Streubomben und Hinrichtungen in der Ostukraine

HRW wirft Kiew den Einsatz von Streuraketen vor; Amnesty beschuldigt Separatisten und ukrainische Streitkräfte, Hinrichtungen ausgeführt zu haben

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Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat in einem am Montag vorgestellten Bericht sowohl den Milizen der Separatisten als auch den ukrainischen Streitkräften die Ermordung und Exekution von Menschen vorgeworfen. Massengräber, wie dies in russischen Medien behauptet wurde, habe man aber nicht gefunden. Auf der pro-ukrainischen Seite wird vor allem die Dnipro-1-Miliz bezichtigt, Hinrichtungen ausgeführt zu haben. Human Rights Watch wirft nun den ukrainischen Streitkräften vor, Anfang Oktober Streumunition in Wohngebieten von Donezk eingesetzt zu haben. Separatisten hatten dies bereits berichtet, aber den Meldungen wurde keine Aufmerksamkeit geschenkt, vermutlich sah man diese als Teil des Medien- und Propagandakriegs an, in denen beide Seiten mit Falschmeldungen nicht hintanstehen.

Der Einsatz von Streumunition ist nach der Konvention zur Ächtung der Produktion, Lagerung und Verwendung von Streumunition (2008) verboten, allerdings haben viele Staaten wie die USA, China und Russland die Konvention nicht unterzeichnet, auch die Ukraine ist der Konvention nicht beigetreten.

Die ukrainische Regierung hat immer abgestritten, Wohngebiete zu beschießen, sondern stets die Separatisten beschuldigt, dass diese dafür verantwortlich seien. Die Separatisten bezichtigen hingegen die ukrainischen Streitkräfte. Beide Parteien verwenden Grad-Raketenwerfer, mit denen sich nicht genau zielen lässt, um Stellungen der jeweils anderen zu beschießen. Human Rights Watch hat - wie auch Amnesty -in einem Bericht Ende Juli belegt, dass auch die ukrainischen Streitkräfte Wohngebiete in Donezk beschossen haben. Untersucht wurden vier Vorfälle im Juli, bei denen 16 Zivilisten getötet und zahlreiche verletzt wurden. Auch in Luhansk feuerten die ukrainischen Streitkräfte in Wohngebiete.

Nach HRW wird dabei zwar versucht, gegnerische Stellungen zu treffen, die sich wie im Fall der Separatisten oft in Wohngebieten befinden, da mit den Raketenwerfern aber nicht gezielt gefeuert werden kann, werden Opfer unter Zivilisten und die Zerstörung von zivilen Gebäuden und Infrastruktur als Kollateralschäden akzeptiert. Die Menschenrechtsorganisation beschuldigte beide Seiten, Kriegsverbrechen aufgrund des Einsatzes der Mehrfachraketenwerfer auf Wohngebiete und die Nutzung von diesen als militärische Objekte begangen zu haben.

Während Russland der direkten und indirekten Unterstützung der Separatisten angeklagt wird, denen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen von Verschleppungen und Zwangsarbeit über Folter bis hin zu Morden vorgeworfen werden, forderte HRW nicht nur die ukrainische Regierung auf, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und zu verfolgen, sondern auch die US-Regierung, entsprechenden Druck auf diese auszuüben. Das ist bislang zumindest öffentlich nicht geschehen, auch die westlichen Unterstützer der Ukraine haben sich zurückgehalten und lieber stets mit dem Finger auf die Separatisten und Russland gezeigt.

HRW hat während einer Woche Anfang Oktober - vier Wochen nach Unterzeichnung des Waffenstillstands - an 12 Orten, an denen Kämpfe stattfanden, beobachtet, dass der Einsatz von Streumunition weit verbreitet sei. Man habe viele der Angriffe nicht eindeutig einer Seite zuweisen können, aber es gebe hinreichende Indizien dafür, dass ukrainische Streitkräfte für mehrere Angriffe verantwortlich sind. Am 2. Oktober war ein Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes in Donezk bei einem Angriff getötet worden, bei dem ebenfalls Streumunition zum Einsatz gekommen war. Bei den insgesamt untersuchten 12 Angriffen wurden mindestens 6 Menschen getötet und Dutzende verletzt. Die Opferzahlen seien vermutlich höher, es konnte auch nicht immer die Todesursache geklärt werden, da gleichzeitig oft unterschiedliche Munition verwendet wurde.

HRW geht von mehreren Indizien davon aus, dass Streumunition von den ukrainischen Streitkräften Anfang Oktober für Angriffe auf das Zentrum von Donezk eingesetzt wurde. Dafür sprächen die Einschusslöcher, die zeigen, dass die Raketen aus Gebieten gekommen seien, die von Regierungstruppen kontrolliert werden. Zeugen hätten bestätigt, dass Raketen Richtung Donezk in der Zeit abgefeuert wurden, in denen die Stadt von Streuraketen getroffen wurde. Ein Reporter der New York Times, der ebenfalls über Streumunition in Donezk berichtet, hat mehrere Raketen gefunden, die kurz nach dem Abschuss zu Boden gingen und deutlich den Flugweg offenbarten. Es sei allerdings auch nicht auszuschließen, dass auch die Separatisten Streumunition eingesetzt haben, schlüssige Hinweise darauf für den untersuchten Zeitraum wurden nicht gefunden. So könnten Separatisten oder russische Soldaten im August im Dorf Starobesheve, das damals vermutlich von ukrainischen Streitkräften kontrolliert worden war, Streumunistion eingesetzt haben. Gefunden worden waren bei der HRW-Untersuchung Anfang Oktober Überreste von Streuraketen des Typs 220mm Uragan (Hurricane) und 300mm Smerch (Tornado).

Die ukrainische Regierung habe auf Anfragen nicht geantwortet. "Das Abfeuern von Streumunition in bewohnte Gebiete ist höchst unverantwortlich", so Mark Hiznay von HRW. "Wer solche Angriffe befiehlt, muss zur Rechenschaft gezogen werden. Um die Verpflichtung zum Schutz von Zivilisten zu demonstrieren, wäre es für die ukrainischen Behörden am besten, sofort zu versprechen, den Einsatz von Streumunition zu stoppen." Noch bleibt die ukrainische Regierung in der Haltung, nichts zuzugeben und immer den Gegner zu beschuldigen. Damit ist man lange Zeit gut gefahren.

Auch jetzt scheint man daran festhalten zu wollen. So sagte Andrej Lyssenko, der Sprecher des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrats, am Dienstag im Hinblick auf den HRW-Bericht: "Während der Antiterroroperation hat das ukrainische Militär keine international verbotenen Waffen und keine Streumunition eingesetzt." Offiziell erklärte er wieder einmal, offensichtlich falsch, dass das "ukrainische Militär keine Waffen gegen Wohngebiete" eingesetzt habe. Er verlangte von HRW die Vorlage eines "detaillierteren Berichts mit Fakten und Beweisen". Den Mitarbeitern der Menschenrechtsorganisation seien vermutlich "provokative Informationen" gegeben worden. Verantwortlich seien dafür die Separatisten. Er verwies, ohne selbst einen detaillierten Bericht zu geben, auf den Fund von angeblich vier Streuraketen am 13. Oktober im Dorf Jewnenijewka, die von Separatisten abgefeuert worden seien.