"Religionskonflikte sind kein Thema"

Muslimische Glaubensgemeinschaften, die in Pakistan seit Jahrzehnten verfeindet sind, interessieren sich in Deutschland kaum füreinander

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In Pakistan kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen muslimischen Glaubensrichtungen. Auch in Deutschland leben mehrere zehntausend Anhänger der verfeindeten Parteien. Doch offene Konflikte gibt es kaum. Eine Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum versucht nun, eine Erklärung für die vermeintliche Toleranz im Ausland zu finden.

CMH Moschee in Jehlam, Pakistan. Bild: Theusmanhabib/CC-BY-SA-3.0

In Pakistan leben derzeit rund 170 Millionen Muslime, in absehbarer Zeit könnten es mehr als in Indonesien (200 Millionen) sein. Seit Einführung des "Blasphemie-Gesetzes" im Jahr 1986 haben Nicht-Muslime hier einen schweren Stand. Doch auch innerhalb der religiösen Mehrheit sind Anschläge und gewaltsame Auseinandersetzungen mittlerweile an der Tagesordnung - und das nicht nur wegen der Taliban und anderer Extremistengruppen.

1989 wurden in Pakistan 67 "konfessionelle Zwischenfälle" mit 18 Todesopfern gezählt, 2010 kamen bei 57 Anschlägen 509 Menschen ums Leben. Allein zwischen dem 1. Januar und dem 27. Oktober 2013 forderten 91 Attentate 443 Menschenleben.

Christophe Jaffrelot

Opfer von Gewalt, Übergriffen und gesellschaftlicher Ächtung sind nicht selten die Ahmadiyya. Die Mitglieder der im 19. Jahrhundert von Mirza Ghulam Ahmad gegründeten Glaubensgemeinschaft werden von den meisten anderen muslimischen Gruppen strikt abgelehnt. Diese befehden sich jedoch auch untereinander, allen voran Schiiten und Sunniten, die über die rechtmäßige Nachfolge des Propheten Mohammed streiten.

Sajida Fazal, Doktorandin am Centrum für religionswissenschaftliche Studien der Ruhr-Universität Bochum, will durch eine Interviewreihe herausfinden, ob und wie sich das Verhältnis der Glaubensgemeinschaften verändert, wenn ihre Mitglieder im Ausland leben. Sie hat bereits pakistanische Muslime in Bonn, Berlin, Stuttgart, Hamburg und Frankfurt befragt, Gespräche in München sollen noch folgen.

Ein bemerkenswertes Ergebnis war bereits die Schwierigkeit, überhaupt Gesprächspartner für ihr Forschungsthema zu finden. Weil Religion für pakistanische Muslime "ein extrem sensibles Thema" ist, wollten viele keine Angaben zu ihrer Religionszugehörigkeit machen. Ob insbesondere die sunnitischen Befragten sich einer bestimmten Untergruppe, den Barelvi, Deobandi oder Wahabi, zugehörig fühlten, war praktisch nicht zu ermitteln. Eine Ursache für diese Zurückhaltung sieht Fazal in der Sorge um die Akzeptanz in der neuen Heimat. Viele pakistanische Muslime, die in Deutschland leben, wollen auf keinen Fall mit Anschlägen und Terrorakten in Verbindung gebracht werden.

"Die Berichterstattung der internationalen Medien spielt in diesem Punkt eine wichtige Rolle", meint Sajida Fazal auf Nachfrage von Telepolis. "Die Migranten aus Pakistan haben oft den Eindruck, dass über Religionsausübung, gerade in unterentwickelten Ländern, ausschließlich negativ berichtet wird."

Unterschiedliches Interesse an den Nachbarn

Trotz der Zurückhaltung konnte Fazal Tendenzen ermitteln, die darauf hindeuten, dass die intrareligiösen Unterschiede in Deutschland noch genauso ausgeprägt sind wie in der pakistanischen Heimat. Kontakt zu den Ahmadiyya, deren Führungsstruktur und missionarischer Eifer übrigens nicht nur von Muslimen kritisch gesehen wird, lehnen in Deutschland lebende Sunniten und Schiiten so rigoros ab wie in Pakistan. Auch die jeweiligen religiösen Bräuche werden weiter verfolgt, obwohl die westliche Kultur offenbar eine gewisse Anziehungskraft auf junge Muslime ausübt. Nach einer Heirat und der Geburt von Kindern spielt der Glauben und die Verpflichtung Traditionen weiterzugeben, dann wieder eine größere Rolle.

In der neuen Heimat fehlt aber offenbar der starke Einfluss der Glaubensorganisationen, die in Pakistan das religiöse und oft auch das öffentliche Leben bestimmen. Außerdem haben die verschiedenen Gruppierungen in Deutschland keine Möglichkeit, überall ihre jeweils eigene Moschee zu unterhalten und gehen deshalb in dieselbe. Auch besondere religiöse Feste werden nach Einschätzung von Sajida Fazal friedlich und gemeinsam begangen.

Intrareligiöse Unterschiede würden in Deutschland kaum thematisiert: "Im täglichen Leben oder im Beruf spürt man davon nichts, Religionskonflikte sind dann einfach kein Thema. Differenzen kommen höchstens einmal bei informellen Treffen zur Sprache", sagt Fazal. Und ergänzt: "Wie sich die pakistanischen Muslime verhalten, hat aber auch mit ihrem Bildungshintergrund und sozialen Umfeld zu tun. Danach richten sie ihre Lebensweise aus."

Dass sich die Einstellung der hier lebenden Pakistani auf ihr Heimatland überträgt, ist derzeit kaum wahrscheinlich. Trotz des jüngsten Friedens-Nobelpreises, mit dem die junge Pakistanerin Malala Yousafzai für ihren Kampf um das Recht auf Bildung ausgezeichnet wurde. Fazal hofft aber, dass es einmal gelingen wird, Menschen, die jetzt noch in fundamentalistischen Positionen verharren, für mehr Toleranz zu begeistern. Es dürfe sich eben nicht jeder dafür verantwortlich fühlen, wie sein Nachbar den Islam lebe: "Ich kann nur mein eigenes Leben richtig leben."