Ägyptens Präsident as-Sisi will Nasser werden

Bild: Suez Canal Authority

Ein zweiter Suezkanal soll dem Machthaber Legitimität und dem Land Geld bringen

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Quasi über Nacht hat Äypten damit begonnen, einen zweiten Suez-Kanal zu bauen: Auf einer Länge von 35 Kilometern wird eine zweite Fahrtrinne ausgehoben; auf 37 weiteren Kilometern wird der existierende Kanal verbreitert und vertieft. Auf diese Weise sollen künftig mehr Schiffe den Kanal gleichzeitig nutzen können, und dies auch noch, anders als bisher, in beiden Fahrtrichtungen.

Die Wartezeiten von derzeit bis zu 18 Stunden sollen sich dadurch um mindestens ein Drittel verkürzen, die Einnahmen für das chronisch klamme Land von derzeit umgerechnet fünf Milliarden Euro auf zehn Milliarden Euro verdoppeln. Die Planungen sind euphorisch. Nicht nur ein Kanal soll gebaut wurden, sondern auch Industriezonen, Tourismusprojekte, Tunnel, Brücken entlang des Kanals; eine Million Arbeitsplätze werde dies schaffen, heißt es in Ägyptens Regierung.

Finanziert wird das Ganze über Investmentzertifikate, die ausschließlich an Ägypter verkauft wurden: Innerhalb von nur acht Tagen habe man 6,7 Milliarden Euro eingenommen, teilte das Ministerium für Investment mit. Denn für viele Ägypter ist der Suez-Kanal ein nationales Symbol; die Ankündigung des Projekts hat im Land für große Euphorie gesorgt - und dem um Legitimität ringenden Machthaber Abdelfattah as-Sisi neuen Zuspruch verschafft. Ob die Hoffnungen allerdings Wirklichkeit werden, ist fraglich: Die Kapazitäten des Panama-Kanals werden bis 2016 verdoppelt; außerdem will Nicaragua einen eigenen Kanal bauen.

"Eigene Realitäten" schaffen

Noch ist die neue Fahrrinne nicht mehr als ein Loch im sandigen Boden, irgendwo an der Grenze zwischen dem ägyptischen Kernland und der Sinai-Halbinsel. Immer wieder ist in diesen Tagen in den ägyptischen Medien zu sehen, wie Bagger Sand und Erde beiseite räumen, das Loch immer größer wird. Und stets werden dazu neue, immer dramatischere Erfolge vermeldet: Die Arbeiten seien dem Zeitplan "weit, weit, weit" voraus, jubelte ein Moderator des staatlichen Fernsehens am Wochenende, nachdem das Präsidialamt mitgeteilt hatte, dass in gerade mal 38 Tagen erledigt worden sei, wofür man 91 Tage veranschlagt habe.

Und drei Wochen zuvor hatte man mit der Nachricht aufsehen erregt, in nur acht Tagen habe man über den Verkauf von Investmentzertifikaten die gesamten veranschlagten Baukosten eingenommen - und zwar nicht nur die für den neuen Kanal selbst, sondern auch das Geld, dass für den Bau von Infrastruktur und Industriegebieten ausgegeben werden soll.

Was davon den Tatsachen entspricht, was geschönt ist, dass lässt sich nicht einmal im Ansatz sagen. Doch Zweifel sind angebracht: Ägyptens neue Machthaber unter Führung des einstigen Generalstabschefs Abdelfattah as-Sisi haben seit dem Sturz von Präsident Mohammad Mursi im Juli 2013 immer wieder ihre eigenen Realitäten geschaffen: Der de-facto-Putsch wurde als ein Eingreifen des Militärs zum Schutze von Demokratie und der Revolution Anfang 2011 präsentiert, und die seitdem immer rigider werdenden Einschränkungen der Bürgerrechte als im Kampf gegen den Terrorismus notwendig verkauft.

Bei Verfassungsreferendum und Präsidentschaftswahl zeigten Ägyptens Fernsehsender Bilder von riesigen Menschenmengen in Wahllokalen - die Realität bekamen nur die Ägypter zu Gesicht, die taten, was beispielsweise bei den Präsidentschaftswahlen (As-Sisi, Sieger in Ägypten nach Verlängerung) 65 Prozent der registrierten Wählerinnen und Wähler nicht taten: nämlich wählen gehen. An den allermeisten Orten herrschte in den Wahllokalen gähnende Leere.

90 Prozent des eingenommenen Geldes aus privater Hand

Doch in diesen Tagen tritt all' dies in den Hintergrund: "Ich weiß, dass es eine Illusion sein könnte," sagt der 24jährige Student Mahmud al-Khair, "aber ich möchte gerne glauben, dass wir Ägypter so etwas noch können". Denn immerhin habe man die Pyramiden gebaut, und Jahrtausende lang eine Führungsrolle in der Wissenschaft eingenommen.

Und so kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass sehr viele Ägypter tatsächlich ihre Ersparnisse zusammen gekratzt haben und wenigstens ein paar der günstigsten Investmentzertifikate für entweder gut 1,10 Euro oder elf Euro das Stück gekauft haben. Gut 90 Prozent des eingenommenen Geldes stamme aus privater Hand, heißt es beim Ministerium für Investment.

Doch gerade vor diesem Hintergrund zweifeln viele daran, dass tatsächlich umgerechnet 6,7 Milliarden Euro zusammen gekommen sein sollen. "In einem Land, in dem die Summe der privaten Ersparnisse auf gerade mal 13,4 Milliarden Euro geschätzt wird, wären solche Zahlen mehr als erstaunlich", sagt ein Mitarbeiter der Weltbank.

Dennoch sieht man das Projekt dort als Chance für das notorisch klamme Ägypten: "Das Projekt wird die Wirtschaft Ägyptens verändern", äußerte sich Hartwig Schäfer, bei der Weltbank zuständig für Ägypten, Jemen und Dschibouti, während einer Pressekonferenz im August: Es werde zu "nachhaltigen Arbeitsplätzen für die brilliante und energetische ägyptische Jugend führen".

Denn daran mangelt es im Moment: Seit dem Umsturz im Sommer 2013 und den darauf folgenden gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Anhängern des abgesetzten Präsidenten Mursi ist der Tourismus eingebrochen; die Arbeitslosigkeit ist ebenso gestiegen, wie die Preise. Ägyptens Regierung wirtschaftet im Moment vor allem mit Krediten der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, sowie den Einnahmen aus dem Suez-Kanal - viel zu wenig, um der verarmenden Bevölkerung die Leistungen anzubieten, die notwendig sind, um mittel- und langfristig an der Macht zu bleiben.

Grafik: Suez Canal Authority

"Die Regierung mag gegen Kritiker vorgehen; viele junge Menschen die Anfang 2011 auf die Straße gingen, mögen nun im Gefängnis sitzen", sagt ein Journalist des staatlichen ägyptischen Fernsehens. "Doch man kann nicht jeden inhaftieren - und es gibt eines, auf das die Ägypter mindestens ebenso stolz sind, wie auf die Pyramiden und den Suez-Kanal, und das ist ihre Revolution." Er selbst stehe ebenfalls hinter der Revolution, "so wie sie ursprünglich gedacht war, nicht das, was al-Sisi daraus gemacht hat".

Warum er dann noch für einen weitgehend gleichgeschalteten Sender arbeitet? "Weil ich immer noch die Hoffnung habe, die eine oder die andere Informationen ins Programm zu schmuggeln, die die Menschen brauchen, um sich eine Meinung zu bilden." So sendete man "aus Versehen" während der Präsidentschaftswahlen gut eine Minute lang Live-Bilder aus einem leeren Wahllokal, und bei einem privaten, aber ebenfalls offziell auf Regierungslinie eingeschwenkten Sender, wiederholten die Reporter immer und immer wieder die Wahlbeteiligung, wenn sie über den haushohen Wahlsieg al-Sisis sprachen. Die Nachricht: Er mag weit über 90 Prozent bekommen haben - aber eben 90 Prozent von gerade einmal zwischen 35 und 40 Prozent. Die genaue Wahlbeteiligung ist unbekannt.

Es ist etwas, unter dem al-Sisis Führung bis heute leidet: Er hat die Wahl gewonnen, aber eben nicht einmal annähernd so überzeugend, wie Team al-Sisi das zuvor immer wieder in Aussicht gestellt hatte. Offiziell machte man die Hitze für die geringe Wahlbeteiligung verantwortlich, und beschuldigte sogar die Muslimbruderschaft, massenhaft Taxis blockiert zu haben, um potentielle Wähler von der Fahrt zu den Urnen abzuhalten. Doch inoffiziell sagen auch Mitarbeiter al-Sisis, dass man sich sehr bewusst sei, dass sich an der gesellschaftlichen und politischen Situation im Land nichts geändert hat: Unter den vielen Nichtwähler befinden sich sehr viele Ägypter, die al-Sisi und seinem Machtanspruch kritisch, sehr kritisch oder sogar feindselig gegenüber stehen.

Das Gefühl der Spaltung sitzt sehr tief, und längst verläuft die Graben nicht mehr nur zwischen den Anhängern der islamisch-konservativen Muslimbruderschaft, aus deren Reihe Mursi stammt, und den vor allem unter Mittelschichtlern über 40 verorteten Unterstützern al-Sisis. Auch viele Jugendliche und junge Erwachsene, eben jene, die mit Stolz auf die ursprüngliche Revolution blicken, stehen der neuen Regierung extrem kritisch gegenüber.

Und so kam der Startschuss für den Bau des zweiten Suez-Kanals zwar abrupt, aber nicht sonderlich überraschend. Denn der Suezkanal ist nicht nur Wirtschaftsfaktor, sondern auch ein nationales Symbol, vergleichbar mit den Pyramiden und dem Nasser-Staudamm. Dass al-Sisi hier nun Hand anlegt, hat vor allem damit zu tun: Schon seit den allerersten Stunden nach dem Umsturz begannen er und sein Team damit, an seinem Image als Landesvater zu feilen, präsentierten ihn als Jungen aus dem Volke, der an die Spitze des Militärs, einem weiteren nationalen Symbol, aufstieg, um dann auf den Ruf des Volkes zu antworten, und die Revolution zu retten.

Mit der Entscheidung, nun mit dem Ausbau des Suezkanals zu beginnen, versucht er, seine Rolle als Landesvater zu festigen - eine Rolle, von der, so die Sicht seiner Berater, auch abhängt, ob Ägypten an Stabilität zurück gewinnt; eine Stabilität, die sich auch die Internationale Gemeinschaft wünscht: Dort ist es vor allem die Sicherheitslage auf der Sinai-Halbinsel in direkter Nachbarschaft zu Israel, die Sorgen bereitet. Hinzu kommt, dass Ägypten durch seine Lage zwischen Afrika und Asien auch eine Bedeutung als Route für den Menschen- und Waffenschmuggel hat.

Und so stellt sich al-Sisi mit dem Suez-Projekt nun in eine Reihe mit dem einen Präsidenten, der in großen Teilen der Bevölkerung bis heute großen Respekt genießt: In Presserklärungen wird stets eine direkte Verbindung zwischen den Infrastrukturprojekten unter Gamal Abdel Nasser, der zudem auch den Suez-Kanal verstaatlichte; in seiner Rede zum ersten Spatenstich grenzte sich al-Sisi zudem deutlich vor allem von Präsident Hosni Mubarak ab, dem er er direkt die Schuld an der wirtschaftlichen Krise Ägyptens gab: "Die Versäumnisse der Vergangenheit haben dazu geführt, dass wir uns jetzt beeilen müssen. Wir haben große Verspätung."

Bereits Monate zuvor hatten Mitarbeiter al-Sisis von einem Projekt gesprochen, "das Ägypten verändern und vereinen" werde. Viele Beobachter waren dabei davon ausgegangen, dass es sich dabei um den Bau einer Bahnbrücke über den Golf von Akaba nach Jordanien handeln würde, die seit Jahren im Gespräch ist: Geplant ist eine Landverbindung, die den Güter- und Personenverkehr auf die arabische Halbinsel und nach Europa erleichtern soll. Doch bislang scheitert das Projekt am Bürgerkrieg in Syrien, und seit neuestem auch am Vormarsch des IS im Nord-Irak, durch den die Bahntrasse zum Teil geführt werden sollte.

In der Schifffahrtindustrie galt ein weiterer Ausbau des Suezkanals, gar der Bau einer zweiten Fahrrinne hingegen als eher unwahrscheinlich. Denn darüber wurde bereits zur Zeit von Präsident Hosni Mubarak gesprochen; die Pläne wurden allerdings immer wieder verworfen - zu teuer. Und auch: zu groß die Gefahr, dass Ägyptens wichtigste Devisenquelle in ausländische Hand geraten könnte.

Außerdem: Die Zweifel daran, dass die zweite Fahrrinne tatsächlich das tut, was von ihr erwartet wird, sind groß. Denn auf der Route von Europa nach Südostasien konkurriert der Suez-Kanal mit dem Panama-Kanal, der zur Zeit erweitert wird. Zudem will auch Nicaragua einen Kanal bauen. Bislang ist der Panama-Kanal, bedingt durch die Maße der Schleusen, für Schiffe ab einer bestimmten Größe nicht befahrbar, während der Suezkanal, in dem es keine Schleusen gibt, von derzeit allen Containerschiffen und rund 65 Prozent aller Tanker befahren werden kann. Künftig wird zumindest der Panama-Kanal, aber auch, falls er gebaut wird, der Nicaragua-Kanal für einen Großteil der Schiffe befahrbar sein, die zur Zeit entweder den Suez-Kanal nutzen, oder um Südafrika herum fahren müssen. Der Panama-Kanal wird damit zur direkten Konkurrenz werden.

Vor diesem Hintergrund wird dann auch die Lage in den Gewässern rund um Somalia zum Problem werden. Auf dem Weg durch das Rote Meer müssen die Schiffe auch am Horn von Afrika vorbei. Zwar ist die Zahl der Angriffe durch Piraten dort mittlerweile stark gesunken; Angaben der Europäischen Union zufolge gab es 2013 nur noch 15 Versuche, ein Schiff zu kapern. Doch die Kosten für die Reedereien sind nach wie vor immens: Sie heuern private Sicherheitsfirmen an, um die Schiffe und ihre Fracht im Ernstfall zu schützen.

Bild: Suez Canal Authority

Aus Sicht von Mohab Mamisch, Direktor der Suez Canal Authority ist der Ausbau allerdings trotz aller Unwägbarkeiten unausweichlich: "Das Projekt ist schon allein deshalb notwendig, weil wir sonst viele der Schiffe, die wir haben, nach Panama verlieren würden. Die jährlichen Einnahmen sind nicht garantiert." Denn schon jetzt werden viele Schiffsneubauten auf die sogenannten Panamx II-Spezifikationen ausgelegt, die jene Maße beinhalten, die ein Schiff maximal haben darf, um den Panama-Kanal befahren zu können. Gleichzeitig liegt Panamax II nun sehr viel näher an Suezmax, den Maximal-Maßen für den Suezkanal, dran. Mamisch: "Wir müssen unseren Service verbessern, um konkurrenzfähig zu bleiben."

Aber: Auch die Gebührenstruktur wird künftig ein Problem werden. Für ein Panamax II-Schiff sei es, je nach Rahmenbedingungen, schon jetzt oft günstiger, um das Kap der guten Hoffnung zu fahren, mahnt man bei der Weltbank, nach dem Ausbau des Panama-Kanals dürfte diese Route am Günstigsten sein; das Gebührenmodell müsse dringend an die künftige Realität angepasst werden.

Ein Mahnung, die bei der Suez Canal Authority aber bislang ungehört verhallt: Die Einnahmerechnung für die Zeit nach der Fertigstellung des Projekts beruht nicht nur auf mehr Schiffen, sondern auch auf höheren Gebühren. Bei der Behörde geht man davon aus, dass Reedereien dazu bereit sind, für besseren Service mehr zu bezahlen; sogar von einer Express-Abfertigung ganz ohne Wartezeit ist die Rede. Dafür sollen dann Aufschläge von bis zu 25 Prozent verlangt werden.

Geleitet werden die Arbeiten offiziell vom Militär, wobei die eigentlichen Arbeiten allerdings von ausländischen Firmen durch geführt werden sollen: In Ägypten gibt es das für solche Arbeiten notwendige schwere Gerät nicht.

Dass das Projekt in den Zuständigkeitsbereich des Militärs fällt, soll offiziell zeigen, wozu die Streitkräfte des Landes in der Lage sind; öffentlichkeitswirksam befahl al-Sisi beim ersten Spatenstich, innerhalb eines Jahres fertig zu werden, wobei eine Bauzeit von drei Jahren als eher realistisch gilt. Aber: Aus Sicht der ägyptischen Regierung hat die Führungsrolle des Militärs auch den Vorteil, dass Bauvorschriften ebenso wie die Arbeitnehmerrechte nur eingeschränkt gelten; zur Not kann das Militär Tausende von Rekruten für das Projekt abstellen.

Umweltschützer mahnen deshalb bereits vor weitreichenden ökologischen Folgen des Projekts, dass weitgehend ohne Untersuchung der möglichen Auswirkungen geplant worden zu sein scheint. So warnt eine Gruppe von Wissenschaftlern in einem Artikel im Fachmagazin Biological Invasions schon seit der Eröffnung des Suezkanals im Jahr 1869 sei eine große Zahl an Spezien aus dem Roten Meer ins Mittelmeer gelangt, die wiederum einen Einfluss auf das Ökosystem dort hätten, was wiederum auch Einflusss auf die Fischbestände und damit die Fischerei habe.