Hobbit oder Nicht-Hobbit?

Eine auf wissenschaftlichen Methoden beruhende Annäherung wie die Hobbit-Frau, die vor 18.000 Jahren lebte, ausgesehen haben könnte. Bild: Hayes, Sutikna & Morwood 2012, University of Wollongong. Andere Rekonstruktionsansätze hatten ein deutlich primitiveres Bild ergeben, wie der von National Geographic zeigt.

Zehn Jahre nach der Entdeckung des zwergwüchsigen Menschen auf der Insel Flores gibt es viele neue Erkenntnisse, nicht zuletzt durch den Fund weiterer Hobbits

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2004 trat der sehr kleine, 18.000 Jahre alte Mensch namens Homo floresiensis ins Licht der Öffentlichkeit. Seither beschäftigt dieses rund ein Meter große Wesen, das ihre Entdecker auch Hobbit nannten, die Wissenschaftswelt. Zehn Jahre später gibt es viele neue Erkenntnisse, nicht zuletzt durch den Fund weiterer Hobbits, aber auch eine andauernde Debatte um die Einordnung dieses außergewöhnlichen Geschöpfs.

Ein australisch-indonesisches Team, geleitet von den beiden inzwischen verstorbenen Archäologen Raden Soejono (Indonesian National Center for Archaeology) und Mike Morwood (University of Wollongong) suchte auf der indonesischen Insel Flores eigentlich nach Spuren der anatomisch modernen Menschen, die vor mindestens 50.000 Jahren begannen, Australien zu bevölkern.

2001 starteten sie ihr Projekt in der Kalksteinhöhle Liang Bua ("kühle Höhle"), in der bereits mehrfach zuvor Ausgrabungen stattgefunden hatten. 500 Meter über dem Meeresspiegel, am Zusammenfluss zweier Flüsse gelegen, bietet die Höhle mit ihrer hohen Decke, viel einfallendem Tageslicht und guter Luftzirkulation einigen Komfort für einen längeren Aufenthalt.

Gehirn nur wenig größer als das eines Schimpansen

Die Forscher fanden einige Tierknochen aus dem Pleistozän, was bereits eine Überraschung war, da sie wegen des feuchtwarmen Klimas vor Ort kaum damit gerechnet hatten. Die große Überraschung kam im September 2003, als in sechs Meter Tiefe ein Schädel gefunden wurde, winzig, aber menschlich aussehend. Weich und porös wie nasses Löschpapier, aber er hatte sich erstaunlicherweise, ohne zu versteinern, 18.000 Jahre lang in der Erde erhalten. Es folgten weitere Knochen, ans Licht kam das fast komplette Skelett eines Individuums.

Aufgrund der geringen Größe von nur gut einem Meter hielten die Archäologen ihren Fund zunächst für die sterblichen Überreste eines Kindes. Eingehende Untersuchungen zeigten aber, dass es sich um eine sehr kleine, aber ausgewachsene Frau handelte. Ihre Merkmale wirken wie ein Mosaik aus Versatzstücken der Menschheitsgeschichte.

Sie wog etwa 25 Kilo. Ihre Oberschenkelknochen zeigen, dass sie aufrecht lief. Sie hatte auffallend lange Armen und große Füße. Ihr Gesicht ist geprägt von starken Überaugenwülsten, dicken Kieferknochen, einer flachen Schädeldecke und kaum Kinn. Ihr Gehirn war mit einem Volumen von 420 Kubikzentimeter nur wenig größer als das eines Schimpansen oder eines Australopithecus.

Die Veröffentlichung im Wissenschaftsmagazin Nature erregte 2004 riesige Aufmerksamkeit (vgl. A new small-bodied hominin from the Late Pleistocene of Flores, Indonesia und Archaeology and age of a new hominin from Flores in eastern Indonesia).

Zehn Jahre später veröffentlicht die Zeitschrift nun ein Special zum Thema: The Hobbit at ten.

Ausgrabungen in der Liang Bua-Höhle in der Liang Bua-Höhle auf Flores. Foto: Djuna Ivereigh/University of Wollongong

Was für ein Wesen hat die Wissenschaft da tatsächlich vor sich?

Die Benennung der frisch entdeckten Zwergin führte im Team und bei der Veröffentlichung zu Debatten. Den Spitznamen Hobbit nach den Halblingen im Herrn der Ringe von Tolkien verpasste ihm Mike Morwood sofort. Es gab sogar eine sehr kurze Diskussion innerhalb der Gruppe über die Bezeichnung Homo hobbitus.

Aber was für ein Wesen hatten die Archäologen da tatsächlich vor sich? Aufgrund der vielen archaischen Merkmale wollte die Forschergruppe es ursprünglich Sundanthropus floresianus nennen, nach den Sunda-Inseln und Flores.

Die Reviewer bei Nature hielten die Merkmale - vor allem des Kiefers - für ausreichend für eine Einordnung in die Gattung Homo. Und sie wiesen die Forschergruppe darauf hin, dass floresianus übersetzt nicht "von Flores", sondern in etwa "blumiger Anus" bedeutet. So wurde der Welt dann der Homo floresiensis vorgestellt.

Die Hypothese lautete, dass es sich um einen direkten Nachfahren von Homo erectus handelt, des Javamenschen, dem aber vorher niemand die Fahrt übers offene Meer zugetraut hatte. Flores war nie über eine Landbrücke erreichbar.

"Island Dwarfing" oder Mikrozephalie?

Diese bis heute von der Mehrheit der Wissenschaftler favorisierte Hypothese besagt zudem, dass der Hobbit durch die beschränkten Verhältnisse der Inselwelt langsam vor Ort schrumpfte. Dieses Phänomen nennen die Forscher Island Dwarfing, also Insel-Verzwergung. Ein Effekt, der auf Flores unter anderem bei urtümlichen Elefanten, den Stegodons nachweisbar ist.

Die Hobbit-Frau wurde in einer Schicht zusammen mit Steinwerkzeugen und den Knochen von erlegten Tieren wie Fröschen, Vögeln, Schlangen, Riesenratten, Stegodons und Rieseneidechsen wie Komodowarane gefunden. Ihre Entdecker sind überzeugt, dass es für die Jagd vor allem der großen Tiere einiger Intelligenz, sozialer Organisation und Sprache bedurfte.

Links der Schädel des erwachsenen Homo floresiensis, der von seiner Größe her einer Grapefruit oder dem Kopf eines dreijährigen Kindes entspricht, daneben der Schädel eines erwachsenen Homo sapiens. (Bild: Peter Brown/Australian National University)

Kaum stand die Hobbit-Frau im Licht der Öffentlichkeit, erhob sich ein vielstimmiger Wissenschaftschor der Zweifler. Ein Individuum mache noch keine neue Art, lautete das Hauptargument und dass das Gehirn eines Homo erectus durch Island Dwarfing seine Größe halbiert habe, sei nicht möglich. Der Homo floresiensis sei eine Illusion, der Hobbit sei ein Homo sapiens und habe unter einer krankhaften Verkleinerung der Gehirns namens Mikrozephalie und entsprechendem Zwergenwuchs des Körpers gelitten.

Weitere Funde

Eingehende Untersuchungen des Hobbit-Schädels und Vergleiche mit anderen Köpfen, darunter von Schimpansen, an Mikrozephalie Erkrankten, aber auch anderen Menschenformen wie Homo erectus ergaben, dass Homo floresiensis ganz besonders und einmalig ist und keine Anzeichen von Krankheit zeigt. Aber zur Wissenschaft gehört zwingend der Zweifel und so leicht verstummen die Kritiker nicht.

Es folgten 2005 weitere Funde des Teams um Mike Morwood aus der Liang Bua-Höhle. An der Fundstelle der ersten Hobbit-Frau, gruben sie nun weitere Arm-, Bein-, Kiefer-, Finger-, Zehen- und Oberschenkelknochen sowie Wirbel und ein Schulterblatt aus. Insgesamt Knochen von mindestens neun verschiedenen Individuen, alle kleinwüchsig und der Frau sehr ähnlich. Die Hobbits hatten diese Höhle sehr lange bewohnt oder immer wieder aufgesucht.

Das erste, wissenschaftlich mit den Kennziffern LB1 versehene Skelett ist 18.000 Jahre alt. Es gab dort aber auch schon Flores-Menschen mit einer maximalen Körpergröße von um einen Meter vor 95.000 Jahren. Der jüngste Knochen stammt vom Unterarm eines Kindes und ist nicht älter als 12.000 Jahre. Alle ganz klar eng miteinander Verwandte Homo floresiensis.

Zudem gelang es Paläoanthropologen auf der Insel bis zu einer Million Jahre alte steinerne Faustkeile zu finden, die sehr wahrscheinlich von den Hobbit-Vorfahren stammen - vermutlich Homo erectus, allerdings wurden keine Fossilien von ihm entdeckt, nur seine Werkzeuge.

Die Hobbits waren trotz ihrer kleinen Gehirne intelligent

Mike Moorwood war überzeugt, dass die Kritiker nun verstummen müssten:

Es handelt sich um eine neue Art von Mensch, der mit uns [Homo sapiens] gleichzeitig lebte, aber nur halb so groß wurde wie wir. Die Hobbits erreichten die Größe eines dreijährigen Kindes, wogen um 25 Kilogramm und hatten ein kleineres Gehirn als die meisten Schimpansen. Trotzdem nutzten sie das Feuer, stellten technisch ausgefeilte Steinwerkzeuge her; und sie jagten Stegodons (eine primitive Art von Elefanten) und Riesenratten. Wir glauben, dass ihre Vorfahren die Insel auf Bambus-Flößen erreichten. Die logische Schlussfolgerung ist, dass diese kleinen Menschen trotz ihrer winzigen Gehirne intelligent waren und ziemlich sicher über Sprache verfügten.

Kopf der Hobbit-Frau in einer Version der Hall of Human Origins im Smithsonian Museum of Natural History in Washington, D.C. Reconstruction: John Gurche, Foto: Tim Evanson/CC BY-SA 2.0

Verwirrend bleiben die vielen nach allen gängigen Modellen widersprüchlichen Merkmale der Hobbits

Hunderte wissenschaftliche Artikel über die Hobbits sind in den letzten zehn Jahren erschienen und inzwischen sind immer mehr Anthropologen bereit, sich von der Krankheits-Theorie zu verabschieden. Als sich in diesem Jahr erneut langjährige Skeptiker aus dieser Ecke zu Wort meldeten und meinten, sie können beweisen, dass es keine Homo floresiensis, sondern nur dereinst an Down-Syndrom erkrankte Individuen gegeben hätte, fand das mehr Medienecho als Reaktionen aus der Wissenschaft.

Verwirrend aber bleiben die vielen nach allen gängigen Modellen widersprüchlichen Merkmale der Hobbits. Die Zweifel, welche schon die Entdecker der Hobbit-Frau beschlichen, stehen immer noch im Raum, denn einiges an diesem Wesen ist so primitiv, dass es weit mehr an den Australopithecus wie die mehr als 3 Millionen Jahre alte Lucy erinnert, als an Homo erectus.

Haben die Hobbits die Sagenwelt der Insel beeinflusst?

Wären die Hobbits zwei Millionen Jahre alt, hätten sie die Fachwelt nicht so heftig durcheinander gewirbelt. Oder ist vielleicht doch der Homo habilis lange vor dem Homo erecetus bereits aus Afrika losmarschiert, um Asien zu besiedeln? Ist der Hobbit einer seiner Nachfahren, vielleicht vermischt mit anderen Menschenarten, die er später irgendwo in Asien auf seinem Weg traf?

Das würde endgültig alles auf den Kopf stellen, wovon die Fachwelt ausgeht. Bislang nur Gedankenspiele - es fehlen Funde, die belegen könnten, wer genau die Vorfahren des Hobbits waren und welche wir mit ihm teilen. Auskunft über den Ursprung des Flores-Menschen könnte natürlich die DNS geben, aber brauchbares genetisches Material aufzuspüren, ist angesichts der klimatischen Verhältnisse auf der Insel äußerst unwahrscheinlich.

Die Debatte um die Einordnung des H. floresiensis dauert an. Bild: H. floresiensis: Handout/AAP Image; H. habilis: Carolina Biological Supply/Visuals Unlimited/SPL; Australopithecus: The Natural History Museum/Alamy; H. erectus: Tom McHugh/SPL

Sicher ist nur, das die kleinen Kerle zehntausende Jahre lang parallel mit anatomisch modernen Menschen auf der Insel Flores lebten. Ob sie dadurch wirklich zur Vorlage für die Geschichten über haarige Zwerge wurden, die von den heutigen Insulanern Ebu Gogo ("Alles-Esser") genannt werden, und denen den Erzählungen nach die Ahnen in alten Zeiten Essen vor die Höhlen stellten, darf bezweifelt werden. Zwerge und Elfen gehören zum Märchen- und Sagenschatz der ganzen Welt, die Hobbits lebten aber nur auf Flores.