"Der Teufel ist ein kristallklarer Theologe"

Le génie du mal. Skulptur von Guillaume Geefs aus dem Jahr 1848 in der Kathedrale von Lüttich. Bild: Lucifer Liège; Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die römische Weltkirche muss sich entscheiden zwischen Jesus und einem Zwangssystem des Wahrheitsbesitzes. Nachbetrachtungen zur jüngsten Bischofssynode

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Auf dem Globus explodiert die Gewalt an allen Enden. Die Politik der Mächtigen zeugt von einem vollständigen Wirklichkeitsverlust, auch wenn die Medien in ihrer Berichterstattung entlang einiger "ausgewählter" Themenschauplätze so tun, als ginge alles irgendwie noch rational vonstatten. Derweil stehen in der römisch-katholischen Weltkirche ganz oben auf der Tagesordnung Fragen, deren Klärung vor einem halben Jahrhundert versäumt bzw. sabotiert worden ist. Man debattiert etwa darüber, ob geschiedene Kirchenmitglieder nach einer erneuten Heirat weiterhin vom Abendmahl ausgeschlossen bleiben oder in welcher Tonart sich "die Kirche" zukünftig zur Homosexualität äußern soll. Angesichts solcher hausgemachten Problemlagen, Prioritäten und Dramatiken ist für Fernstehende klar, dass auch die verfasste Kirche, die sich als "Lehrerin des Erdkreises" versteht, an einem vollständigen Wirklichkeitsverlust leidet.

Aus binnenkirchlicher Perspektive stellen sich die Dinge freilich etwas anders dar. Die jüngste Bischofssynode in Rom sollte nach Jahrzehnten voller autoritärer Bevormundung und Denkverbote zeigen, dass wieder offen diskutiert werden kann. Nicht wenige erhofften sich, nach dem so verheißungsvollen letzten Konklave (Franziskus auf dem Stuhl Petri) werde es jetzt endlich auch spürbar zu Bewegungen und Veränderungen kommen. Hierfür haben sich einige Synodenväter, darunter namentlich auch Kardinäle aus dem deutschsprachigen Raum, redlich abgemüht.

Das heillos festgefahrene Lehrgebäude mit all seinen Ausweglosigkeiten sollte freilich unangetastet bleiben. Gedacht war an pastorales Wohlwollen und "Vorschläge zur Güte". Dieses Signal - immerhin - kam in einem Zwischenbericht auch zur Geltung.

Eine Sperrminderheit mit mächtigen Wortführern aus der Kurie sorgte dafür, dass davon - bezogen auf die zentralen Streitfragen - im Abschlussdokument rein gar nichts übrig blieb: Über die wiederverheirateten Geschiedenen wollen die unverheirateten Bischöfe noch weiter nachdenken. Für homosexuell Liebende bleibt die anmaßende, unverschämte und heuchlerische Mitleidsformel der Ratzinger-Ära in Kraft. Auch "Humanae vitae", im Leutemund "Pillenenzyklika" genannt, wird ausdrücklich zur Wiederentdeckung empfohlen.

An dieser Stelle konstatiert der kath. Publizist Ulrich Ruh resigniert, es sei "kein Ausweg aus der Sackgasse sichtbar".

Den Verlauf der Synode - samt Bruch nach der "Halbzeit" - kann man gut nachvollziehen anhand eines Blogs von Holger Dörnemann, dessen optimistische Schlussbewertung allerdings wenig angemessen erscheint. Der vertröstende Hinweis, die außerordentliche Synode sei ja jetzt erst mal nur ein erster Anlauf gewesen, ändert nichts am deprimierenden Ergebnis. Keine einzige Tür ist aufgestoßen worden.

Ohne fromme Revolte von unten wird sich nichts bewegen

Viele römisch-katholische Christen warten aber schon seit dem letzten Konzil darauf, dass sich die Hierarchie mit dem Leben leibhaftiger Menschen vertraut macht. Über Vergeblichkeiten dieses Zeitraums hat der Benediktiner Elmar Salmann am 12. Oktober 2014 zum Silbernen Priesterjubiläum des Bischofs von Essen gepredigt:

Seit Jahrzehnten flattern wir gegen die stets gleichen Fliegengitter, spielen Squash gegen unwirkliche Wände, die den Ball immer nur auf uns zurückwerfen. Immer noch meinen wir, uns zur Barmherzigkeit mit den von uns so genannten Gescheiterten durchringen zu müssen, dabei wäre es wohl an der Zeit, um Nachsicht und Aufmerksamkeit bei den Menschen zu ersuchen. Erst dann wären wir frei, die Glaubens- und Lebenslandschaften neu zu entdecken und zu durchstreifen, verlören wir die Sprach- und Atemlosigkeit.

Prof. Elmar Salmann OSB

Nicht nur um Nachsicht, sondern auch um Erbarmen hätte heute der Klerikerstand nachzusuchen. Die Geschichte des durch Höllenprediger verwundeten und gefolterten Eros wird man nicht mehr unterschlagen können. Die Alten wissen noch - mit Trauer und Zorn - von immerwährender Angst zu erzählen. Die Schatten der sexualisierten Gewalt haben in unseren Tagen die Entkirchlichung ganzer Landschaften und Länder in einem Maße beschleunigt, das den letzten Vertretern der alten Milieus jegliche Möglichkeit des Begreifens nimmt.

Unsere Priester sind nicht Priester, weil wir Katholiken sie für Halb- oder Viertelgötter halten. Sie sind Priester, weil wir ihnen als Gemeinde Jesu die wunderbare Gabe zutrauen, Menschen - in Tuchfühlung mit der Güte Gottes - Gutes zuzusagen (bene dicere). Wenn es sich erweist, dass sie diese Gabe aufgrund ihrer Verschlossenheit gegenüber der eigenen Bedürftigkeit nicht entfalten können, wird die Kirche der Menschen Ausschau halten nach neuen Segensräumen und Segensgaben. Die jüngste Synode der römisch-katholischen Weltkirche hat es leider nicht vermocht, von der möglichen Schönheit des Priestertums ein bedeutsames Zeugnis abzulegen.

Franziskus, Bischof von Rom, möchte Neues. Doch er will und kann hierzu nicht das unselige Instrumentarium von 1870 - d.h. päpstliche Allgewalt und "Unfehlbarkeit" - hervorholen. So steckt Franziskus augenblicklich in einem Dilemma, das sich einem autoritären und auf Zementierung der alten Bastionen bedachten Kirchenoberhaupt nicht stellen würde.

Man könnte die Dinge aber auch anders sehen: Wo bleibt der Segen des Kirchenvolkes, um den Franziskus nach seiner Erwählung gebeten hat? Wo bleibt der kreative Ungehorsam an der Basis, ohne den das dramatische Verschwinden der nahen Ortsgemeinden wohl kaum aufgehalten werden kann? Wo bleibt der weltweite Zusammenschluss bzw. Aufruf von hunderten Diözesanbischöfen, die auch verheiratete Priester in der Seelsorge arbeiten lassen wollen?

Wo bleibt das prophetische Engagement der liberalen Kardinäle Europas wider den globalen Kriegsapparat und den mörderischen Kapitalismus, ein Engagement, das den Vorwurf widerlegen würde, es ginge ihnen nur um bürgerliche Reformen für die Kirche der Satten? Wo bleiben auch die Theologen, die in der gegenwärtigen - möglicherweise sehr begrenzten - Zeit des freien Atmens endlich alle Maulkörbe ablegen und sich auf den Weg machen zu einer Theologie für das dritte Jahrtausend?

Viele haben sich in der Heiterkeit eines neuen Pontifikats gesonnt und setzten gar auf ein neues Konzil von oben. Ohne eine fromme Revolte von unten wird sich jedoch nichts bewegen im römischen Kirchenschiff.