Neue Medien, neue Öffentlichkeit?

Mit den Krautreportern beginnt die nächste Runde auf der Suche nach neuen Modellen für Journalismus und Öffentlichkeit

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Der Abgesang auf traditionelle Verlage und Printprodukte hat die medienpolitischen Debatten der vergangenen Jahren bestimmt. Die digitale Kopie bereitete dem klassischen Abonnement-Modell ein Ende. Den Löwenanteil an Werbemitteln kassiert im Onlinebereich ein globales Technologieunternehmen mit Hauptsitz in Mountain View, USA. Geschäfte mit redaktionell erstellten Inhalten lohnen sich immer weniger. Kommen jetzt neue öffentlich finanzierte Medien?

Am vergangenen Freitag stellte Krautreporter.de die ersten Artikel online. Format und Auswahl der Beiträge spiegelt ungefähr wieder, was traditionellen Medien auch 20 Jahre nach dem Beginn des Online-Journalismus fehlt. Aufwändige Recherchen im Ausland stellen mehr als die Hälfte der neuen Krautreportagen. Kritische Reflexionen zur Medienwelt oder über die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ergänzen das Portfolio. Üppige Verlinkung führt zu weiteren Hintergrundinformationen. Der schriftliche Text verbindet sich mit vielfältigen Audio- und Videoinhalten. Die Leserinnen und Leser können inhaltliche Aspekte direkt am betreffenden Absatz kommentieren.

Der Auftritt kontrastiert hinreichend die aus dem 20. Jahrhundert überbrachten Traditionen, nach denen etwa Marketingerwägungen verhindern, dass Inhalte von potentiellen Konkurrenten eingebunden werden. Oder dass selbstkritische Debatten über Medien überhaupt einen Platz finden. In Medien, die im Jahr 2014 kaum verstanden haben, welche Möglichkeiten Multimedia bieten kann. In Medien, die ihr eigenes Publikum vielfach als zahlenden Kretin betrachten, dem Artikel über 9.000 Zeichen Länge nur ausnahmsweise zugemutet werden können.

Ein anderes Arbeitsklima

Für Journalisten, die bewusst ein anderes Arbeitsklima jenseits der redaktionellen Hierarchie suchen, wollen die Krautreporter neue Formen der journalistischen Organisation mit größeren inhaltlichen Freiheiten verbinden. An dem Projekt interessiere ihn nicht zuletzt auch "die Unabhängigkeit als freier Journalist über eigene Interessen und Inhalte" entscheiden zu können, so Stefan Niggemeier gegenüber Telepolis. "Natürlich sind wir noch in der Frühphase. Aber bisher bestehen sehr große Freiheiten für die Autorinnen und Autoren. Alexander von Streit gewährleistet die redaktionelle Planung und gibt sicher auch mal einen redaktionellen Hinweis." Aber verglichen mit traditionellen Redaktionen sei das ein leichter Einfluss.

Die Motivation, sich an Krauteporter zu beteiligen, besteht für den Blogger und Medienjournalisten vor allem darin, eine neue Möglichkeit auszuprobieren, Journalismus zu finanzieren. "Paid Content sehe ich mit gemischten Gefühlen: Einerseits ist es ein notwendiger Schritt, andererseits stellt die Paywall keine natürliche Form in der Onlinekommunikation dar", beschreibt Stefan Niggemeier das grundlegende Dilemma der digitalen Medienökonomie. Natürlich werden die Inhalte kopiert und in den sozialen Netzwerken weitergereicht.

Zudem zeigt die Erfahrung der letzten Jahre deutlich, dass die Paywall für einen großen Teil des Publikums eine zu hohe Hürde darstellt. "Insofern ist es ein interessantes Modell, Paid Content ohne Paywall anzubieten - mit anderen Angeboten für die Community", hofft Niggemeier, der 2004 den Mediawatch BILDblog ins Leben gerufen hatte und weiter einen medienpolitischen Blog betreibt. Das Angebot der Krautreporter bestehe darin, die Grenzen zwischen Redaktion und Publikum spürbar zu reduzieren. Für Mitglieder der zahlenden Community stehen nicht nur zusätzliche Video- und Audioinhalte bereit: "Es gibt die Möglichkeit, sich intensiver an Forendiskussionen und an den Präsenstreffen der Redaktion zu beteiligen."

Kommt die Genossenschaft?

Diese Beziehung zwischen Autoren und Lesern benennt eine zentrale Qualität von Medien. Die Frage der Finanzierung lösten die Krautreporter mit einer äußerst erfolgreichen Spendenkampagne, die ein weit verbreitetes Bedürfnis nach alternativen Formen der Medienorganisation deutlich macht. Im vergangenen Halbjahr kam etwa eine Million Euro zusammen. Zu den Grundsätzen des neuen Journalismus gehört es, dass Unterstützer, Leser und Autoren gemeinsam die Krautreporter-Redaktion bilden.

Bisher besteht diese Krautreporter-Community allerdings in einer virtuellen Gemeinschaft. Das Projekt hat sich klassisch privatwirtschaftlich als eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet. Philipp Schwörbel, einer von drei Gesellschaftern, führt dafür praktische Gründe an. "Die Krautreporter GmbH war auch schon Trägerin der Krautreporter Crowdfunding-Plattform. Wir haben somit nur die bestehende Struktur auch für das Magazin genutzt." Aber es ist angedacht, das Krautreporter-Magazin in eine Genossenschaft zu überführen, so Philipp Schwörbel gegenüber Telepolis.

"Der Grund ist die Möglichkeit, Autoren und auch Mitglieder am Unternehmen finanziell und unternehmerisch zu beteiligen." Tatsächlich würde dieses Modell, das auch historische Alternativmedien wie die Tageszeitung Taz verwenden, eine weitergehende Mitbestimmung derjenigen erlauben, die das Modell finanziell tragen. Philipp Schwörbel benennt diesen Punkt sehr deutlich: "Crowdfunding, also die Transaktionen, ist zwar oft sehr öffentlich vorgetragen, aber im Kern handelt es sich um private Spenden ohne konkrete Gegenleistung, oder in unserem Fall um den Verkauf von Abos." Die aktuelle Herausforderung bestehe darin, solide Geschäftsmodelle zu entwickeln, die das langfristige Bestehen von Medien sichern.

Insofern bietet das Modell Crowd-Founding zwar einen ersten Schritt weg von einer Sekundärökonomie, bei der große Wirtschaftsunternehmen via Werbeetat eine genehme Öffentlichkeit subventionieren. Eine alternative Medienökonomie, die also gesellschaftliche Kommunikation unabhängig von Gewinnzielen ermöglicht, stellt es für sich genommen noch nicht dar.

Die Stiftungsmedien

Einen anderen Weg für eine relativ unabhängige Finanzierung, der besonders unter angelsächsischen Medien zunehmend eine Rolle spielt, bietet das Modell einer Stiftung. In Deutschland geht diesen Weg etwa die Brost-Stiftung. Gegründet wurde das Projekt aus Mitteln eines großen Verlags, der WAZ-Gruppe um die Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Die Journalistin und Ehefrau des Gründers, Anneliese Brost, übernahm die Verlagsleitung und veranlasste die Gründung einer gemeinnützigen Stiftung, die heute etwa als Inititalförderer des Recherchebüros Correct!v auftritt.

Die Initiative setzt sich für einen "gemeinnützigen, aufklärerischen Journalismus" ein. "Die Krise der alten Medien ist die Chance für etwas ganz Neues", glaubt etwa Büroleiter David Schraven, ehemals leitender Rechercheredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ). Mit dem Projekt sollen aufwändige Recherchen ermöglicht werden. Nach den ersten drei Monaten legt Correct!v bereits zwei große Hintergrundberichte vor, von denen die Justizdatenbank über den Umgang mit Bußgeldern bundesweit Aufmerksamkeit erlangte. Die Homepage bietet dem Publikum umfangreiche Möglichkeiten, sich mit Hinweisen zu beteiligen, auch anonymisiert und verschlüsselt.

Unter den großen politischen Stiftungen in Deutschland publiziert bisher nur die Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Medienprodukt, das als regelmäßig erscheinende politische Zeitschrift deutlich über den Charakter eines Informationsblatts hinausgeht. Mit LuXemburg erscheint bereits seit dem Jahr 2009 ein Magazin, dessen Format wie eine Brand Eins für das linke politische Spektrum wirkt. Gleichzeitig entschied sich die Stiftung für einen radikalen Weg in der Medienökonomie. "Seit Januar 2014 sind das Abonnement sowohl für die Printausgabe als auch der digitale Bezug kostenlos", so Chefredakteurin Barbara Fried. "Gesellschaftliche Debatten fallen für uns ganz klar unter die Allgemeingüter, die Commons. Wir können uns schlecht für mehr öffentliches Eigentum, eine demokratische Verwaltung und den Begriff des Gemeinsamen einsetzen, und dann ausgerechnet für unsere eigenen Produkte hohe Bezahlschranken errichten".

Zwar verfügt die Redaktion auch über eine Landing-Page, auf der regelmäßig neue Beiträge veröffentlicht werden. Den Schwerpunkt bildet jedoch ein aufwändig gestaltetes Printprodukt, von der Qualität, die sich kaum noch ein Verlag leisten will. Schon gar nicht, wenn die Inhalte geradezu auf gesellschaftliche Kontroversen ausgerichtet sind. "Wir wollen ein gut lesbares politisches Magazin, das trotzdem Analysen auf einem hohen Niveau anbietet", beschreibt Barbara Fried das Konzept. Neben Prominenten aus den globalen Protestbewegungen, etwa Naomi Klein, veröffentlichen auch Aktivisten, die "sonst nicht zu schreibenden Zunft" gehören.

Diese Art von exklusivem Medienprodukt könnte ohne eine öffentliche Finanzierung durch eine politische Stiftung nicht existieren, davon geht auch die Chefredakteurin aus und verweist darauf, dass etwa die ästhetische Schwester, Brand Eins, seit kurzem zum Verkauf steht. "Wir sind uns bewusst, dass wir aus einer privilegierten Situation publizieren. Andererseits muss der Hinweis, dass Kultur, Information und Debatte, nicht zu Marktbedingungen produziert werden kann, auch ernst genommen werden: Wir brauchen eine öffentliches Verständnis und öffentliche Verantwortung für Medien", so Fried.

Der Autor ist Mitarbeiter der LuXemburg-Redaktion.