Putin präsentiert den USA Sündenkatalog

Wenn die Welt sicherer werden wolle, müsse sie sich in regionalen Zentren organisieren, denn das weltbeherrschende Machtzentrum USA sei "wie eine Diktatur"

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Russische Fernsehsender kündigten gestern eine zweite "Münchener Rede" von Wladimir Putin an. Und tatsächlich ähnelte die Rede, welche der russische Präsident am Freitag auf dem Waldai-Forum - einer Zusammenkunft von Politologen, Historikern und Experten - in Sotschi hielt, derjenigen, mit welcher der russische Präsident 2007 auf der Sicherheitskonferenz in München Schlagzeilen machte. Wieder war es eine Anklage gegen die USA und die monopolare Weltordnung, mit einem Machtzentrum.

Doch die Rede auf dem Waldai-Forum war um vieles schärfer als die Rede von 2007. Die Vorwürfe gegen die USA waren zahlreicher und grundsätzlicher. Nur mit einer scharfen Analyse ohne diplomatische Floskeln - so erklärte Putin seinem Publikum - sei es möglich herauszufinden, warum die Welt unsicherer geworden sei.

"Kontrolliertes Chaos" zwischen Zentralasien und Libyen

In München hat Putin von der Destabilisierung der internationalen Beziehungen gesprochen und die Nato-Osterweiterung scharf kritisiert. In Sotschi machte der russische Präsident die USA und ihre Verbündeten für den Zusammenbruch von Staaten im islamischen Raum, das Entstehen von mächtigen islamistischen Militärverbänden und Terrorgruppen zwischen Zentralasien, Syrien und Libyen und für das Entstehen einer Zone des "kontrollierten Chaos" verantwortlich.

Die Außenamtssprecher der USA, Jen Psaki, wies die Kritik von Putin zurück: "Die Vereinigten Staaten suchen keine Konfrontation mit Russland." Man werde aber nicht von seinen Prinzipien abrücken, erklärte die US-Außenamtssprecherin.

Erst zum Ende seiner Rede wurde Putin etwas versöhnlicher und mahnte eine "Wiederbelebung" der internationalen und regionalen Institutionen an, denn eine monopolare Welt mit dem Machtzentrum USA sei nicht in der Lage die Probleme der Welt "effektiv zu lösen". Der russische Präsident sprach sich außerdem für den Aufbau regionaler Zentren aus. Davor brauche man "keine Angst zu haben". Die Kooperation dieser Zentren werde die Sicherheit auf der Welt fördern. Russland selbst werde weiter am Aufbau der Eurasischen Wirtschaftsunion, der Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit und dem Staatenbund BRICS arbeiten.

Der Begriff "nationale Souveränität" sei für "die Mehrzahl der Staaten ein verhältnismäßiger Begriff geworden", meinte der Kreml-Chef. Heute gelte "die Formel" "je stärker die Loyalität gegenüber dem einzigen Zentrum mit Einfluss in der Welt [damit war die USA gemeint - U.H.] desto größer ist die Legitimität dieses oder jenes herrschenden Regimes." Bei aller Schärfe bemühte sich der russische Präsident um einen akademischen Stil. Er hoffe, so Putin, dass Jemand in der anschließenden Diskussion versuchen werden, "diese These zu wiederlegen".

Führerschaft der USA "vielleicht doch ein Segen"?

Mit Suggestivfragen lockte der Kreml-Chef seine Zuhörer zur Diskussion. "Stellen wir uns die Frage, inwieweit es bequem, sicher und angenehm ist in so einer Welt zu leben, inwieweit ist das gerecht und rational?" Vielleicht sei ja die Führerschaft der Vereinigten Staaten wirklich "ein Segen für alle"? Und "ihre allgemeine Einmischung in die Angelegenheiten der Welt bringt Ruhe, Wohlstand und Fortschritt, Prosperität und Demokratie - man kann sich also entspannen und es sich gut gehen lassen?"

Doch dem sei nicht so. Das "einseitige Diktat", und das "Aufzwingen der eigenen Schablonen" bringe ein entgegengesetztes Resultat, "statt Regulierung der Konflikte - Eskalationen; statt souveräner stabiler Staaten - ein wachsender Raum des Chaos; statt Demokratie - die Unterstützung eines zweifelhaften Publikums: Von offenen Neonazis bis hin zu islamistischen Radikalen." Damit spielte Putin auf die Ukraine und den islamischen Raum an.

Wladimir Putin. Foto: Kreml.

Schon in den 1970er und 1980er Jahren hätten die USA hätten in Afghanistan "islamische extremistische Bewegungen für den Kampf gegen die Sowjetunion unterstützt." Daraus seien dann die Taliban und Al Kaida entstanden. Auch "den Einfall internationaler Terroristen nach Russland" und die zentral-asiatische Region habe "der Westen" politisch und finanziell unterstützt. Belege für diese Behauptung nannte der russische Präsident nicht. Er spielte aber offenbar auf den Separatismus in Tschetschenien, Terror-Anschläge von Tschetschenen in Moskau und Beslan sowie die Unruhen im ost-usbekischen Andischan 2005 an.

Amerika "wie einem Freund und Partner geholfen"

"Erst als schreckliche Terroranschläge auf dem Territorium der Vereinigten Staaten selbst stattfanden", habe der Westen "die allgemeine Bedrohung durch den Terrorismus" verstanden. Russland habe nach dem 11. September Amerika wie "einem Freund und Partner" geholfen. Tatsächlich hatte Wladimir Putin damals die Einrichtung von US-Militärbasen im russischen Einflussgebiet Zentralasien, genauer gesagt in Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan unterstützt.

Dass heute in Syrien und dem Irak mächtige Militärformationen wie die IS entstanden und Libyen zum Nachschub-Basis für Extremisten werde, sei nur durch die Einmischung und Unterstützung der USA und ihrer Verbündeten möglich geworden, behauptete der russische Präsident. Russland habe nach dem Sturz von Saddam Hussein gewarnt, die irakische Armee "zu zerstören". Durch diese Zerstörung seien zehntausende von irakischen Soldaten und Offizieren auf der Straße gelandet und verstärkten jetzt die Reihen des IS.

Nach all dem, was in den letzten Jahren passiert sei, habe man den Eindruck, dass "unsere Kollegen und Freunden ständig mit den Resultaten ihren eigenen Politik kämpfen, sie setzen ihre Kraft zur Vernichtung von Risiken ein, die sie selbst schaffen," ätzte Putin.

Eine monopolare Welt sei "eine Rechtfertigung einer Diktatur über Menschen und Länder". Und es habe sich gezeigt, dass die monopolare Welt nicht in der Lage ist, "effektiv gegen Bedrohungen wie religiöse Konflikte, Terrorismus, Drogenhandel, religiösen Fanatismus, Chauvinismus und Neonazismus zu kämpfen".

Weitere Konflikte wie in der Ukraine werden folgen

Es sei abzusehen, dass die Konflikte zwischen den Großmächten zunehmen werden, erklärte Putin. Dabei werde es sich nicht unbedingt um direkte Konflikte zwischen den Großmächten handeln sondern um Konflikte in den Gebieten in denen geopolitische Interessen der großen Staaten aufeinanderstoßen oder um Konflikte "an den Grenzen kulturhistorischer, wirtschaftlicher und zivilisatorischer Kontinente". Konflikte wie in der Ukraine werde es noch weitere geben, so die Prognose des russischen Präsidenten.

In der Diskussion während des Forums in Sotschi gestand der Kreml-Chef ein, dass Russland den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch Ende Februar bei der Flucht aus Kiew geholfen habe. "Ich sage es offen, Janukowitsch hat gebeten, ihn nach Russland zu bringen, was wir getan haben." Der russische Präsident gestand außerdem ein, dass Russland auf der Krim ukrainische Militärs blockiert habe, damit eine sichere Durchführung des Referendums über die Unabhängigkeit der Halbinsel möglich wurde.

Man will nicht die Rolle des Gekränkten spielen

Scharf kritisierte Putin die Sanktionen gegen Russland. Diese Strafmaßnahmen untergrüben den "den Welthandel und die Regeln der Welthandelsorganisation". Russland werde "seinen Weg weitergehen". Man werde nicht die Position des Gekränkten einnehmen und um etwas bitten. Der Druck von außen, konsolidiere die russische Gesellschaft, "lässt sie nicht schlaff werden" und zwinge dazu, sich auf die Hauptrichtungen der Entwicklung des Landes zu konzentrieren. Russland werde nicht den Weg der Autarkie gehen. Man hoffe auf eine pragmatische Haltung der Geschäftswelt in den führenden Ländern der Erde. Eine wichtige Rolle werde in Zukunft Asien spielen. Das heiße aber nicht, dass Russland sich von Europa abwenden werde.

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