Westlich orientierte russische Medien in der Ukraine-Falle

Russische Medien mit westlicher Orientierung geraten zunehmend unter Druck. Der kritische Fernsehkanal "Doschd" könnte bald auf der Straße stehen. Moskau und Peking planen "elektronischen Nichtangriffspakt"

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Der letzte in Russland noch verbliebende Kreml-kritische Fernsehkanal Doschd (Regen) ist seit Monaten in Bedrängnis. Der Fernsehkanal, der seit vier Jahren in dem Büro-Komplex "Roter Oktober" - nicht weit vom Kreml - seinen Sitz hat, bekam Mitte Oktober von seinem Vermieter die Mitteilung, die angemieteten Räumlichkeiten müssten wegen Renovierungsarbeiten bis zum 15. November geräumt werden. Eigentlich war ein Umzug in andere Räume erst für den Januar geplant. Gerüchten zufolge wollte der Kreml-nahe Fernsehkanal LifeNews die Räumlichkeiten übernehmen.

Emblem des Fernsesenders Doschd

Der Direktor des Kreml-kritischen Senders "Radio Echo Moskau", Aleksej Wenediktow, bot dem in Not geraten Fernsehsender Doschd Räumlichkeiten an. Doch inzwischen hat sich die Lage wieder entspannt. Wie die Wirtschaftszeitung Wedomosti berichtete, hat sich der Fernsehkanal Doschd mit seinem Vermieter über einen späteren Auszugstermin geeinigt. Über die Situation von Doschd: "Es gibt keinen direkten Druck gegen uns": ein Gespräch mit Natalja Sindejewa, der Generaldirektorin des Kreml-kritischen Kabelkanals "Doschd".

Russisches Alternativ-Portal soll von Riga aus Leser gewinnen

Seit der Protestwelle auf dem Maidan in Kiew und dem dann folgenden Krieg um die Ost-Ukraine, ist der Kreml dünnhäutig geworden. Zwischen den Sendungen der staatlichen Fernsehkanäle und den Sendungen der liberalen Medien wie Radio Echo Moskau und Doschd klaffen Welten. Bei "Doschd" wird über russische Soldaten berichtet, die in der Ostukraine gefallen sind. In dem Kreml-kritischen Sender kommt auch schon mal ein Vertreter des ukrainischen "Rechten Sektors" zu Wort.

Bei den staatlichen Fernseh-Kanälen umgeht man das Thema der gefallenen russischen Soldaten. Nach offizieller Sprachregelung befinden sich russische Soldaten in der Ostukraine nicht in einem offiziellen Einsatz, sondern haben Urlaub genommen, um ihre "russischen Brüder" zu unterstützen. Die staatlichen russischen Fernsehsender berichten dagegen ausführlich über das Leiden der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine, die unter den Raketenangriffen der ukrainischen Armee auf Wohngebiete leidet.

Der Kabelsender "Doschd" geriet bereits im Februar ins Fadenkreuz des Kreml. Offenbar ganz bewusst griff der Kanal eine ideologische Grundfeste des russischen Staates an. Er fragte seine Zuschauer, ob sich die von der Hitler-Wehrmacht belagerte Stadt Leningrad im Zweiten Weltkrieg nicht hätte "ergeben müssen, um hunderttausende Menschenleben zu retten?"

Die Frage löste unter Veteranen und patriotisch gestimmten Menschen Empörung aus. Der Kreml forderte eine Entschuldigung. Die großen Kabelnetzwerkbetreiber stellten die Übertragung von Doschd ein, weshalb der Sender jetzt nur noch über Internet, Satellit und kleinere Kabelnetzwerkbetreiber zu sehen ist. Wegen Geschäftseinbußen musste Doschd die Hälfte seiner Mitarbeiter entlassen.

Der durch die Rote Armee errungene Sieg über Hitler-Deutschland ist in Russland immer noch das wichtigste generationsübergreifende Ereignis, welches nationale Identifikation stiftet. Deshalb wehrt sich der Kreml insbesondere seit der Orangenen Revolution in Kiew 2004 energisch gegen alle Versuche, die Rote Armee mit der Hitler-Wehrmacht gleichzusetzen - wie es in der Westukraine und den baltischen Republiken üblich ist.

Gründungstag der "Ukrainischen Aufständischen Armee" wurde ukrainischer Feiertag

Das Ringen um das Ansehen der Roten Armee ist keine Moskauer Marotte, sondern hat einen realen Grund. In den baltischen Staaten gibt es jährlich Kranzniederlegungen zu Ehren von estnischen und lettischen SS-Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg gegen die Rote Armee kämpften. Auch in Kiew und der Westukraine gibt es jedes Jahr Fackelzüge zu Ehren der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), die sich im Zweiten Weltkrieg an der Seite der Hitler-Wehrmacht an Massakern gegen Juden und Polen beteiligte.

Die Moskauer Besorgnis ist verständlich. Mitte Oktober hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko die UPA in den Rang einer staatsschützenden Kraft gehoben. Er verlegte den noch aus Sowjetzeiten stammenden "Feiertag der Schützer des Vaterlandes" vom 23. Februar auf den 14. Oktober. Eben am 14. Oktober wurde die "Ukrainische Aufstandsarmee" gegründet. Der neue Feiertag heißt jetzt "Tag der Schützer der Ukraine".

Russische alternative Website aus Riga

Im März verwarnte die Aufsichtsbehörde Roskomnadsor das Nachrichtenportal lenta.ru wegen der Veröffentlichung eines Interviews mit einem Führer des ukrainischen "Rechten Sektors". Kurze Zeit später kündigte Aleksandr Mamut, Milliardär und Besitzer des kritischen Internetportals lenta.ru, die Chefredakteurin der Internet-Plattform, Galina Timtschenko. Diese startete mit Kollegen von lenta.ru vor einigen Tagen vom Standort Riga aus das neue russischsprachige und Kreml-kritische Internetportal meduza.io. Wer die Geldgeber des neuen Projekts sind, wollte Timtschenko nicht verraten. Bis zu der Absetzung der Chefredakteurin gehörte Lenta.ru zu den fünf populärsten russischen Nachrichtenportalen im Internet.

Andere liberale Medien versuchen durch Anpassung an die neue patriotische Welle in Russland ihre Existenz zu sichern. Die von deutschen Medien in der Vergangenheit häufig zitierte Tageszeitung Kommersant - Besitzer ist der Milliardär Alischer Usmanow - ist deutlich weniger kritisch geworden.

Auch ausländische Medienhäuser wie der Axel Springer Verlag kommen in Russland jetzt unter Druck. Die Duma beschloss Ende September in dritter Lesung ein Gesetz, nach dem Ausländer nicht mehr als zwanzig Prozent - bisher 50 Prozent - an russischen Medien besitzen dürfen. Der "gegen Russland jetzt geführte Informationskrieg zwingt uns zu bestimmten Gesetzen", meinte einer der Gesetzesinitiatoren, der Abgeordnete der Liberaldemokratischen Partei, Wadim Dengin. Betroffen von dem neuen Gesetz ist unter anderem das von einem Axel-Springer-Tochterunternehmen herausgegebene Magazin "Forbes Russland".

Putin-Gegner spricht in russischem Staatssender

Dass angesichts des Drucks auf Kreml-Kritiker ausgerechnet ein nach Schweden geflüchteter Putin-Gegner und Aktivist der Linken Front dem staatlichen russischen Fernsehkanal Rossija 24 ein Interview (ab Minute 5:51) geben konnte, hatte einen besonderen Grund.

Der nach Schweden geflüchtete Linksaktivist Aleksej Sachnin hatte die Ukraine bereist und war erschüttert nach Schweden zurückgekehrt. In einem Brief an seinen in einem Moskauer Gefängnis einsitzenden Genossen Aleksej Gaskarow schrieb Sachnin von den erschreckenden Erfolgen des Rechten Sektors unter ukrainischen Jugendlichen und von einer "faschistischen Gefahr" in der Ukraine. Für den Fernseh-Kanal Rossija 24 sollte der nach Schweden geflüchtete Links-Aktivist nun offenbar der Kronzeuge dafür sein, dass die Warnungen vor dem "Faschismus in der Ukraine" nicht übertrieben sind.

Moskau will sich gegen Störungen seines "Internetsegments" von außen rüsten

Nicht nur Fernsehen und Zeitungen stehen in diesen Monaten unter besonderer Beobachtung des Kreml. Auch das Internet wird verstärkt beobachtet. Allerdings geht es dem Kreml beim Internet vor allem um Abwehr von äußeren und nicht von inneren Gefahren, so zumindest die offiziellen Verlautbarungen (Cyberwar zwischen Russland und USA).

Ende September wurde bekannt, dass die russische Regierung an Plänen zum Schutze des russischen "Internetsegments" arbeitet. Im Zuge der vom Westen verhängten Sanktionen müsse man auch damit rechnen, "dass unsere verehrten Partner sich plötzlich entschließen, uns vom Internet abzuschalten", erklärte der russische Informationsminister Nikolai Nikiforow. Die Besorgnis, welche diese Meldung in der russischen Bevölkerung verursachte, versuchte Wladimir Putin auf einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates zu dämpfen.

Wir haben weder vor, den Zugang zum Netz zu beschränken noch es unter totale Kontrolle zu stellen, es zu verstaatlichen oder die legalen Interessen und Möglichkeiten von Bürgern, Organisationen und Business in der Informations-Sphäre einzuschränken - das wird nicht einmal erwogen.

Wladimir Putin

Putin sagte aber auch, es gehe darum, "künftig operativ Versuche zu verhindern, die Zuverlässigkeit des russischen Internetsegments zu stören". Im Juli dieses Jahres habe man behördenübergreifende "Trainingsmaßnahmen" durchgeführt, derartige Störungen zu unterbinden. Die Regierung arbeite an Maßnahmen, die "Souveränität (Russlands, U.H.) in dieser Sphäre sicherzustellen."

Kommunikationsminister Nikolaj Nikoforow teilte mit, man plane zusammen mit "Partnerländern" eine parallele Infrastruktur für das Internet aufzubauen. Das wichtigste Partnerland in dieser Hinsicht ist offenbar China. Wie der Moskauer Kommersant unter Berufung auf eine Quelle im Kreml berichtete, will Wladimir Putin am 10. November bei seinem Besuch in Peking mit China ein Abkommen "zur Informationssicherheit" unterzeichnen. Ein entsprechendes Abkommen der BRICS-Staaten könnte folgen, schreibt das Blatt. Ein erster "elektronischer Nichtangriffspakt" sei bereits 2013 zwischen den USA und Russland unterzeichnet worden.

Noch gibt es die westlichen Inseln

Trotz der patriotischen Welle, die Russland in den letzten Monaten erfasst hat: Die russische Medienlandschaft ist nicht so eintönig, wie viele in Europa es sich vorstellen. Es gibt immer noch eine ganze Reihe Kreml-kritischer Medien wie den Radio-Sender Echo Moskau (eine Million Hörer allein in der russischen Hauptstadt), den Fernsehkanal Doschd, die bekannte Wochenzeitung Novaya Gazeta (Auflage 280.000) und das Wochen-Magazin New Times (50.000).

Doch die zunehmend eisiger werdende Stimmung zwischen Russland und dem Westen schränkt den Spielraum der kritischen, westlich orientierten Medien in Russland deutlich ein. Man kann zwar noch senden und drucken aber für die westlich orientierten Medien wird es schwer, über die eigene Anhängerschaft hinaus Hörer und Leser zu gewinnen. Denn wer sich heute in Russland nicht vom Vorgehen der ukrainischen Armee in der Ostukraine abgrenzt, findet in der russischen Bevölkerung nicht immer Gehör.