Ukraine vor den Wahlen

Zu erwarten sind eine geringe Wahlbeteiligung, eine instabile Regierung und mit der Volksfront und der Radikalen Partei starke rechtsnationalistische Kräfte

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Am Sonntag finden in der Ukraine die vorgezogenen Parlamentswahlen statt, an denen sich aber die "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk nicht beteiligen. Ihre Führer haben beschlossen, im November eigene Wahlen abzuhalten, sie akzeptieren auch den politischen Sonderstatus nicht, den Kiew den "Volksrepubliken" gewähren will. Da auch die von Russland übernommene Krim nach der ukrainischen Verfassung weiterhin zur Ukraine gehört, werden im neuen Parlament einige Stühle leer bleiben. Zudem wird die Wahlbeteiligung nicht sehr hoch sein, was bereits die trotz Maidan weiter bestehende Unzufriedenheit mit den Politikern und Parteien belegt. Die Wahl soll auf jeden Fall zählen, auch bei einer sehr geringen Wahlbeteiligung, wie sie beispielsweise im Osten erwartet werden kann.

Sitzungssaal der Rada. Bild: gemeinfrei

Zu erwarten ist, dass die Wahlen das Land politisch keineswegs stabiler machen, wie dies von Präsident Poroschenko erhofft wurde, selbst wenn der Waffenstillstand hält und der Konflikt eingefroren wird. Zwar wird das Parlament dann endlich wieder demokratische Legitimität haben, aber nach allem, was sich aus Umfragen erkennen lässt, wird die Regierung eine Koalition von mehreren Parteien zusammenbringen müssen.

Nach der aktuellen Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie, die vom 9.-18. Oktober in den von Kiew kontrollierten Gebieten durchgeführt wurde, wollen voraussichtlich nur 54,6 Prozent teilnehmen, 20 Prozent lehnen die Teilnahme ab, 25 Prozent wissen es noch nicht. Das deckt sich mit den Ergebnissen einer vor kurzem veröffentlichten Umfrage, die Menschen sind zu Recht skeptisch und wissen nicht wirklich, mit wem sie es zu tun haben, zumal viele Politiker schon immer gerne von einer Partei zur anderen gewechselt haben. Die Partei der Regionen, die in der Ostukraine stark war, boykottiert die Wahl, die Kommunisten werden an der 5-Prozent-Hürde scheitern und sollen wegen Unterstützung der Separatisten eigentlich verboten werden. Russland hat erklärt, die Wahlen anzuerkennen.

Die Wahl wird das Land nicht stabiler machen

Die neue Partei des Präsidenten, der Block Poroschenko, dürfte am meisten Stimmen erhalten. Allerdings käme sie gerade einmal auf 16,5 Prozent bezogen auf alle Wahlberechtigten. Unter dieser Perspektive würde eine mögliche Regierungskoalition bestenfalls ein Drittel der Bürger repräsentieren. Würden tatsächlich nur die 54,6 Prozent an der Wahl teilnehmen, dann erhielte der Block Poroschenko nach dieser Umfrage 30,4 Prozent. Zweitstärkste Kraft wäre mit 12,9 Prozent die rechtsnationalistische, insgesamt schwer einzuschätzende und populistische Radikale Partei Oleg Lyashko, der u.a. wieder Atomwaffen für die Ukraine fordert, den Kampf gegen Russland propagiert, die freiwilligen Milizen feiert und die Reichen geißelt. Er lässt auch Videos verbreiten, auf denen er angebliche Separatisten, die Bewaffnete festhalten, schlägt, und er lehnt den Friedensplan Poroschenkos ab.

An dritter Stelle läge mit 10,8 Prozent die neu gegründete Partei Volksfront mit dem jetzigen Regierungschef Jazenjuk, in der sich auch weitere frühere Abgeordnete der Vaterlandspartei von Timoschenko sowie einige Rechte und Führer von Milizen befinden. An vierter Stelle rangiert die christliche Partei Samopomich, die erst im Dezember 2012 von Andrii Sadovyi, ehemals Mitglied von "Unsere Ukraine" und Bürgermeister von Lemberg, gegründet wurde. Timoschenkos geschrumpfte Vaterlandspartei würde auf 7,5 Prozent kommen. Der Oppositionsblock mit ehemaligen Vertretern der Partei der Regionen auf 5,9 und die erneut gegründete konservative Starke Ukraine des Oligarchen Serhiy Tihipko auf 5,6 Prozent. Mit der Fehlerwahrscheinlichkeit könnte es gut sein, dass letztere auch die 5-Prozent-Schranke nicht übersteigen werden.

Dank der Schranke werden vor allem die rechtsextremen und rechtsnationalistischen Parteien nicht ins Parlament einziehen. Swoboda würde nach der Umfrage auf 3,1 Prozent abstürzen, der Rechte Sektor käme auf 2 Prozent. Auch die Bürgerliche Position des Ex-Verteidigungsministers Anatolij Hryzenko bliebe mit 4,8 Prozent und die Kommunisten mit 4,1 Prozent außen vor.

Zur verbreiteten Skepsis gegenüber der politischen Kaste, die letztlich den Radikalen doch zugutekommen könnte, zumal wenn es wieder zu militärischen Auseinandersetzungen kommt und der Friedensprozess unterbrochen wird, trägt auch das Misstrauen gegenüber den Medien bei. Zwar wird immer nur auf die russischen Medien gezeigt, die eine "Gehirnwäsche" ausüben würden, aber auch die Menschen in der Ukraine trauen des ukrainischen Medien immer weniger, die ebenfalls höchst einseitig berichten.

Nach einer Umfrage trauen den Medien gerade noch 25 Prozent, 45 Prozent misstrauen ihnen. Das war vor einem Jahr, als noch Janukowitsch regierte, noch anders, wo den Medien nur 29 Prozent misstrauisch gegenüberstanden und ihnen immerhin 37 Prozent trauten. Allerdings gibt es erhebliche regionale Unterschiede. Im Westen der Ukraine sind nur 24 Prozent misstrauisch, im Zentrum schon 39 Prozent, im Süden 50 Prozent, im Osten 57 Prozent und im von Separatisten besetzten Donbass 68 Prozent.