Zelltherapie als Umsatzsicherung für Pharmakonzerne?

Neuartige Therapien sind ein Risiko für das traditionelle Geschäftsmodell der Pharmabranche

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Die medizinische Forschung hat in den vergangenen Jahren eine neue Art von Arzneimitteln hervorgebracht, die auf Gentherapie, somatischer Zelltherapie oder

biotechnologischer Gewebebearbeitung (Tissue-Engineering) basieren. Diese Entwicklung erfolgte zumeist in Kliniken nahe am jeweils betroffenen Patienten. Beteiligt sind in der Mehrzahl Einrichtungen, die nicht profitorientiert forschen und entwickeln. Die großen Pharmakonzerne sind in diesem sehr kleinteiligen patientennahen Bereich nur zu etwa 10 % beteiligt und suchen jetzt offensichtlich auf dem Weg über die EU-Kommission, den Markt für sich zu erobern.

Inzwischen scheint die medizinische Entwicklung im Bereich der neuen Therapieformen soweit vorangeschritten zu sein, dass individualisierte Zelltherapien immer häufiger erfolgreich sind und in der Konsequenz das klassische Geschäft der Pharmakonzerne mit standardisierten Produkten in bestimmten Bereichen wie der Krebstherapie beeinträchtigen könnten. In einem ersten Schritt hatte man in der EU einen gemeinsamen Rahmen für die Vermarktung der so genannten Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP) 2007 die Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien veröffentlicht.

Zum damaligen Zeitpunkt war die Entwicklung noch auf die zahlreichen forschenden Mediziner angewiesen und so gab es für Kliniken zahlreiche Ausnahmegenehmigungen, die eine schnellere Umsetzung der neuen Therapien und vor allem einen geringeren bürokratischen und finanziellen Aufwand erforderten, als dies mit der klassischen Zulassungsoption möglich wäre. Beim normalen Zulassungsverfahren, der "Genehmigung für das Inverkehrbringen", muss nach einer wissenschaftlichen Bewertung der Qualität, der Wirksamkeit und der Sicherheit ein Nachweis erbracht werden, dass die Vorteile der jeweiligen Arzneimittel ihre Risiken überwiegen. Diese Prozedur kann zehn Jahre dauern und führt in der Mehrzahl der Fälle nicht zu einer Zulassung.

Mit der ATMP-Verordnung wollte man einerseits ein hohes Gesundheitsschutzniveau gewährleisten und andererseits sollte der freie Verkehr von ATMP in der EU sichergestellt werden. Damit wollte man dafür sorgen, dass allen Patienten innerhalb der EU die gleichen standardisierten Therapien zur Verfügung stehen. Der Zulassungsantrag ist bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur einzureichen und die endgültige Entscheidung wird dann von der Kommission getroffen. Diesem Verfahren soll dafür sorgen, dass die Produkte von einem Fachgremium, dem Ausschuss für neuartige Therapien (CAT) geprüft werden und die Zulassung für alle EU-Mitgliedstaaten gilt.

Über den Hebel des Berichtes der Kommission vom 28.3.2014 an das Europäische Parlament und den Rat gemäß Artikel 25 der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 versucht man nun die patientennahen Therapien auszuhebeln, weil die derzeit geltenden Ausnahmebestimmungen, die Ärzten eine individuelle Einzelbehandlung mittels Zelltherapie ermöglichen, zu Wettbewerbsnachteilen für die Pharmakonzerne führen - denn diese müssen für ihre standardisierten Produkte das normale zeitraubende und kostenträchtige Zulassungsverfahren absolvieren.

Die ATMP-Verordnung hatte als neues Instrument das so genannte Zertifizierungsverfahren eingeführt, das als Anreiz für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) dienen sollte, die an den ersten Entwicklungsphasen von ATMP maßgeblich beteiligt waren, jedoch nicht über die finanziellen Mittel zur Durchführung umfassender klinischer Prüfungen verfügten. Mit der Bestätigung, dass die Qualität und die vorklinischen Aspekte der Entwicklung den einschlägigen ordnungsrechtlichen Anforderungen genügten, sollten die KMU in die Lage versetzt werden, sich Kapital zu beschaffen. Zudem wollte man die Übertragung von Forschungstätigkeiten an Einrichtungen erleichtern, die auch über Kapazitäten zur Vermarktung von Arzneimitteln verfügen. Mann wollte also den Forschern die Möglichkeit geben, ihre Forschungsergebnisse den Pharmakonzernen zur Vermarktung zu übertragen.

Auch heute noch werden die meisten Forschungsarbeiten zu neuartigen Therapien von kleinen Unternehmen und nicht gewinnorientierten Einrichtungen durchgeführt. Aufgrund der spezifischen Eigenschaften neuartiger Therapien erschwert beispielsweise die Variabilität des oft patientenspezifischen Ausgangsmaterials den Nachweis der Homogenität des Produkts. Zudem können die üblicherweise nur geringen Mengen und ihre kurze Haltbarkeit von wenigen Stunden oder wenigen Tagen umfangreiche Testläufe ausschließen. Außerdem lassen sich sogenannte randomisierte kontrollierte klinische Prüfungen nicht durchführen, wenn die Verabreichung des Arzneimittels einen chirurgischen Eingriff erfordert oder keine alternativen Behandlungen als Vergleich zur Verfügung stehen.

Im Bericht an die Kommission wird zudem erwähnt, die Entwicklung von ATMP werde dadurch behindert, dass die Forscher zumeist nicht über ausreichende Finanzmittel und Fachkenntnisse in Regulierungsfragen verfügten, um die Zulassungsverfahren zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Auf der anderen Seite würden Investoren durch die Unsicherheiten bezüglich der Rendite ihrer Investition abgeschreckt. Der wohl wichtigste Punkt scheint jedoch die Tatsache zu sein, dass sich die neuen Therapien dem Marktmodell der Pharmaindustrie entziehen.

So wurde für die Mehrzahl der als Arzneimittel eingestuften Produkte keine Zulassung beantragt, sondern ihr Einsatz erfolgte unter dem Schirm der Ausnahmeregelung für Krankenhäuser. Patienten können dabei in Krankenhäusern unter kontrollierten Bedingungen ATMP erhalten, wenn kein zugelassenes Arzneimittel verfügbar ist. Da mit der in der Praxis erfolgreichen Ausnahmeregelung für die Krankenhäuser und für die Pharmaindustrie das Risiko wächst, faktisch aus der Therapie bestimmter Gruppen von Erkrankungen herausgedrängt zu werden, will man jetzt offensichtlich die Reißleine ziehen und auf dem Weg über eine EU-Verordnung die individualisierte Gentherapie zugunsten standardisierter Arzneimittel aus dem Markt werfen.

Das entsprechende Reflection Paper der EMA deutet zumindest darauf hin. Hier tritt einer der grundsätzlichen Konflikte im Bereich von Medizin und Pharmaindustrie zutage: Einerseits die individuell angepasste Therapie für den Patienten und einer spezifischen Risikobewertung und andererseits die marktkonforme Standardisierung von Arzneimitteln.

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