen den IS wieder mit von der Partie sind und wieder zeigt sich das Fehlen einer politischen Idee oder auch nur einer Diskussion darüber, wie eine bessere Zukunft in den Kerngebieten des Nahen Ostens aussehen soll.

Wie haarsträubend blind der Kriegseifer gegenüber der Wirklichkeit der Verhältnisse agiert, in denen die Bevölkerung lebt, ist an der Situation der Flüchtlinge in Syrien konkret und auf frappierend einfache Art abzulesen.

Einerseits gibt es offensichtlich wenig Hindernisse, hohe Summen für den Militäreinsatz locker zu machen: Allein in den USA werden die jährlichen Kosten - bei "Luftangriffen niedriger Intensität" - auf zwischen 2,4 und 3,8 Milliarden Dollar jährlich geschätzt, wahrscheinlich Zahlen, die später nach oben korrigiert werden müssen. Andererseits fehlt den Hilfsorganisationen wie dem Welternährungsprogramm WFP in etwa der "Monatsbeitrag" der Kriegskosten, c.a. 320 Millionen Dollar, um die Flüchtlinge aus Syrien und innerhalb Syriens durch den Winter zu bringen. Sämtliche Ernährungs-und Schutzprogramme sind deutlich gekürzt worden (Syrien: Die nächste heillose Einmischung?).

Die Geber seien müde, beklagt die Organisation. Nachzulesen ist das im Einzelnen bei Aron Lund, einem schwedischen Journalisten, der sich als Spezialist für die Opposition der islamistischen, radikalen Gruppen gegen Baschar al Assad einen Namen gemacht hat. In seinem jüngsten Artikel verweist Lund darauf, dass das politische Klima in den Nachbarländern, die Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen, wie beispielsweise die Türkei oder der Libanon, durch die ausbleibende humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge empfänglich wird für Radikalisierung und die Propaganda radikaler Gruppierungen. Der IS profitiere davon.

Es sei ein Frage der Prioritäten, die sich der Anti-IS-Allianz stelle, so Lund. Es zeige sich das ewige Paradox der internationalen Politik:

Es gibt nie genügend finanzielle Mittel, um sie für humanitäre Projekte auszugeben, die einen sozialen Zusammenbruch verhindern, aber es sind immer genug Mittel da, um eine militärische Reaktion zu finanzieren, wenn Gewalt unausweichlich wird.